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Denkmal am Bremer Dom Ist das Bismarck-Monument noch zeitgemäß?

„Bismarck als Pflegefall“ titelte unlängst der WESER-KURIER. Das Reiterstandbild am Dom muss saniert werden. Muss es wirklich? Zuvor stellt sich die Frage, wie zeitgemäß das Monument noch ist.
14.02.2018, 14:48 Uhr
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Ist das Bismarck-Monument noch zeitgemäß?
Von Hendrik Werner

Otto von Bismarck (1815-1898) taugte nie als Reiter mit militärischer Anmutung. Weite Teile seines Lebens brachte er übergewichtig und undiszipliniert, ja maßlos zu. Er fraß, soff, rauchte. Schon früh siegte seine Faulheit über Begabungen. Als Corpsstudent waren ihm Glücksspiel und Trinkvergnügen, Prügeleien und Frauengeschichten wichtiger als die Jurisprudenz. Eisern geht anders.

Und doch machte der Mann, dessen Statur den Idealtypus des gedrillten Preußen konterkarierte, Karriere: Von 1862 bis 1890 – mit kurzer Unterbrechung – war er Ministerpräsident des Königreichs Preußen, von 1867 bis 1871 Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes, von 1871 bis 1890 erster Reichskanzler des Deutschen Reiches. Dessen Gründung hatte der smarte Stratege maßgeblich auf den Weg gebracht. Sein Machthunger war kaum geringer als sein sonstiger Appetit. Dazu gesellte sich eine Mixtur aus Eitelkeit und Selbstironie, die dazu führte, dass neben dem Bismarck-Hering auch Torten, Eier und Steaks ungestraft seinen Namen tragen durften.

Diese nationale Kultfigur überließ nicht nur Lebensmitteln ihren sozusagen bissigen und markigen Namen, sondern schrieb sich auch in deutsche Städte ein: Straßen, Plätze, ganze Ortsteile wurden nach ihm benannt. Bismarcks Stilisierung begann indes schon vor der Reichsgründung, die den Nimbus des Politikers zementierte. Ihm zugeeignete Denkmäler hagelte es schon zur Zeit des Norddeutschen Bundes. Im Anschluss an die Reichsgründung indes nahm die Verehrung im Kaiserreich gigantische Ausmaße an. Nicht nur in Deutschland, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Staatsmemoria-Exzesse zelebrierte, sondern auch in Ländern, die viele deutsche Auswanderer beherbergten. Als Kaiser Wilhelm II. den Volksliebling, der zusehends an Altersstarrsinn litt, 1890 entließ, schwoll die nationale Begeisterung nochmals an. Schließlich galt Bismarck, der sein Land vom Duodezabsolutismus befreit hatte, längst als Ikone.

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1898 waren gerade drei Wochen nach seinem Tod vergangen, als in Bremen, wo die Uhren seit jeher anders gehen, dieser Aufruf lanciert wurde: „Ein Denkmal des Fürsten Bismarck muss unsere Stadt besitzen: Zum Zeugnis der unwandelbaren Verehrung Bremens für den ersten Ratgeber des ersten deutschen Kaisers.“ Zwölf Jahre gingen noch ins Land, bis sich die „dankbare Erinnerung an den Reichskanzler Otto von Bismarck“ materialisierte. Zähe Jahre, in denen um den Künstler, um den Standort und die Machart des Monuments gerungen wurde. Als es endlich stand, hatte Bremen mit einer Üblichkeit gebrochen: nur herrschenden Fürsten Denkmäler zu errichten. Dafür, dass Bremen sich so lange Zeit nahm, um den Eisernen zu ehren, sollte seine Verewigung wenigstens speziell sein. So kommt es, dass die Stadt weltweit den einzigen Bismarck zu Pferde besitzt.

Gestiftet hat den bronzenen Bismarck, der am 9. Juli 1910 enthüllt wurde, ein „Komitee zur Errichtung eines Bismarck-Denkmals“, zu dem weiland 37 Mitglieder zählten. Die hoch zu Ross sitzende Figur, zu besichtigen an der Nordwestecke des St.-Petri-Doms, geht auf einen Entwurf des kühnen Künstlers Adolf von Hildebrand (1847-1921) zurück. Der Bildhauer galt wegen seiner Liebe zur italienischen Renaissance als exotisch. Es wundert nicht, dass das Reiterstandbild des Staatslenkers mit klassischen Monumenten verglichen wurde, zumal mit Donatellos Bronzeplastik für den Söldnerführer Gattamelata in Padua (1447).

