Zukunft der Europäischen Union:Scholz pocht auf EU-Reformen

Zukunft der Europäischen Union: Olaf Scholz wünscht sich eine "Modernisierung der Strukturen und Entscheidungsprozesse" in der EU.

Olaf Scholz wünscht sich eine "Modernisierung der Strukturen und Entscheidungsprozesse" in der EU.

(Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Der Bundeskanzler will sich beim Gipfel der Mitgliedsländer für eine Erweiterung unter bestimmten Bedingungen aussprechen. So solle Deutschland etwa im Parlament mehr Abgeordnete bekommen.

Von Daniel Brössler, Berlin

Deutschland macht wesentliche Reformen in der Europäischen Union zur Bedingung für die Aufnahme der Ukraine und anderer neuer Mitglieder in die Gemeinschaft. "Bevor ein Staat wird beitreten können, wird sich die EU weiterentwickeln müssen", hieß es am Montag mit Blick auf den am Donnerstag in Brüssel beginnenden EU-Gipfel aus der Bundesregierung. Schon jetzt sei die EU "bei Entscheidungsverfahren manchmal nicht so handlungsfähig, wie wir es uns wünschen".

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte bereits am Wochenende eine "Modernisierung der Strukturen und Entscheidungsprozesse" in der EU angemahnt und die Forderung nach Mehrheitsentscheidungen etwa in der Außenpolitik bekräftigt. Die Bundesregierung signalisiert nun allerdings weitergehende Wünsche. So solle Deutschland unter anderem künftig mit mehr Abgeordneten im EU-Parlament vertreten sein.

Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD) hatte am Sonntag klargestellt, dass Deutschland eine stärkere Vertretung anstrebt. "Wir müssen etwas bei den Stimmrechten und der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments machen", sagte er beim European Council on Foreign Relations in Berlin.

Damit bahnen sich sowohl Konflikte um die Stimmengewichtung im Rat der EU als auch um die Sitzverteilung im Europäischen Parlament an. In beiden Fällen kommt es derzeit zu deutlichen Verzerrungen, um die Marginalisierung kleinerer Mitgliedstaaten zu verhindern. So verfügt Deutschland, mit 83 Millionen Einwohnern größter EU-Staat, über 96 Sitze, das kleine Malta mit etwa 500 000 Einwohnern über sechs Sitze.

Die Bundesregierung will diesen Effekt zumindest dämpfen und verweist bei ihren Forderungen auf die "Kopenhagener Kriterien", die von der EU 1993 als Bedingungen für den Beitritt neuer Mitglieder festgelegt wurden. Demnach müssen die Kandidaten politisch, wirtschaftlich und in ihrer Gesetzgebung dem EU-Standard entsprechen. Ein weiteres Kriterium sei aber auch die Aufnahmefähigkeit der EU, hieß es aus der Bundesregierung. "Wir sprechen nur das Offensichtliche aus", sagte eine Beraterin des Kanzlers. Für die Kandidatenländer könnte dies allerdings dazu führen, dass sie selbst im Falle eigener erfolgreicher Reformen durch interne Konflikte in der EU gebremst werden. In der Vergangenheit hatten Machtfragen teils zu erbittertem Streit geführt.

Deutschland hat keinen der Sitze erhalten, die durch den Brexit frei wurden

Die Bundesregierung will nun dennoch insbesondere im Falle des EU-Parlaments eine Benachteiligung gegenüber anderen großen oder mittelgroßen Staaten nicht mehr hinnehmen. Dies sei nicht mehr akzeptabel, hieß es auch aus der SPD. Anders als andere Staaten hat Deutschland keinen der durch den Brexit frei werdenden Sitze erhalten. Die Frage würde durch einen Beitritt der Ukraine an Brisanz gewinnen, da es mit 44 Millionen Einwohnern wie Polen und Spanien zu den mittelgroßen Staaten zählt und die Balance in der EU stark beeinflussen würde. In Brüssel hieß es, für diese Überlegungen sei es noch viel zu früh.

Bundeskanzler Scholz will sich beim EU-Gipfel sowohl dafür einsetzen, dass die Ukraine und Moldau den Status als EU-Kandidaten erhalten, als auch den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien forcieren. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) forderte am Montag am Rande eines EU-Außenministertreffens in Luxemburg, im Falle der Ukraine "nicht nach Schema F zu verfahren, sondern diesen historischen Moment zu nutzen und der Ukraine mit Blick auf ihre Perspektive deutlich zu machen: Ihr gehört mitten in die Europäische Union". Die Herausforderungen und Aufgaben für den Beitrittsprozess seien "wahnsinnig groß", niemand wolle aber, dass man in ein paar Jahren zurückschaue und sage: "Wie konnten wir diese Weichenstellung nicht nutzen?"

Hilfe für die von Russland überfallene Ukraine soll auch bei dem am Sonntag beginnenden G-7-Gipfel auf Schloss Elmau eines der zentralen Themen sein. Auf Einladung von Gastgeber Scholz wird der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij zugeschaltet. Für Scholz bietet der Gipfel ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt die Gelegenheit, sich als internationaler Krisenmanager zu präsentieren. So wollen die stärksten westlichen Industrienationen über den Umgang mit der angespannten weltwirtschaftlichen Lage beraten. Ein strikter Sparkurs solle vermieden werden, hieß es. Voranbringen will Scholz auch sein Vorhaben eines "Klimaclubs", der Handelskonflikte bei der Umsetzung der Klimaziele verhindern soll.

Von Elmau reist Scholz kommenden Dienstag dann weiter zum Nato-Gipfel in Madrid, der ebenfalls vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geprägt werden wird und ein neues strategisches Konzept verabschieden soll.

Zur SZ-Startseite

MeinungEuropäische Union
:Der EU stehen Jahre der Prüfung bevor - für die Kandidaten wie für die Mitgliedstaaten

Wenn die EU neue Mitglieder aufnehmen will, benötigt sie vorher eine Reform an Haupt und Gliedern. Für die Ukraine sind das nicht unbedingt gute Nachrichten.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: