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VERFASSUNGSSCHUTZ Wie bei Edgar Wallace

aus DER SPIEGEL 45/1953

Letzte Woche wußte die Polizei noch immer nicht, wo sich der Journalist Dr. phil. Horst Krüger, 38, zuletzt in Wiesbaden wohnhaft, verborgen hält. Krüger hat noch die restlichen drei jener acht Monate Gefängnis abzusitzen, die ihm die Erste Große Strafkammer des Landgerichts Wiesbaden - unter Anrechnung der Untersuchungshaft - am 29. August wegen Verstoßes gegen Paragraph 175 des Strafgesetzbuches zudiktiert hatte.

Daß ein erwachsener Mann mit dem Paragraphen 175 in Konflikt gerät, wäre nun nichts Erwähnenswertes, wenn der Dr. Krüger nicht just zu der Zeit, da ihm dies passierte, Angehöriger des hessischen Verfassungsschutzamtes gewesen wäre. Aber auch das wäre möglicherweise noch nicht hervorgehoben worden, wenn der hochgewachsene hagere Berliner Krüger sich nicht beim ersten Termin vor dem Landgericht mit der Erklärung verteidigt hätte, er habe mit einem Sechzehnjährigen quasi um des Staates willen, sozusagen in behördlichem Auftrag, Freundschaft geschlossen.

So kam es, daß sich der Krüger-Prozeß in Wiesbaden zu einem öffentlichen Exkurs über Aufgaben und Methoden des Verfassungsschutzes entwickelte. Denn diese Aufgabe war dem Dr. Krüger vom hessischen Verfassungsschutz gestellt: unter den unglücklich Veranlagten V-Leute anzuheuern, die ihrerseits gleichgesinnte Staatsfeinde aufstöbern sollten.

Über sein Metier läßt sich Verfassungsschützer Dr. Krüger noch gesondert in seinen Memoiren aus, die er zum Teil im Gefängnis verfaßte und deren Beschlagnahme beim letzten Prozeßtermin in Sachen Krüger vom Landgericht Wiesbaden aufgehoben wurde.

»Dem Verfassungsschutzamt war bekannt geworden«, berichtet Krüger in diesen Memoiren, »daß sich unter den Homosexuellen, die in Organisationen zusammengefaßt sind, Agenten für die Westmächte und für den Osten befanden. Zum Beispiel waren führende Mitglieder der aufgelösten FDJ in Hamburg in den dortigen Klub eingetreten, hatten den Aufbau eines ''Heimes'' durch Zurverfügungstellung einer größeren Geldsumme ermöglicht und benutzten nun diesen homosexuellen Klub als Anlaufstelle für ihre kommunistische Propaganda ...

»Wir standen also vor der Notwendigkeit, in diese Kreise unauffällig einzusickern,

um herauszubringen, in welchem Maße dort kommunistische oder deutschfeindliche Spionage getrieben wurde. Das war ein schwieriges Unterfangen, denn der damit Beauftragte mußte zwangsläufig den Anschein erwecken, er sei selber homosexuell, weil sonst von diesen Leuten nichts zu erfahren ist. Sie fürchten den Paragraphen 175, und so sehr sie sich oft untereinander in den Haaren liegen, nach außen, gegen die Normalen, halten sie wie Pech und Schwefel zusammen ...«

Krügers apartestes Beispiel ist der Fall jenes Schuhfabrikanten-Sohnes aus Chemnitz, dessen Bekanntschaft er durch Vermittlung eines einschlägigen Freundschafts-Klubs in Wiesbaden gemacht hatte. Der junge Mann, berichtete Krüger, habe 1949 auf der Leipziger Messe einen französischen Marquis kennengelernt, der damals in Garmisch ein Heim der »Afta« ("Allied Friendship Travel Association") geleitet habe. Der junge Mann sei mit nach Garmisch gefahren und habe dort als Sekretär des Marquis Wunder über Wunder erlebt:

»Dieses Garmischer Heim war nämlich weiter nichts als eine besonders pikante Anlaufstelle für fremde Geheimdienste.« Der junge Mann aus Chemnitz sei dann ein ganzes Jahr in dem Lager geblieben.

