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Preis "Kein Platz für Extremismus und Rassismus" vergeben

„Sechs Millionen Gründe“

Tom Kleine und Hartmut Hosenfeld (v. l.) nahmen den erstmalig vergebenen Preis „Kein Platz für Extremismus und Rassismus im Kreis Olpe“ von Landrat Frank Beckehoff (r.) entgegen. Die Laudatio hielt Ruth Jacob-Prinz (2. v. r.), ehemalige Geschäftsführerin der <jleftright>Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe und Tochter eines Auschwitz-Überlebenden aus dem Kreis Olpe.

Tom Kleine und Hartmut Hosenfeld (v. l.) nahmen den erstmalig vergebenen Preis „Kein Platz für Extremismus und Rassismus im Kreis Olpe“ von Landrat Frank Beckehoff (r.) entgegen. Die Laudatio hielt Ruth Jacob-Prinz (2. v. r.), ehemalige Geschäftsführerin der <jleftright>Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe und Tochter eines Auschwitz-Überlebenden aus dem Kreis Olpe.

win Olpe/Attendorn. Eigentlich war die Stimmung im Kreishaus amMontagnachmittag fröhlich, gelöst, locker. Doch am Ende sorgte Tom Kleine für den vielzitierten Ruck, der durch die Menge ging. Erstmals wurde der Preis „Kein Platz für Extremismus und Rassismus“ des Kreises Olpe vergeben, den der Kreistag einstimmig ausgeschrieben und mit 2000 Euro dotiert hat. Und als die Initiative „Jüdisch in Attendorn“ vorgeschlagen wurde, war sich die Jury einig, dass es gerade zur Premiere dieses Preises wohl keinen besseren Preisträger geben könne. Hatte die Initiative doch mit ihrer Aktion „Schalom Attendorn 2018“ mit der Errichtung einer Erinnerungs-Stele an all die Attendorner Juden, die nie würdig beigesetzt werden konnten, ein weithin beachtetes Zeichen gesetzt – doch ein Erlebnis macht deutlich, wie wichtig ein solcher Preis auch acht Jahrzehnte nach den Novemberpogromen noch ist.

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Kleine berichtete, 2018 in regelrecht euphorischer Stimmung eine Gruppe von rund 50 Nachkommen der jüdischen Attendorner Familie Ursell durch die Stadt geführt zu haben. Ein bekannter älterer Mitbürger habe ihn gefragt, wer diese Leute seien, und auf Kleines Erklärung hin sei folgende Äußerung zurückgekommen: „Juden? Hat man die vergessen?“

Der Vorsitzende des Ausschusses für Sport und Kultur, Wolfgang Hesse, hatte die Verleihung eröffnet und dabei zurückgeblickt: Dem Kreistagsbeschluss sei eine kontroverse Debatte vorausgegangen, dem der „wichtige und richtige“ einstimmige Beschluss gefolgt sei. Er zitierte den Philosophen Karl Popper und fasste dessen Prämisse vereinfachend zusammen, gegen Intoleranz helfe nur Intoleranz, denn sonst werde die Toleranz abgeschafft. Alle Teilnehmer der Preisverleihung zeigten durch ihre Teilnahme, dass sie gegen Intoleranz zu kämpfen gewillt seien.

Landrat Frank Beckehoff würdigte die Preisträger und deren Initiative. Hosenfeld befasse sich seit über 30 Jahren mit der Geschichte der jüdischen Bürger von Attendorn und habe mit den Büchern „Jüdisch in Attendorn“ und „Gabriel, ein unbekannter Stern aus Attendorn“ zwei überregional beachtete Werke geschaffen. Die Errichtung der Gedenkstele auf dem jüdischen Friedhof in Attendorn sei ein Höhepunkt der Arbeit von Hartmut Hosenfeld und Tom Kleine gewesen. Dass rund 50 Nachfahren der Attendorner Juden daran teilnahmen, sei wohl die größte Anerkennung für die beiden gewesen.

