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Stolz und Vorurteil: Um dieses Wandbild von Ralf König in Brüssel gab es Streit.

© imago images / viennaslide

Die queere Comic-Szene weltweit: Zoff und Einigkeit

Wo steht die queere Comic-Szene? Ein Blick von Europa nach Nordamerika.

Ralf König ist nicht gerade der Typ schwuler Mann, der als transphob gilt. Umso erstaunlicher, dass den deutschen Wegbereiter der schwulen Comics genau solche Vorwürfe getroffen haben. Das Rainbow House in Brüssel ziert ein Wandbild des in Köln lebenden Künstlers mit unterschiedlichen Szene-Figuren, und zwei davon haben Kritik hervorgerufen, weil sie „transphobe und rassistische Vorurteile“ transportieren sollen: eine schwarze Lesbe mit großen Lippen und eine traurige Transfrau. Klarer Fall?

So einfach ist es nicht. Denn Ralf König hat keine Transfrau gezeichnet, sondern eine Drag Queen, also einen Mann, der in der Öffentlichkeit durch als weiblich angesehene Kleidung, Make-Up oder Perücken vorübergehend in eine andere Rolle schlüpft: „Ich werde immer Trümmertunten zeichnen, weil ich die überall sehe. Bei jedem CSD laufen sie rum“, sagt er dem Tagesspiegel.

Aber übertrieben dicke Lippen bei einer Person mit dunkler Hautfarbe? Geht eigentlich gar nicht. Ralf König allerdings sagt, dass seine Figuren mit Lippenstift immer so aussehen. Die Drag Queen belegt das. Abgesehen davon sieht er die lesbische Frau als starke, stolze, positive Figur.

„Die Community fängt an, sich anzugiften“

Und doch will er in Sachen Rassismus dazulernen: Dass man das Bild in Belgien mit seiner Geschichte, die vom Kolonialismus mitgeprägt wurde, missverstehen könnte, kann er nachvollziehen: „Das würde ich so nicht mehr zeichnen. Ich wäre jetzt sensibler.“ Wenn das Rainbow House oder Aktivist*innen ihm damals gesagt hätten, dass das problematisch sein könnte, hätte er seinen Entwurf auch überarbeitet.

Denn all das wundert Ralf König umso mehr, da er vor fünf Jahren zunächst auf Begeisterung stieß, als er dem queeren Zentrum in der Brüsseler Innenstadt seine Zeichnung vorlegte. Immerhin: Das Wandbild bleibt. Die aufgesprühten Worte „Transphobie“ und „Rassismus“ allerdings auch. Ein Schild soll zusätzlich aufklären.

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Den Künstler wundert das: „An diesem Bild hat doch niemand mehr Freude, wenn das so übersprüht ist.“ Von ihm aus hätte das Zentrum das Bild auch entfernen können. Was der Zeichner aber besonders verstörend findet: Dass die Kritik „aus den vermeintlich eigenen Reihen“ kam. Sitzen die eigentlichen Gegner*innen nicht woanders? Genau das ist das Problem, findet Ralf König: „Die Community fängt an, sich anzugiften.“

Die Kussszene wurde einfach weggelassen

Vielleicht hilft da ein Blick über den Teich. In den USA gibt es diese Tendenzen in der Form nicht, wie ein Besuch bei der Queers and Comics Conference im Mai in New York zeigte.

Die Zuhörenden waren bei einer Podiumsdiskussion mit europäischen Zeichner*innen überrascht, dass es die Szene hier nicht nur nach innen, aber auch nach außen manchmal noch schwer hat. Es ging unter anderem um die Verwerfungen um den ICOM-Preis, die sich an der geringen Repräsentanz von Frauen in der Jury entzündet hatte. Am Ende gibt es neben dem vorläufig geretteten ICOM-Preis mit dem GINCO-Award eine neue, inklusive Independent-Comic-Auszeichnung.

Zeichnerin Martina Schradi berichtet aber auch von Problemen mit einem deutschen Vertrieb, der ihre biografischen LGBTI*-Geschichten zwar lieferte, aber für den Buchhandel weitgehend unauffindbar machte.

Der französische Zeichner David Halphen erzählte, wie bei der Verfilmung seines Comics „Fusion Man“ die Kussszene zwischen dem Titelhelden und einem Geretteten weggelassen wurde.

Auf der anderen Seite standen positive Erfahrungen mit queeren Festival-Veranstaltungen in Frankreich von Cyril Denuet und seinem Mann und Verleger Tanguy Sévat und auch die zunehmende Offenheit deutscher Festivals wie dem Internationalen Comic-Salon Erlangen.

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Die nordamerikanische Szene zeigte sich bei der Konferenz in der School of Visual Arts – wo manche Teilnehmenden wie der mit einer Keynote geehrte Wonder-Woman-Starzeichner Phil Jimenez einst studiert hatten – stark und geeint, auch wenn dort natürlich Streitereien nicht ausblieben.

