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Kultur

Der Mensch als Knolle

Feuilletonredakteur
Abschied vom großen Zeichner Guillermo Mordillo

Der Aufstieg des Zeichners Mordillo ist nur im Zusammenhang mit dem Formgefühl der 70er-Jahre zu verstehen. Denn obwohl damals die letzte Epoche des Westens anhielt, in der die Mehrheit der Menschen schlank, wenn nicht gar dünn war (man schaue sich mal Ganzkörperaufnahmen der RAF-Mitglieder an: Diese Menschen konnten naturgemäß keinen Hungerstreik lange durchhalten), drängte in der Formgebung alles zum Runden.

Das galt nicht nur für das Alltagsdesign mit seinen Sitzsäcken, aufblasbaren Sesseln, blubbernden Blasen in Lavalampen und den biomorphen eckenfreien Entwürfen des Gestalters Luigi Colani. Auch in der Menschendarstellung gab es eine Neigung zur Rundlichkeit: Niki de Saint Phalles Nana-Figuren, 1974 in Hannover aufgestellt, waren populär. Man hängte sich gern reproduzierte Motive des Malers Fernando Botero ins Zimmer, der berühmte Frauen der Kunstgeschichte im XXL-Körperfülle darstellte.

In diesen Zug zum Runden reihen sich auch die Figuren Guillermo Mordillos ein, der am 29. Juni im Alter von 86 Jahren gestorben ist. Denn rund waren ja nicht nur die typischen Knollennasen, die jedem sofort einfallen, wenn er sich der Gestaltungsmerkmale Mordillos zu erinnern versucht, sondern auch die Körper seiner Figuren zeichnete er ganz rund, egal ob es sich um Menschen, Kühe oder Gitarren handelte – immer sahen sie aus wie Fußbälle mit Beinen.

Oder wie Kartoffeln. In Deutschland ist Mordillo immer besonders beliebt gewesen. Unübersichtlich ist die Zahl der Karikaturenbände, die hierzulande zuerst im Insel-Verlag, dann bei Heyne und zuletzt bei Lappan erschienen. Wenn man die Posterstände, die in den 70er-Jahren vor großen Buchhandlungen und Zeitschriftengeschäften obligatorisch waren, durchblätterte, war jedes zweite angebotene Plakat ein wimmelbildartiges, von knollennasigen Figuren bevölkertes Mordillo-Werk. In den 80er-Jahren gestaltete er sogar Werbespots für die ARD-Fernsehlotterie „Ein Platz an der Sonne“.

Auch sonst fügten sich Mordillos Gestaltungselemente gut zum Geschmack der 70er-Jahre. Es war die Zeit, als Trödler zu Antiquitätenhändlern wurden, als man Flohmarktfunde und anderen nostalgischen (das Wort kam damals erst massenhaft in Gebrauch) Nippes in ausrangierte Setzkästen des Druckgewerbes einsortierte. Zu diesem das Altmodische verklärenden Zug passten Mordillos Autos, die etwas Oldtimerhaftes hatten – sie schienen aus dem Entenhausen der 40er-Jahre zu stammen. Und auch seine Fahrräder entsprachen einem archaischen Typus, den man man in der Zwischenkriegszeit des letzte Mal gesehen hatte.

Guillermo Mordillo, der als Sohn spanischer Einwanderer am 4. August 1932 in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires geboren wurde, hatte seine Zeichnerkarriere beim Trickfilm begonnen. Er wirkt beispielsweise an „Los Musicos de Bremen“ des argentinischen Animationspioniers José Burone Bruché mit. Am Ende ist er wieder beim Trickfilm gelandet. Selbst Menschen, die den großen deutschen Mordillo-Boom der 70er- und 80rt-Jahre nicht mehr mitbekommen hatten, kannten seine Figuren aus kleinen Filmchen, die beispielsweise im Berliner U-Bahn-Fernsehen liefen.

1963 reiste er aber nach Paris, damals das Mekka des nicht amerikanischen Comics (ungefähr zur gleichen Zeit erfanden Goscinny und Uderzó dort Asterix). Dies war die Stadt, in der man eine Weltkarriere starten konnte, die ihn, der keiner Möglichkeit, noch mehr Geld zu verdienen, aus dem Weg ging, zu einem der reichsten Zeichner der Welt machte. Dazu trugen nicht nur seine Karikaturen bei, sondern auch auch Kalender, Kleidungsstücke, Plüschtiere, Postkarten, Spielfiguren und Puzzles, also Merchandising-Produkte – lange bevor man ein Wort dafür hatte.

Auch die einfachen Botschaften, die Mordillo damit transportierte, waren von nostalgischer Schlichtheit und geeignet für den geistigen Setzkasten: Liebe ist besser als Hass, bunt ist besser als grau, Frieden besser als Krieg und Frauen sind rätselhafte launische Wesen, die den Straßenverkehr aufhalten, weil sie mitten im Stau vor dem Fahrerspiegel schminken; aber sie zeigen dabei wenigstens den wütenden hupenden Männern ihre nackten prallen Pobacken. Auf eine sehr sanfte und schlichte Weise war Mordillo auch Vermittler der sexuellen Revolution – seine Figuren konnten nackt und total geschlechtslos zugleich sein.

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