»Diesen Mann konnte ich gebrauchen, falls es gelang, ihn in geheimdienstlicher Beziehung auf uns umzuschulen.« Soweit Krügers Aufzeichnungen.

Als nun in Wiesbaden der Prozeß gegen den Staatsschützer Krüger begann, beantragte Staatsanwalt Schmitt-Jüttner, Experte für politische Delikte in Wiesbaden, schon am ersten Verhandlungstag den Ausschluß der Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Staatssicherheit. »Weil hier Fragen der Organisation und der Arbeitsweise des Verfassungsschutzamtes erörtert werden.«

Für den Staatsanwalt war dieser Antrag um so dringender, als er aus den Akten wußte, daß Krüger in seinen schnell zusammengeschusterten Memoiren einige hohe Beamte hessischer Ministerien nicht gerade schonend behandelt hatte.

Aber Staatsanwalt Schmitt-Jüttner hatte nicht damit gerechnet, daß die Erste Große Strafkammer unter Landgerichtsdirektor Dr. Otto Nickel, Wiesbadens Experten für Sittlichkeitsdelikte, sich ihre eigenen Gedanken

über den Prozeßstoff machen würde. Meinte der Landgerichtsdirektor: »Es passieren immer mal Pannen, und man kann nicht jede Panne der Öffentlichkeit entziehen.«

Der Staatsanwalt stellte einen neuen Antrag: Der derzeitige Chef des hessischen Verfassungsschutzamtes, Regierungsdirektor Arno Maneck, solle als Sachverständiger zur Frage der Staatssicherheit gehört werden.

»Aber Herr Staatsanwalt«, wunderte sich Richter Dr. Nickel demonstrativ, »ein ernstes Wort: Erwarten Sie wirklich von einem deutschen Gericht, daß wir mithelfen sollen, die Interessen der Exekutive zu decken? Welche Vorwürfe sind den Nazi-Richtern gemacht worden, weil sie sich haben unter Druck setzen lassen! Wir stehen unter keinem Druck!«

Unter solcherlei Debatten zwischen Staatsanwalt und Richter kam dann auch der Angeklagte Krüger zum Erzählen: wie er bereits 1938 in Berlin als HJ-Stammführer nach Paragraph 175 bestraft wurde; wie er dann im Januar 1952 - zuerst als Archivar - nach TO A III beim hessischen Verfassungsschutzamt angestellt worden sei*); wie er schließlich in Wiesbaden den jungen Mann kennengelernt habe. Und: »Beim Verfassungsschutzamt war mir für die Betätigung auf diesem Gebiet ja Straffreiheit zugesichert worden.«

Erst als Richter Dr. Nickel den Angeklagten Krüger am zweiten Verhandlungstag ins Gebet nahm und ihn fragte, ob er seinen von ihm doch so geschätzten jungen Freund tatsächlich nur für den Geheimdienst habe abrichten wollen, räumte Krüger ein, daß die Beziehungen nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Verfassungsschutzes zu betrachten seien.

Das Gericht allerdings gab sich damit noch nicht zufrieden. Es wollte gern wissen, ob Krüger vom hessischen Verfassungsschutzamt wirklich eine Blanko-Ermächtigung erhalten hatte und dadurch moralisch unterminiert worden war.

Zu diesem Zweck wurde beschlossen, den einstigen Leiter des hessischen Verfassungsschutzes, den nach seinem zweiten Schlaganfall in Bad Wiessee untergekrochenen Oberregierungsrat a.D. Paul Schmidt zu vernehmen. Ob des schlechten Gesundheitszustandes von Schmidt reiste das Gericht mit Mann und Maus nach Tegernsee.

