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„Zäsur für die EU“ – Rechnungshof warnt vor Schuldenunion durch die Hintertür

Korrespondent Europäische Wirtschaft
(200721) -- BRUSSELS, July 21, 2020 (Xinhua) -- French President Emmanuel Macron (L) and German Chancellor Angela Merkel prepare to attend a special EU summit in Brussels, Belgium, July 20, 2020. Leaders of the European Union (EU) reached a landmark deal on Tuesday after four days of intensive negotiations over a budget for the next seven years and a massive recovery fund amid the COVID-19 pandemic. (European Union/Handout via Xinhua) (200721) -- BRUSSELS, July 21, 2020 (Xinhua) -- French President Emmanuel Macron (L) and German Chancellor Angela Merkel prepare to attend a special EU summit in Brussels, Belgium, July 20, 2020. Leaders of the European Union (EU) reached a landmark deal on Tuesday after four days of intensive negotiations over a budget for the next seven years and a massive recovery fund amid the COVID-19 pandemic. (European Union/Handout via Xinhua)
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzerlin Angela Merkel: Gemeinsamer Marsch in die Schuldenunion?
Quelle: picture alliance / Xinhua News Agency
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Der Bundesrechnungshof kritisiert die Pläne zum EU-Wiederaufbaufonds. Er sieht gleich mehrere heikle Punkte – unter anderem, dass die gemeinschaftliche Kreditaufnahme zur Dauereinrichtung zu werden droht. Die Risiken für den deutschen Steuerzahler sind erheblich.

Worum geht es

In den digitalen Postfächern der Mitglieder des Bundestags-Haushaltsausschusses landete am Donnerstagmittag ein brisantes Dokument: ein Sonderbericht des Bundesrechnungshofs (BRH), in dem die Prüfer die Pläne für den 750 Milliarden Euro schweren EU-Wiederaufbauplan kritisieren und davor warnen, dass das Vorhaben erhebliche Risiken für deutsche Steuerzahler berge.

„Deutschland wird in den Fonds voraussichtlich 65 Milliarden Euro mehr einzahlen, als es selbst Zuschüsse bekommt. Hinzu kommen weitere Haftungsrisiken in dreistelliger Milliardenhöhe“, sagte Kay Scheller, der Präsident des Bundesrechnungshofs, in einem Gespräch mit Journalisten über den Bericht. „Faktisch handelt es sich um eine Vergemeinschaftung von Schulden und Haftung – eine Zäsur für die EU.“

Kredite werden zur Dauereinrichtung

Die Warnung richtet sich vor allem an Mitglieder des Bundestags und kommt zu einem delikaten Zeitpunkt: Der Bundestag und der Bundesrat beraten aktuell über das „Eigenmittelbeschluss-Ratifizierungsgesetz“. Das Gesetz, das in ähnlicher Form auch in den 26 anderen EU-Mitgliedsländern beraten wird und teilweise sogar bereits beschlossen wurde, ist die Grundlage dafür, dass der Wiederaufbaufonds seine Arbeit aufnehmen kann.

Mit der Verabschiedung erlauben die nationalen Parlamente der EU-Kommission unter anderem, sich an den Märkten die 750 Milliarden Euro für den Fonds zu leihen, und garantieren für diese Schulden.

In diese Situation platzt jetzt das Gutachten der Prüfer, die unter anderem vor erheblichen Risiken für den deutschen Steuerzahler warnen und darauf dringen, aus dem Wiederaufbaufonds keine Dauereinrichtung zu machen. „In Krisenzeiten auf EU-Ebene eingeführte Instrumente verstetigen sich regelmäßig“, warnt etwa BRH-Präsident Scheller. „Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung sollten verhindern, dass sich die gemeinschaftliche Kreditaufnahme zu einer Dauereinrichtung entwickelt.“

Die Prüfer kritisieren nicht den Wiederaufbauplan an sich; die Entscheidung dafür sei politisch gefallen und stehe nicht infrage. Sie monieren allerdings, dass die Politik mit der Zustimmung für den Plan erhebliche Risiken eingehe – und zwar zulasten der Steuerzahler.