Kaiser-Wilhelm-Denkmal eingeschmolzen

Dem künstlerischen Rang von Hildebrands Werk ist es zu danken, dass das Reiterstandbild in den Weltkriegen nicht zur Buntmetallspende wurde. Vielmehr galt es als so schutzbedürftig, dass es 1942 in einer Nische an der Nordseite des Doms eingemauert wurde, um es vor Bomben zu schützen. Erst zehn Jahre später ließ sich Bürgermeister Wilhelm Kaisen überzeugen, das Mal – gegen Widerstände aus der SPD – wieder am alten Standort zu postieren.

Da steht er nun, ein Anachronismus mit groteskem Leib und Pferd. Wie unerreichbar Augenhöhe mit dieser Gestalt ist, signalisiert schon der sechs Meter hohe Sandsteinsockel, der Abstand zwischen Otto von B. und Otto Normalbürger schafft. Auch die klassizistische Formensprache enthebt die Figur jeglicher Zeitgenossenschaft. Bismarcks stilisiertes Abbild sitzt in diesem gravitätischen Arrangement in anderthalbfacher Lebensgröße vermeintlich fest im Sattel. Kürassier-Uniform und schwerer Helm lassen glauben, dass sich dieser Reiter auch gegen die Schmälerung seiner Verdienste durch die undankbare Nachwelt zu wappnen hat. Die linke Hand der Figur hält leger die Zügel, die rechte eine Pergamentrolle, die als Verfassungsschrift interpretiert wird.

Inwieweit diese allegorisch überfrachtete, kunstgeschichtlich belanglose Gestalt Bestand im öffentlichen Raum haben sollte, ist auch insofern eine legitime Frage, als ihr Pendant nicht mehr steht. Das Bismarck-Mal definierte sich durch die Nähe zu einem neobarocken Kaiser-Wilhelm-Mal, das 1893 eingeweiht worden war. Arie Hartog, Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses, charakterisiert es als „unförmigen Körper auf unförmigem Pferd“. Ein ästhetischer Gewinn also, dass das kaiserliche Bronzemal der Metallspende zugeführt wurde. Überlebt hingegen hat das neoklassische Standbild des Reichskanzlers, das als planvolle Intervention gegen den kaiserlichen Neobarock-Stil in der Standbildhauerei gerichtet war. Überlebt hat mithin ein Muster ohne Wert.

Marodes Bismarck-Denkmal: Was Bremer von einer Restaurierung halten

Carsten Sieling (SPD), Bürgermeister

„Bismarck war, wie Willy Brandt einmal gesagt hat, für die demokratische Entwicklung Deutschlands ein Unglück. Aus heutiger Sicht aber ist es auch Bismarcks Verdienst, die Sozialversicherung geschaffen zu haben. Die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung gerade heute zu schützen und solidarisch weiterzuentwickeln, dazu mahnt auch das Denkmal. Wie immer man zu den verschiedenen Seiten der historischen Figur Bismarck steht, dem Denkmal gebührt Schutz und es wird deshalb auch restauriert werden.“

Carmen Emigholz (SPD), Kulturstaatsrätin

„Denkmäler sind keine Monumente der bloßen Verehrung. Sie sollen die kritische Auseinandersetzung einer Gesellschaft mit ihrer Geschichte fördern. Vor diesem Hintergrund stehen sie unter Schutz. Für uns besteht die Verpflichtung, Schäden zu beseitigen.“

Konrad Elmshäuser, Leiter Staatsarchiv Bremen

„Für mich stellt sich die Frage überhaupt nicht. Selbstverständlich muss das Denkmal als anerkannter ­Bestandteil des Dom- und Marktensembles restauriert werden. Wenn das Landesamt für Denkmalpflege befindet, dass das Denkmal saniert werden muss, dann gehe ich davon aus, dass dies eine solide Aussage ist und gemacht werden muss. Wir hatten ein ähnliches Problem mit dem Kaiser-Friedrich-Denkmal, bei dem sich der Sockel zu lösen drohte. Niemand würde heute so ein ­Denkmal ganz im Sinne derjenigen sehen, die es aufgestellt haben. Das ist keine Kaiser­verehrung.

Das Bismarck-Denkmal ist keine Stelle, die ihn in allen seinen Facetten ehrt, sondern ein historisches Relikt und auch ein Teil der Bremer Geschichte. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Denkmal bewusst nicht der Metallspende zugeführt und für die Rüstungsproduktion eingeschmolzen. Es ist schon ein sehr feines Denkmal und mit Bismarck in Reiterposition einzigartig.“

Cornelius Neumann-Redlin, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände im Land Bremen

