Comic aus München:Am Tag arbeiten, in der Nacht zeichnen

Comic aus München: Sabrina Schmatz, die sich im Netz auch Iruka nennt, führt mit ihrem Liebespaar Konstanze und Daniel durch das zerstörte München nach dem Zweiten Weltkrieg.

Sabrina Schmatz, die sich im Netz auch Iruka nennt, führt mit ihrem Liebespaar Konstanze und Daniel durch das zerstörte München nach dem Zweiten Weltkrieg.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Sabrina Schmatz arbeitet für eine Rentenversicherung, in ihrer Freizeit gibt sie sich ihrer Leidenschaft hin. Ihre Faszination für Comics und Mangas ist aber längst kein bloßes Hobby mehr.

Von Gerhard Fischer

Die Amerikaner werfen im Frühjahr 1945 ein Flugblatt über München ab. Darauf steht: "Vernunft oder Wahnsinn werden über das Schicksal Eurer Stadt und damit über Eure Zukunft entscheiden." Wahnsinn wäre es, sich zu wehren. Vernunft wäre es, sich zu ergeben. Die Münchner hissen weiße Fahnen. Als der US-Soldat Daniel die Deutsche Konstanze sieht, ist er hingerissen. "Guten Tag, Fräulein", sagt er, weil man das zu jungen Frauen damals sagte. Und er bietet ihr eine Schokolade an.

In der Comic-Reihe "München 1945" gibt es solche Klischees. Aber sie wirken liebenswert. Das liegt vermutlich an den Zeichnungen, die eine gelungene Atmosphäre schaffen. Es sind Skizzen. Das passt zu München im Jahr 1945.

Sabrina Schmatz, 35, sitzt im Café Mozart. Sie ist keine hauptberufliche Zeichnerin. Schmatz arbeitet bei der Deutschen Rentenversicherung in Neuperlach, und sie zeichnet abends. Das erinnert an Franz Kafka, der tagsüber bei der Arbeiter-Unfallversicherung in Prag arbeitete und abends schrieb. Schmatz lacht, als sie das hört. Aber sie geht nicht weiter darauf ein. Wer will sich schon mit Kafka vergleichen. Sabrina Schmatz ist ohnehin eher bescheiden, sie macht sich lieber klein als groß. Heute jedenfalls. Früher, sagt sie, habe sie, was das Zeichnen anging, an jugendlicher Selbstüberschätzung gelitten.

Heute hätte sie allen Grund, selbstbewusst zu sein. Die Zeichnungen sind professionell. Stimmig. Schön anzusehen. Der Strich ist sehr gut. Schmatz hat beim Münchner Comicfestival 2017 für die ersten beiden München-Bände den Icom-Preis für das beste Artwork bekommen. Icom ist der Interessenverband Comic.

Schmatz sagt, sie habe nicht mit Historikern gesprochen und nicht mit Zeitzeugen geredet, bevor sie "München 1945" gezeichnet habe. Sie habe aber viel über diese Zeit gelesen und Dokumentationen angesehen. "Ich habe alles verschlungen, was ich kriegen konnte." Sie hat bisher fünf München-Bücher gezeichnet, die alle 1945 und 1946 spielen. Sie arbeitet gerade am sechsten. Für einen Band, der jeweils 60 bis 65 Seiten umfasst, braucht sie ein halbes Jahr.

"Manchmal muss ich mich abends zum Zeichnen zwingen", sagt sie, "manchmal mache ich nur ein Panel, also Kästchen, aber manchmal bin ich im Flow drin, da geht es dann bis Mitternacht und ich schaffe ein bis zwei Seiten." Natürlich zeichnet sie auch am Wochenende, und häufig auch im Urlaub.

Im ersten Band befreien die US-Soldaten München, Daniel und Konstanze verlieben sich. "Ich wollte eine Liebesgeschichte zeichnen", sagt Schmatz, "aber es sollte nicht zu schnulzig werden, deshalb habe ich diesen historischen Rahmen gewählt." Konstanze, Anfang 20, sei "eher eine Mitläuferin", sagt Schmatz. Sie war "irgendwie gegen das Hitler-Regime", traute sich aber nicht zu opponieren. Daniel ist ein empathischer, humorvoller US-Soldat. Konstanzes Cousin Roman ist 17 und stand voll hinter dem Regime. Konstanzes Vater war ein Hitler-Gegner und Arzt, der Juden behandelte und eines Tages verhaftet wurde. "Wichtig war mir die Diversität, dass es nicht nur Gut und Böse gibt", sagt Schmatz.

Sabrina Schmatz wurde in München geboren, machte - nach der Mittleren Reife - eine Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten und ging zur Rentenversicherung. Gezeichnet hat sie schon als Kind, Disney-Figuren zum Beispiel. "Aber so richtig los ging es 1996, als die Mangawelle nach Deutschland kam, mit den Manga-Comics und den Anime, das sind die Zeichentrickfilme", sagt Schmatz. "Das hat mir besser gefallen als die franko-belgischen Comics, Tim und Struppi oder Asterix, die mir zu statisch waren." Außerdem wurde bei den Mangas eher der Alltag gezeigt. Und wenn es Superhelden gab, dann waren es Superheldinnen.

Schmatz war zwölf und versuchte, auch so zu zeichnen: große Augen, Dynamik in den Bewegungen. "Ich machte das jeden Tag mit großer Begeisterung, da gab es für mich nach der Schule - und den Hausaufgaben - nichts anders als zeichnen, zeichnen, zeichnen", sagt sie.