STAATSANWALT SCHMITT-JÜTTNER gleich zu Beginn: Ich beantrage, die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Staatssicherheit auszuschließen.

VORSITZENDER DR. NICKEL: Herr Staatsanwalt, welcher Staat soll gefährdet sein?

STAATSANWALT: Es handelt sich um den hessischen Staat, darüber hinaus aber auch um das westdeutsche Bundesgebiet, denn die Erkenntnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz kommen ja auch der Bundesrepublik zugute.

VORSITZENDER: Durch welche Dinge soll die Staatssicherheit gefährdet sein? Ich bin dagegen, daß der Begriff der Staatssicherheit verwässert wird. Es darf nicht eine billige Scheidemünze sein ...

STAATSANWALT: Es dürfte genügen, daß die Sache Geheimnisschutz genießt und nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich ist. Die Sache ist ja auch als »Geheim« gekennzeichnet.

VORSITZENDER: Aber, Herr Staatsanwalt, das geht uns doch nichts an. Ich sehe vorläufig auch nicht im geringsten ein, daß etwa die Offenbarung einer Equipe von V-Männern ... damit muß jeder Geheimdienst rechnen.

*) Krüger schied mit Wirkung vom 13. Januar 1953 wieder aus dem Verfassungsschutzamt aus, erhielt aber noch bis zum Sommer 1953 seine Bezüge. STAATSANWALT: Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, die Staatsanwaltschaft zu examinieren.

VORSITZENDER: Ich bitte Sie ja nur, Ihren eigenen Antrag mit Substanz zu belegen.

STAATSANWALT: Ich muß hier wiederholen, daß in einer gleichartigen Verhandlung, bei der es um das Bundesverfassungsschutzamt ging, ohne weitere Erörterung die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde.

VORSITZENDER: Sie können uns hier nicht auf einen mechanischen Präjudizienkult verweisen. Über diese Eselsbrücke gehen wir nicht. Glauben Sie nicht, daß das Eigensinn von uns wäre! Ich selber bin der Ansicht, daß ein solcher Antrag wirklich nur in ernsten Fällen gestellt werden sollte ... Der Staat täte mir leid, dessen Sicherheit gefährdet würde, wenn ein paar politische Strichjungen bloßgestellt werden! -

Es nützte Staatsanwalt Schmitt-Jüttner nichts, daß er zum siebtenmal im Verlaufe des Verfahrens den Antrag auf Ausschluß der Öffentlichkeit stellte. Das Gericht zog sich kurz zur Beratung zurück. »Der Herr Vertreter der Staatsanwaltschaft hat nichts Neues zur Begründung seines Antrages beigebracht«, begründete Landgerichtsdirektor Dr. Nickel die Ablehnung des Antrags.

Dann stieg der Oberregierungsrat a.D. und einstige Verfassungsschutz-Chef Paul Schmidt, 61, in den Zeugenstand und erläuterte die Aufgaben, die Krüger zuletzt im Verfassungsschutzamt gehabt hatte: »Er hatte einmal Leute festzustellen, die nachrichtendienstlich tätig sind, als Homosexuelle, eventuell unter Homosexuellen, zweitens ...«

STAATSANWALT SCHMITT-JÜTTNER, unterbrechend: Über den Inhalt des Auftrages darf der Zeuge nichts sagen!

SCHMIDT, weiter: Das, was er tun mußte, das konnte er nicht allein. Dazu mußte er sich V-Leute unter den Homosexuellen schaffen. Das war seine Aufgabe.

VORSITZENDER zu Schmidt: Haben Sie eine Ahnung, in welcher Form er an die Homosexuellen herankam, in welchem Milieu er sich bewegte? Haben Sie eine Ahnung, auf welche Weise er das machte,

ob er sich in Kneipen herumtrieb, wo solche Leute verkehrten ...?

SCHMIDT: Das war seine Sache.