Deutschland haftet für knapp ein Viertel

Ihnen macht vor allem Sorgen, dass noch nicht klar geregelt sei, wie die 750 Milliarden Euro zurückgezahlt werden sollen, die sich die EU-Kommission für den Wiederaufbaufonds an den Märkten leiht. Grundsätzlich sollen 360 Milliarden davon als Kredite fließen, die in den kommenden Jahrzehnten von den betroffenen Regierungen zurückgezahlt werden. Die 390 weiteren Milliarden sollen allerdings als Zuschüsse fließen, die von den Mitgliedstaaten nicht zurückgezahlt werden müssen. Um diesen Betrag geht es. Wie die Schulden, die von der EU-Kommission dafür aufgenommen werden, abgestottert werden sollen, sei noch nicht klar geregelt, warnen die Prüfer.

Grundsätzlich haben sich Merkel, Macron und die anderen EU-Staats- und -Regierungschefs auf dem historischen Gipfel im vergangenen Juli darauf geeinigt, dass die Gelder ab 2027 aus dem EU-Haushalt zurückgezahlt werden – und zwar über 30 Jahre. Deutschland haftet für das Geld also mit seinem Anteil am Haushalt. In der aktuellen Haushaltsperiode von 2021 bis 2027 liegt Deutschlands Finanzierungsanteil für den EU-Haushalt bei rund 24 Prozent.

Neue Geldquellen sprudeln noch nicht

Wie hoch Deutschland Finanzierungsanteil für den EU-Haushalt in den Jahrzehnten danach sein wird, ist aber laut den Rechnungsprüfern noch unklar. Die exakte Höhe wird von einer Reihe von Faktoren abhängen, etwa davon, ob die deutsche Wirtschaft schneller oder langsamer wächst als die anderer EU-Länder, ob neue EU-Mitglieder hinzukommen und ob es geplante neue EU-Abgaben, die direkt in den EU-Haushalt fließen sollen, geben wird.

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Die Gipfeleinigung vom vergangenen Sommer sieht zwar auf EU-Ebene eine Reihe neuer Abgaben vor. Dazu gehören neben einer Ausweitung des Handels mit Emissionsrechten auch eine Finanztransaktionssteuer oder eine Steuer auf digitale Geschäfte vor allem großer Internetkonzerne.

All diese Einnahmequellen sind allerdings noch in der Diskussion, und es ist weder gesichert, wie viel Geld sie erlösen werden, noch dass es sie überhaupt geben wird. Lediglich eine Abgabe für nicht recyclingfähiges Plastik, deren Umfang allerdings überschaubar ist, wird bereits seit diesem Jahr fällig.

Deutschlands Anteil an der Finanzierung des EU-Haushalts wird auch vom Ergebnis der Verhandlungen über den kommenden Langfristhaushalt MFR abhängen und auch davon, ob Deutschland und andere Nettozahler weiterhin Beitragsrabatte bekommen. Die Verhandlungen dürften 2027 ähnlich zäh und toxisch werden wie im vergangenen Jahr.

„Für wie viel die Mitgliedstaaten haften, bemisst sich am Anteil am EU-Haushalt“, sagt BRH-Präsident Scheller. „Wenn andere Staaten ihre Rechnung am Ende nicht begleichen können oder wollen, haften die anderen Mitgliedstaaten anteilig.“ Die Zahlungsverweigerung eines anderen EU-Staats sei zwar ein Extremfall, trotzdem fordert der BRH, die Rückzahlungen schon jetzt in einem verbindlichen Tilgungsplan festzulegen, in dem die Anteile der Mitgliedstaaten an der Rückzahlung festgelegt sein sollen.

Das sei auch wichtig, weil das Ratifizierungsgesetz der EU-Kommission grundsätzlich die Möglichkeit gebe, weit mehr Geld an den Märkten aufzunehmen, als für den Wiederaufbauplan nötig ist. Die Mitgliedstaaten gäben mit der Ratifizierung des Eigenmittelbeschlusses Garantien ab für mindestens 4000 Milliarden Euro – oder 0,6 Prozent ihres Bruttonationalprodukts. Es ist mehr als das Fünffache des Volumens des Wiederaufbauplans. Zu diesem Ergebnis kommen auch Berechnungen des Ökonomen Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).

