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„Flüchtlinge werden Renten der Babyboomer zahlen“

„Flüchtlinge sind langfristig eine Chance“

DIW-Präsident Marcel Fratzscher sagt, ein Flüchtling erwirtschafte spätestens nach sieben Jahren mehr, als er den Staat koste. Er sieht die Flüchtlingskrise als "Weckruf" für Deutschland.

Quelle: Die Welt

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Die Ausgaben für Flüchtlinge wirken laut dem Präsidenten des Instituts für Wirtschaftsforschung wie ein Konjunkturprogramm. Der Arbeitsmarkt sei bereit für Flüchtlinge. Die Probleme? Liegen woanders.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, warnt davor, angesichts der Flüchtlinge im Land den Eindruck zu erzeugen, für Einheimische würden Wohnungen, Arbeit oder Ausbildungsplätze knapp. „Die Hochstilisierung eines Verteilungskampfes ist absolut fatal und der größte Fehler, den die Politik begehen kann“, sagte Fratzscher dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin.

Deutschland stehe besser da als jemals, um diese Herausforderung zu bestehen. „Der Arbeitsmarkt ist hervorragend aufgestellt: Wir haben eine Million freie Stellen“, sagte Fratzscher. Der Ökonom verwies darauf, dass bis zum Jahr 2030 fünf Millionen Berufstätige aus den geburtenstarken Jahrgängen in Rente gehen: „Viele der Geflüchteten werden die Renten der Babyboomer zahlen.“ In den vergangenen Jahren seien in Deutschland rund drei Millionen neue Jobs entstanden. Die Hälfte sei an Menschen mit Migrationshintergrund gegangen: „Wir haben immer wieder gezeigt, dass wir integrieren können“, sagte Fratzscher. Etwa ein Viertel der Geflüchteten sei gut qualifiziert. In diesem Jahr könnten bis zu 100.000 Menschen in Arbeit gebracht werden.

Zustände im Flüchtlingslager Idomeni immer dramatischer

Wie dramatisch die Situation der Flüchtlinge in Idomeni ist, zeigen diese Aufnahmen. Von einem Lkw des Roten Kreuzes werden Hilfsgüter verteilt. Ein blutender Helfer wirft die Säcke in die Menge.

Quelle: Die Welt

Die Zahl der nach Deutschland einreisenden Flüchtlinge hat in den vergangenen Tagen durch die Schließung der Balkanroute deutlich abgenommen. Unterdessen treibt Österreich Planungen für Kontrollen an weiteren Grenzübergängen voran. Es sei davon auszugehen, dass die Flüchtlinge nach der Schließung der Balkanroute versuchen würden, auf andere Routen auszuweichen, sagte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner der „Welt am Sonntag“. Die Situation an der griechischen Grenze bei Idomeni bleibt unterdessen angespannt. Derzeit harren 12.000 Menschen in dem Lager aus - in der Hoffnung, irgendwann Richtung Nordeuropa weiterreisen zu können. Die griechische Regierung versucht, die Menschen mit Bussen nach Athen oder andernorts zu bringen, um die Lage zu entschärfen.

„Langsame Bürokratie“ als entscheidendes Integrations-Problem

Fratzscher, der zu den führenden deutschen Wirtschaftswissenschaftlern zählt, hatte im vergangenen Jahr eine Studie veröffentlicht, wonach der ökonomische Nutzen durch die Zuwanderung von Flüchtlingen langfristig höher ist als die Kosten. Er plädiert dafür, die Ausgaben des Staates nicht ausschließlich als Kosten, sondern als Investitionen anzusehen, die auf längere Sicht Wirtschaft und Gesellschaft zugutekommen.

Unternehmen ermöglichen Flüchtlingen einen Neustart

Gemeinsam mit 300 Unternehmen und dem DIHK will Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel Flüchtlinge schnell in Arbeit bringen. Die Initiative soll Migranten den Neuanfang in Deutschland erleichtern.

Quelle: Die Welt

Zwar seien die Ausgaben in diesem Jahr mit voraussichtlich rund 15 Milliarden Euro hoch, räumte Fratzscher ein. Die Summe entspreche etwa 0,5 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung. Doch seien das Gelder, „die wie ein Konjunkturprogramm wirken“. Nicht die Finanzierung und der Arbeitsmarkt seien die entscheidenden Probleme bei der Integration, sondern „die langsame Bürokratie“. Er forderte „quantifizierbare Ziele für die Integration, damit die Politik Rechenschaft ablegen muss“.

Der 45-jährige DIW-Chef will am Montag gemeinsam mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), und Finanz-Staatssekretär Jens Spahn (CDU) sein Buch „Verteilungskampf“ vorstellen. Die Ungleichheit in Deutschland verschärfe die Ängste gegenüber Flüchtlingen, argumentiert Fratzscher: „Es gibt kaum ein Land in Europa, in dem die Chancen so ungleich verteilt sind.“

Zahl der in Deutschland lebenden Flüchtlinge unklar

Die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland ist nach Informationen der in Berlin erscheinenden „taz“ weniger stark gestiegen als angenommen. Von Ende 2014 bis Ende 2015 sei die Zahl um knapp 600.000 Menschen angewachsen. Dem gegenüber stünden Angaben des Bundesinnenministeriums, wonach 2015 eine Million Menschen als Flüchtlinge in Deutschland registriert wurden. Die Diskrepanz erkläre sich aus Doppelzählungen sowie weitergereisten, abgeschobenen und zurückgekehrten Flüchtlingen, schreibt das Blatt in seiner Samstagausgabe unter Berufung auf Einschätzungen der Linkspartei.

Nach aktuellen Angaben der Bundesregierung lebten Ende 2015 insgesamt 950.000 Menschen als Flüchtlinge mit unterschiedlichem Schutzstatus in Deutschland, schreibt die „taz“. Diese Zahl basiert auf einer Kleinen Anfrage der Linkspartei im Bundestag. Hinzu kämen demnach rund 300.000 Menschen, die laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) an der Grenze als Flüchtlinge registriert wurden, aber bis Ende 2015 noch keinen Asylantrag stellen konnten. Ende 2014 lebten laut Bundesregierung bereits 627.000 Geflüchtete im Deutschland, sodass die Zahl laut dem Zeitungsbericht im vergangenen Jahr also um knapp 600.000 gestiegen sei.

epd/nago

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