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Ebenfalls große Beachtung finde der „Julius-Ursell-Weg“, ein Themenwanderweg durch die Stadt, der das jüdische Leben in Erinnerung ruft. Die Aktionen der Veranstaltungsreihe „Shalom 2018 Attendorn“ hätten dafür gesorgt, dass sich viele Menschen in Attendorn und Umgebung mit den Themen Extremismus, Rassismus und Antisemitismus auseinandergesetzt hätten. Abschließend zitierte Beckehoff den Attendorner Juden Kurt Stern: „Wir alle müssen uns verpflichtet fühlen, gegen Unrecht aufzutreten, das einer ethnischen oder religiösen Minderheit oder Gruppe droht, und uns sagen: ,Schließlich geht’s ja auch dich etwas an, wenn deines Nachbarn Haus brennt’“.

Die Laudatio hielt Ruth Jacob-Prinz, ehemalige Geschäftsführerin der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe, deren Vater, Werner Jacob, aus Lenhausen stammt und 1945 als Auschwitz-Überlebender in seine Heimat zurückgekehrt war. Sein Leben ist Thema des ersten Bandes der Schriftenreihe „Jüdisches Leben im Kreis Olpe“. Sie betonte, dass die Attendorner Juden Menschen gewesen seien, die freundschaftlich und friedlich mit ihren christlichen Nachbarn zusammengelebt hätten. „Sie waren Mitglieder im Turnverein, im Schützenverein und im Sauerländischen Gebirgsverein. Sie waren Attendorner – Sauerländer – Deutsche.“ Selbst nach der Machtergreifung habe noch keiner von ihnen geahnt, dass sie wenige Jahre später ausgegrenzt, drangsaliert, verprügelt und verhaftet würden, dass ihr Leben nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa bedroht wurde. Für viele sei diese Erkenntnis gar zu spät gekommen.

Auch die Erinnerung an die dunkelste Geschichte Deutschlands halte manche nicht davon ab, 80 Jahre nach Auschwitz Hass gegen Juden sowie althergebrachte Ressentiments und Vorurteile zu verbreiten. „Wir in Deutschland haben eine besondere historische Verantwortung, wachsam zu sein gegenüber allen Formen des Antisemitismus, weil wir wissen, wohin er geführt hat. Es gibt sechs Millionen Gründe, Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten.“ Sie seien eine Bedrohung für die demokratischen Werte und eine Gefahr für den Bestand der offenen Zivilgesellschaft. Die gefährliche Entwicklung jüngerer Tage dürfe nicht nur beklagt, sondern bekämpft werden. Und dies tue die ausgezeichnete Initiative. Es gehe nicht darum, sich für die Verbrechen vorangegangener Generationen schuldig zu fühlen, aber es sei wichtig, die Erinnerung wachzuhalten und Verantwortung zu tragen für Gegenwart und Zukunft. „Für mich persönlich war es eine große Bereicherung, nicht nur Sie kennengelernt zu haben, sondern zu sehen, dass es Ihnen eine Herzensangelegenheit ist, das historische Bewusstsein und die Erinnerung an die Opfer des Holocaust in Attendorn wachzuhalten und dazu beizutragen, dass sich die Geschichte niemals wiederholt.“

In seinen Dankesworten gab Hosenfeld den Dank weiter an alle, die sie bei der Initiative unterstützt hätten, insbesondere den Nachfahren der Familie Ursell. An Tom Kleine gewandt, erklärte er: „Ich weiß mein Lebenswerk in guten Händen.“ Und Kleine erklärte, in Zeiten, in denen das Wort „Jude“ wieder als Schimpfwort benutzt werde und man „nicht weiß, ob man eine Rede von Hitler oder Höcke hört“, sei ein solcher Preis von großer Wichtigkeit. Die Initiative nehme ihn stellvertretend für alle entgegen, die sich gegen Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit einsetzen. Insbesondere dankte er dem Kreistag, der durch die Auslobung dieses Preises die Bedeutung des Kampfes hervorgehoben habe, und auch dem Attendorner Bürgermeister, Christian Pospischil, dem gesamten Verwaltungsvorstand und der ganzen Mannschaft des Attendorner Rathauses, die die Initiative stets „weit über das normale Maß hinaus“ unterstütze.

Umrahmt wurde die Preisverleihung vom Klezmer-Ensemble der Musikschule Attendorn. Der Verleihung schloss sich ein Empfang im Foyer des Kreishauses an.

SZ

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