Comic aus München: Cover von Sabrina Schmatz' Comic-Reihe "München 1945" - das sechste Buch erscheint demnächst.

Cover von Sabrina Schmatz' Comic-Reihe "München 1945" - das sechste Buch erscheint demnächst.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Sabrina Schmatz entwickelte als Jugendliche eigene Geschichten und Figuren. Verlage wie Carlsen und Ehapa machten - von der Mangawelle inspiriert - einige Wettbewerbe, bei denen man gezeichnete Kurzgeschichten einschicken konnte. "Ich habe da durchgehend abgelost", sagt Schmatz und lacht. "Ich war damals einfach nicht gut genug."

Sie schaut in ihr Handy - es hat einen rosa Rand. "Nicht wegen der Mangas", sagt Schmatz und lacht. "Ich mag rosa." Sie macht das öfter während des Gesprächs: Dass sie ihr Handy nimmt und im Netz nach Namen sucht, nach Preisen, nach Verlagen, nach Webseiten. Sie will sicher gehen und nichts Falsches sagen. Und sie entschuldigt sich dafür, dass sie ins Handy schaut. Sie ist sehr freundlich.

Dann nennt sie Web-Plattformen, auf denen sie vor acht, neun Jahren ihre Comics, unter ihnen Schwulen-Mangas oder Horror-Geschichten, hochgeladen hat. Die Plattformen heißen Mycomics oder Animexx. Das sei ihr "erster Durchbruch" gewesen. "Da dachte ich zum ersten Mal: Oh mein Gott, oh mein Gott." Sabrina Schmatz wirkt wie ein Mensch, der sich begeistern kann. Und der das dann auch mitteilt.

Zwischendrin schwärmt sie von Japan. "Das ist ein Comicland", sagt sie, "das sieht man überall im Alltag." Erwachsene würden in der U-Bahn Comics lesen, mit Comics werde Werbung gemacht, auf Straßenschildern seien Comics drauf. "In Japan sind die Comics anerkannt, das ist sehr erfrischend", sagt Schmatz. Sie hat später auch japanisch gelernt.

Schmatz hat nie Zeichenunterricht genommen. Aber natürlich hatte sie Vorbilder, etwa den Japaner Takehiko Inoue. "Anfangs war es bei mir komplett Manga", sagt sie, "aber irgendwann habe ich angefangen, eher reell zu zeichnen." Wie Inoue. "Jetzt bin ich zwischen Comic und Manga", sagt Schmatz, "nicht Fisch, nicht Fleisch - ich bin ein Hybrid: für Manga-Freunde zu Comic, für Comic-Freunde zu Manga."

Comic aus München: Schmatz hat nie Zeichenunterricht genommen. Vorbilder hatte sie dennoch: etwa den Japaner Takehiko Inoue.

Schmatz hat nie Zeichenunterricht genommen. Vorbilder hatte sie dennoch: etwa den Japaner Takehiko Inoue.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Den ersten Band der München-Reihe hat sie auf Animexx hochgeladen. "Und da ist er durch die Decke gegangen", sagt sie. Daraufhin hätten sich die Leute vom Schwarzen Turm gemeldet, jenem Verlag, in dem die Reihe erscheint. Damit habe sich ihr Lebenstraum erfüllt. Der erste Band hatte eine Auflage von 700 Stück. Alle Hefte sind schon weg. Es gibt jetzt die zweite Auflage. "Ich habe viele Leser unter Männern mittleren Alters, von 30 bis 50 - sie sagen, sie hören in den Büchern von München 1945 ihre Oma oder ihren Opa reden."

Stellt sich die Frage, ob sie nicht hauptberuflich Zeichnerin werden wolle? Sabrina Schmatz lacht. "Ja,", sagt sie dann, "es kommt oft vor, dass ich in der Arbeit denke: ,Shit, ich habe jetzt eine tolle Idee.' Aber die Arbeit geht natürlich vor, da muss es halt bis zur Frühstückspause, bis zur Mittagspause oder bis zum Feierabend warten."

Aber sie will ihren Job - Schmatz arbeitet in der internen IT-Abteilung der Rentenversicherung - nicht aufgeben. "Wenn man das Zeichnen hauptberuflich macht, ist sofort Druck da", sagt sie. "Ich kenne viele Zeichnerinnen und Zeichner, die sich promoten müssen, die Illustrationen unter Zeitdruck machen müssen, die sich mit den nicht immer nachvollziehbaren Wünschen der Auftraggeber herumschlagen müssen." Sie habe selbst mal ein Cover für einen Auftraggeber gezeichnet. "Da kam sofort die Kritik: Aber der Arm ... Aber das Auge ... Das ging dann 30 mal hin und her, bis der Kunde zufrieden war."

Außerdem sei Deutschland ein Land, in dem Comics wenig zählten. "Ich bin manchmal neidisch auf die Zeichner in den USA oder in Frankreich, die können von Comics leben", sagt Schmatz. In Deutschland gelte der Comic als Kinderkram. Dementsprechend werde auch gezahlt. Sabrina Schmatz denkt allenfalls darüber nach, die Stunden bei der Rentenversicherung ein bisschen zu reduzieren, um mehr zeichnen zu können. Das wäre vernünftig.

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