„Aus meiner Sicht muss das Denkmal auf jeden Fall renoviert werden, wenn es beschädigt ist. Es ist gut, dass ein solches Denkmal in Bremen steht. Bismarck hat die deutsche Geschichte enorm geprägt und deswegen gibt es in vielen deutschen Städten Denkmäler von ihm. Er ist einer der entscheidenden Staatsmänner Deutschlands und damit ist es überhaupt keine Frage, dass man das Denkmal restauriert. Solch ein Denkmal zu restaurieren spricht für einen vernünftigen Umgang mit der deutschen Geschichte. Von daher ist es nachvollziehbar und richtig, wenn das Denkmal restauriert wird – zumal es an solch einem prominenten Ort steht.“

Claas Rohmeyer, Kulturpolitischer Sprecher der CDU

„Das Bismarck-Denkmal ist einzigartig und sollte auf jeden Fall saniert werden. Es ist nicht der Roland, aber es prägt das Ensemble am Markt seit über 100 Jahren mit. Die genauen Kosten der Sanierung müssen ermittelt werden und sollten dann bewertet werden. Wenn sie unverhältnismäßig hoch sind, kann über die Einwerbung weiterer Mittel nachgedacht werden. Das Denkmal ist ja damals auch aus einer Spende von Bürgern entstanden. Es gibt keinen guten Grund, das Denkmal zu entfernen.“

Jan Werquet, Historiker Focke-Museum

„Die Bewahrung des kulturellen Erbes der Stadt ist eines der Hauptanliegen des Focke-Museums. Dementsprechend befürworten wir auch die Erhaltung von Denkmälern, deren politische Aussage wir heute kritisch sehen. Diese Denkmäler sind historische Zeugnisse. Sie veranschaulichen politische Zusammenhänge, die zu früheren Zeiten die Stadt geprägt haben. Ihre Präsenz ist notwendig, um die Bremer Stadtgeschichte nachvollziehen zu können.“

Miriam Strunge, Kulturpolitische Sprecherin der Linken

"Bismarck ist kein Held und kein Vorbild. Er hat drei Kriege provoziert und war überzeugter Monarchist und Antidemokrat. Er stand für Ausgrenzung von Katholiken und Sozialisten, arbeitete mit Parteienverbot und Entzug von Grundrechten. Ein Denkmal zu seinen Ehren ist meiner Meinung nach nicht erhaltenswert. Gelder für die Instandhaltung können an anderer Stelle sinnvoller verwendet werden. Deshalb sollte man das Denkmal eher abbauen, als es aufwendig zu restaurieren."

Lothar Machtan, Professor für Geschichte, Uni Bremen

„Ich halte das Bremer Bismarck-Denkmal für künstlerisch wertvoll und insofern auch für wert, restauriert zu werden. Umso mehr, als es sich seit über 100 Jahren hervorragend in das städtebauliche Ensemble, Dom-Neues Rathaus-Domshof, einreiht. Bismarck war wie wohl fast alle geschichtsmächtigen Repräsentanten von großer Politik eine streitbare Persönlichkeit – zu Lebzeiten wie auch heute. Aber wenn man ihn auf menschliches Maß zurückholt, also nicht heroisiert oder gar zum Nationalmythos verklärt, dann darf man sich seiner Taten schon durchaus erinnern, auch im 21. Jahrhundert. Darüber hinaus ist das Denkmal ein herausragendes Beispiel bürgerlich-hanseatischer Geschichtskultur im frühen 20. Jahrhundert, für das man sich als Bremer ganz und gar nicht schämen muss. Im Gegenteil!“

Ulrich Lappenküper, Vorstand Otto-von-Bismarck-Stiftung

„Wer die Zukunft gestalten will, muss die Gegenwart verstehen. Und wer unsere Gegenwart begreifen will, muss sich auch mit dem „langen“ 19. Jahrhundert und einer seiner maßgeblichen europäischen Staatsmänner auseinandersetzen. Die Restaurierung und der Erhalt des Bremer Bismarck-Denkmals böte die Chance des Nachdenkens über eine Jahrhundertgestalt. Bismarck war eine faszinierende, komplizierte und ambivalente Persönlichkeit. Ein problematischer Ahne, der gewiss nicht zum Demokraten „geschminkt“ werden kann, aber wie kaum eine andere Person seiner Zeit Anschauungsmaterial dafür bietet, wie kompliziert der deutsche Weg zur Demokratie war – also wie wir wurden, was wir sind.“

Nils Hoberg, Stadtmusikanten-Bistro

„Ich weiß nicht, was man da machen müsste an Restauration. Es ist eben eine alte Sache, die muss aus meiner Sicht rustikal aussehen. Es gibt so viele andere Themen, die zehnmal wichtiger sind. Man könnte mehr dafür unternehmen, dass es am Marktplatz belebter ist. Und es wird hier nicht attraktiver durch ein restauriertes Denkmal – deswegen kommen die Leute nicht her. Es ist zwar wichtig, so etwas instand zu halten, aber ich frage mich auch, wie viel Geld da rein fließt.“

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