Aber schwule Sexcomic–Künstler, bisexuelle Zeichnerinnen autobiografischer Geschichten, lesbische Mainstream-Zeichnerinnen und Motorrad-Butches und vor allem viele junge trans Künstler*innen, die sich vor allem mit Webcomics beschäftigen, sie alle gaben selbst bei kontroversen Diskussionen ein recht harmonisches Bild ab.

Eine von Weißen dominierte Szene

Doch auch hier gab es Misstöne, etwa als bei einem Trans-Podium die Künstlerin Sophie Labelle berichtete, wie sie im Internet angefeindet wurde, weil sie angeblich „nicht richtig trans“ sei, und nur aus Profitgier Comics mache. Auch deshalb ein absurder Vorwurf, weil generell nur die allerwenigsten Zeichner*innen von ihren Werken leben können.

Auf der anderen Seite ist der Gebrauch geschlechtsneutraler Begriffe bis hin zu Personalpronomina – wie sie etwa Maia Kobabe in den gerade erschienenen Comic-Erinnerungen „Gender Queer: A Memoir“ wie selbstverständlich erscheinen – in der US-Szene wesentlich geläufiger und weniger kontrovers als etwa im deutschsprachigen Raum.

Als Magdalene Visaggio forderte, dass „alle neuen Charaktere queer sein sollten“, weil es schließlich „Zehntausende Hetero-Charaktere“ gebe, um alle Comics zu füllen, traf das auf Begeisterung. Und als Rupert Kinnard auf dem Panel „Queer Cartoonists of Color“ über seine ersten nicht- weißen queeren Superheld*innen Brown Bomber und Diva Touché Flambé sprach, herrschte bewundernde Stille. Seiner These, dass eine von Weißen dominierte Szene bislang eher gleiche Rechte für schwule weiße Männer gesichert habe, stieß selbst bei denen, die es betraf, auf breite Zustimmung.

Nicht nur queere Frauen waren schließlich begeistert, als Nicole Georges mit Mariko Tamaki oder Jennifer Camper mit Diane DiMassa geistreich über Comics, Frauen und Bewegung sprach. Ebenso bei Paige Braddock, die in ihrer fulminanten Keynote zurückblickte auf ihren Werdegang von der Schöpferin des ersten US-weit in Zeitungen verbreiteten queeren Comicstrips „Jane’s World“ bis zur langjährigen Kreativdirektorin von Charles Schulz’ „Peanuts“-Imperium.

Jennifer Camper, die das Treffen mit Justin Hall zusammen organisiert hatte, beendete es mit einem bemerkenswerten Aufruf, mehr queere Charaktere zu zeichnen, die böse sind. Nur so könne die Szene ihre Sichtbarkeit ausbauen und ihre Herausforderungen hochschrauben.

Im Manga-Bereich gibt es besonders viel Neues

Eine auffällige Vielfalt zeigt sich auch in den bisherigen Veröffentlichungen deutschsprachiger Comicverlage in diesem Jahr, die klassische Geschlechterbilder hinterfragen.

Während sich der anfangs unerwartete Erfolg von Liv Strömquist („Der Ursprung der Liebe“; „Der Ursprung der Welt“) jetzt mit „I’m Every Woman“ fortsetzt und das ebenfalls ins Deutsche übertragene Cowboy-Genderbender-Album „Mondo Reverso“ Aufmerksamkeit bekommen hat, gibt es vor allem im Manga-Bereich viel Neues: Der lesbische Mädchenmanga „Bloom into you“ von Nio Nakatani, die schwule Familien-Story „Der Mann meines Bruders“ von Gengoroh Tagame, der lange eigentlich eher für japanischen Männer-Gewaltpornos bekannt war, und vor allem der schonungslos autobiografische Band „Meine lesbische Erfahrung mit Einsamkeit“ von Kabi Nagata – sie alle sind jetzt auf Deutsch erhältlich und teilweise auch enthusiastisch besprochen worden.

Und es gibt Independent-Comics aus Deutschland, die sich an ein potenziell internationales Publikum richten, wie die autobiografische deutsch-russische Liebesgeschichte „Love Migration“ der Berliner Zeichnerin Elke Steiner.

Und Ralf König? Der will, wenn es sich nicht vermeiden lässt, eben „den alten Sack geben, der keine Ahnung mehr hat. Dann sollen sich halt alle mal aufregen.“ Vielleicht kann er diese Erlebnisse, die Aufgeregtheit in der öffentlichen Debatte, auch künstlerisch umsetzen: Sein nächstes Buch soll davon handeln. Details gibt es aber noch keine. Es interessiert ihn jedenfalls sehr, was das Internet mit uns allen macht.

König ist sich sicher: Ohne die Aufgeregtheit der neuen Medien würden auch Cartoons nicht so schnell bei Menschen Verbreitung finden, die vielleicht mit dem Kontext nicht viel anfangen können. Und im Fall des umstrittenen Wandbildes in Brüssel wussten die Beteiligten womöglich schon nicht mehr, wer Ralf König eigentlich ist.

Markus Pfalzgraf ist Journalist und Autor des Buches „Stripped – A Story of Gay Comics“

Markus Pfalzgraf

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