Sächsischer Verfassungsschutz sammelte Daten über Vizeministerpräsidenten und Grüne

Sachsens Wirtschaftsminister, Vizeministerpräsident und SPD-Landeschef Martin Dulig stand im Visier des Verfassungsschutzes.

Sachsens Wirtschaftsminister, Vizeministerpräsident und SPD-Landeschef Martin Dulig stand im Visier des Verfassungsschutzes.

Berlin. Sachsens Verfassungsschützer haben in den vergangenen Jahren nicht nur Informationen über Parlamentarier von AfD und Linken gesammelt. Wie erst jetzt bekannt wurde, standen auch mehrere sächsische Grünen-Politiker sowie der stellvertretende Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) vereinzelt im Blickpunkt des Inlandsgeheimdienstes. Das geht aus einem Dokument des Parlamentarischen Kontrollausschusses (PKK) hervor, das der Leipziger Volkszeitung (LVZ) vorliegt. In allen Fällen ging es jeweils um das Engagement der Abgeordneten gegen Rechtsextremismus.

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Über den seit 2014 auf der sächsischen Regierungsbank agierenden Sozialdemokraten Dulig wurde unter anderem eine Aktennotiz zu kritischen Äußerungen über die CDU angefertigt. Dulig hatte dem Koalitionspartner in einem Twitter-Posting eine verharmlosende Rolle beim Thema Rechtsextremismus vorgeworfen – was offenbar Grund genug für den sächsischen Inlandsgeheimdienst war, dies in seinen Akten zu vermerken. Dulig hatte benannt, „dass auch die CDU eine Verantwortung dafür trägt, welche Zustände heute in Sachsen hinsichtlich Rechtsextremismus und Rassismus herrschen“.

Die Grünen-Politikerin Christin Melcher ist den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes dagegen als Erstunterzeichnerin der „Leipziger Erklärung für Zivilcourage“ aufgefallen – was ebenfalls zu einem Akteneintrag führte. Beim Grünen-Politiker Valentin Lippmann waren es kritische Äußerungen zur eskalierten „Querdenken“-Demonstration im November 2020 in Leipzig, die zu seiner Registrierung beim Inlandsgeheimdienst führten.

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Bereits im Februar waren die LfV-Einträge zu den sächsischen Linken-Abgeordneten Marko Böhme und Rico Gebhardt bekannt geworden. Hier war unter anderem Böhmes Engagement für die antifaschistische Initiative „Leipzig nimmt Platz“ ein Grund für die Aufnahme in die Akten des LfV.

Melcher: Speicherung ist rechtswidrig

„Ich habe bereits im vergangenen Jahr ein Auskunftsersuchen beim Landesamt für Verfassungsschutz gestellt. Aus dem erteilten Bescheid wird deutlich, dass der Verfassungsschutz in seinen Datenbanken offenbar alles Mögliche speichert“, erklärte Christin Melcher am Dienstag auf LVZ-Nachfrage. Die fortdauernde Speicherung von Informationen, welche Demoaufrufe eine Abgeordnete unterzeichnet oder an welchen Sitzungen von Ausschüssen sie teilgenommen hat, sei dabei definitiv rechtswidrig. „Der Verfassungsschutz ist kein Archiv, sondern ein Geheimdienst, der an enge rechtliche Grenzen gebunden ist, was er überhaupt speichern darf“, so Melcher weiter.

Ein Großteil der Akteneinträge zu SPD, Grünen und Linken stammt aus der Zeit des früheren sächsischen Verfassungsschutzpräsidenten Gordian Meyer-Plath. Dieser wurde im Juni 2020 abberufen, nachdem bekannt geworden war, dass der LfV Informationen zu AfD-Abgeordneten gesammelt hatte. Diese sollen in der Folge gelöscht worden sein. Seit 1. Juli 2020 ist Dirk-Martin Christian neuer Chef des sächsischen Inlandsgeheimdienstes. Die Akteneintrag zum Grünen-Abgeordneten Valentin Lippmann stammt aus dem November 2020.

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Dulig: furchtbarer Geist beim Verfassungsschutz

Sachsens stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig erklärte am Dienstag dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Als ich die Antwort bekam, bin ich aus allen Wolken gefallen. Das ist der alte, furchtbare Geist, der beim Verfassungsschutz herrschte: Nur die CDU ist Staatspartei in Sachsen, und alles, was der CDU gegenübersteht, muss erfasst und beobachtet werden. Ich kann darüber nur den Kopf schütteln.“

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) kritisierte die Datensammlung scharf. „So etwas darf nicht stattfinden. Gerade ein Verfassungsschutz muss rechtlich sauber und unangreifbar arbeiten“, sagte Kretschmer dem RND. „Es wurden Daten zu Abgeordneten gesammelt, die nicht gesammelt werden durften, deshalb war die Löschung der Daten zwingend.“ Das habe auch die Parlamentarische Kontrollkomission in ihrem Abschlussbericht deutlich gemacht. „Die umgehende Überprüfung der Vorgänge war daher notwendig und folgerichtig“, sagte Kretschmer.

Die Aufgaben des Inlandsgeheimdienstes sind im sächsischen Verfassungsschutzgesetz geregelt. In Paragraf zwei ist dabei festgelegt, dass Daten über Personen nur im Fall von Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung sowie bei sicherheitsrelevanten Tätigkeiten gesammelt werden dürfen. Bei der Datensammlung über Politiker der Regierungskoalition und der Linken sei keine dieser Voraussetzungen erfüllt, urteilt die Parlamentarische Kontrollkommission.

Der sächsische Verfassungsschutz räumte inzwischen Fehler bei der Speicherung von Abgeordnetendaten ein. Es seien inzwischen eine Reihe von rechtlichen und organisatorischen Maßnahmen auf den Weg gebracht worden, „die künftig eine rechtssichere Vorgehensweise sicherstellen“, teilte Verfassungsschutzchef Dirk-Martin Christian am Dienstag in Dresden mit, wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet.

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