VORSITZENDER: Der Umgang mit solchen Leuten ist ja Geschmacksache. Sowas verpflichtet ja in gewissen Lagen. Hatte er auch den Auftrag, sich weiter mit ihnen einzulassen?

SCHMIDT: Einzulassen auf gar keinen Fall.

VORSITZENDER: Ich meine: sich selbst homosexuell zu beteiligen?

SCHMIDT: Auf keinen Fall. Ich habe ihm gesagt, mit welcher Vorsicht er da herangehen muß ... Es war meine selbstverständliche Annahme, daß jemand sich selbst dann nicht einläßt ...

STAATSANWALT zu Schmidt: Sollte die Tätigkeit eine mittelbare oder eine unmittelbare sein?

SCHMIDT: Man fängt unmittelbar an. Wenn das Netz mal steht, ist es mittelbar ... Es gibt ein Netz, wo dem Verfassungsschutzamt nur der erste Mann bekannt ist und sonst keiner ...

VORSITZENDER: Das kann man bei Edgar Wallace alles ausgezeichnet nachlesen ... Herr Zeuge, haben Sie aus den Berichten des Angeklagten den Schluß gezogen, daß das unmittelbare oder mittelbare Informationen waren?

SCHMIDT: Das war wohl beides.

STAATSANWALT: Hätten Sie für die Aufgabe auch einen anderen als Dr. Krüger einsetzen können?

SCHMIDT: Nur auf Grund seines Drängens ist er eingesetzt worden. Sonst hätte ich einen anderen eingesetzt.

STAATSANWALT: War dem Zeugen bekannt, daß der Angeklagte wegen Paragraph 175 bestraft ist?

SCHMIDT: Nein. -

Da nutzte es Krüger nun auch nichts mehr, daß sein Verteidiger die falsche Kennkarte hervorkramte, die Krüger für seine Tätigkeit durch Vermittlung des Verfassungsschutzamtes erhalten hatte. Auf ihr waren ein falsches Geburtsdatum, ein falscher Beruf und eine falsche Wohnung angegeben.

KRÜGER: Der Beamte, der mir die Karte gab, hat gesagt: Wenn ich bei einer Razzia erwischt werde, sollte ich diesen Ausweis vorlegen. Das genügte ...

VORSITZENDER: Bezog sich der Ausweis allgemein auf Ihre Tätigkeit im Amt oder nur auf Ihren delikaten Auftrag?

KRÜGER: Nur auf den delikaten Auftrag. Das ist auch der Grund, warum der richtige Name darin steht, obwohl sonst vieles falsch ist. Sonst wird oft auch der Name geändert. Aber bei mir ließ man den Namen, weil frühere Verbindungen zu diesen Kreisen bestanden. Außerdem wurde ich fünf Jahre jünger gemacht, damit ich attraktiver wirkte ... -

Es half nichts mehr: Um seine acht Monate kam Dr. Krüger nicht herum. Wobei das Gericht bei der Urteilsfindung sogar noch berücksichtigt hatte, daß der Angeklagte »sich in einer Situation befand, die ihm den Blick für das Niederträchtige, Verbrecherische seines Handelns trübte«.

»Was mit ihm im Verfassungsschutzamt aufgestellt worden ist«, meinte Dr. Nickel bei der Begründung des Urteils, »kann in keiner Weise gutgeheißen werden. Denn das hat ja nichts mehr mit Staatssicherheit zu tun. Das ist ja die reinste Kolportage, die wir hier haben anhören müssen ...«

Von Leuten, die der SPD nicht nahestehen, aufs Land evakuiert, schreibt Krüger jetzt seiner Memoiren zweiten Teil zu Ende, mit neuen Einzelheiten aus der hessischen Staatskutsche. »Privataufzeichnungen Dr. Krüger, vor staatsanwaltlichem Diebstahl wird gewarnt«, steht auf dem Aktendeckel.

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