Aus Sicht der Rechnungsprüfer lädt diese Übersicherung geradezu dazu ein, den Wiederaufbaufonds dauerhaft zu etablieren und immer wieder neu aufzulegen – ein Gedanke, für den es nicht nur auf europäischer Ebene viele Unterstützer gibt. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) etwa hatte vergangene Woche erklärt, die Pläne seien der Weg zu einer europäischen Fiskalunion, also einer EU, die eigenständig wirtschaftet, selbst Steuern erhebt und eigenmächtig Schulden machen kann.

„Dieser Spielraum könnte Begehrlichkeiten wecken, Spekulationen über eine Verstetigung der Verschuldung befeuern und dazu verleiten, den Tilgungsbeginn hinauszuzögern“, warnt BRH-Präsident Scheller. Beim Euro-Rettungsschirm ESM hätte beispielsweise eine Übersicherung von 40 Prozent genügt.

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Das sei heikel, weil mit der Konstruktion des Fonds, anders als bisweilen behauptet, sehr wohl eine Vergemeinschaftung von Schulden stattfinde; zwar nicht unbegrenzt, gleichwohl aber in großem Umfang. „Die Mitgliedstaaten geben mit der Ratifizierung des Eigenmittelbeschlusses eine unwiderrufliche Garantie ab, für die Rückzahlung der EU-Anleihen insgesamt einzustehen“, sagt Scheller. „Theoretisch könnte die Kommission, wenn sie die EU-Anleihen tilgen muss und einzelne Mitgliedstaaten nicht zahlen, auf die übrigen Mitgliedstaaten zugehen und bis zu 0,6 Prozent des Bruttonationalprodukts eines jeden Mitgliedstaats einfordern.“ Im Fall von Deutschland beliefe sich das auf 20 Milliarden Euro im Jahr oder 600 Milliarden Euro über 30 Jahre.

Den BRH-Prüfern sind allerdings auch die Grenzen ihrer Möglichkeiten bewusst. Die Ausgestaltung des Wiederaufbauplans und der Inhalte des Ratifizierungsgesetzes wurden auf EU-Ebene beschlossen; Änderungen an dem Gesetz oder gar ein detaillierter Tilgungsplan würden die gesamte europäische Einigung ins Wanken bringen und sind praktisch unmöglich. Es gehe darum, dass den Abgeordneten bewusst sei, welche Risiken sie im Namen der Steuerzahler eingingen, sagte Scheller. Er und seine Kollegen setzen denn auch darauf, dass bei der nächsten Diskussion über eine Wiederauflage des Fonds, die sie nicht für ausgeschlossen halten, bereits ein verbindlicher Tilgungsplan verabredet wird.

Zudem sei entscheidend, dass die Bundespolitik bei der derzeit diskutierten Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes darauf dringe, dass die Regeln künftig eine strengere Haushaltsdisziplin erzwingen. Die Regeln seien der Garant dafür, dass die Euro-Staaten solide wirtschafteten. Die derzeit ausgesetzten Fiskalregeln sollen reformiert werden, und es ist bereits eine heftige Diskussion darüber entbrannt, ob sie dabei auch gelockert werden sollen.

Wie brüchig die Vereinbarungen auf europäischer Ebene sein können, zeigt der Streit über die Rechtsstaatsklausel im EU-Haushalt. Auf dem Marathongipfel im Juli hatten sich die Staats- und Regierungschefs auch grundsätzlich darauf geeinigt, dass künftig Gelder aus dem EU-Haushalt gekürzt werden könnten, wenn Mitgliedstaaten gegen Rechtsstaatsprinzipien verstoßen.

Polen und Ungarn, die Hauptadressaten dieser Regel, haben am Donnerstag vor dem Europäischen Gerichtshof dagegen geklagt – obwohl die Regierungschefs Viktor Orbán und Mateusz Morawiecki der Regel auf dem Gipfel im Prinzip zugestimmt hatten.

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