28. Juli 2019

Schlechte Helden, gute Serie

Wer tritt den Wächtern in die Weichteile? Amazons Comic-Adaption „The Boys“

Lesezeit: 4 min.

Wenn man sich den multimedialen Erfolg der Superhelden von z. B. Marvel ansieht, hinter denen inzwischen ja auch noch das Disney-Imperium steht, fällt es nicht weiter schwer, sich eine Welt wie die von Amazons neuer Serie „The Boys“ vorzustellen, in der bunt kostümierte Götter real sind – und zugleich der kommerzielle Mittelpunkt einer milliardenschweren Industrie, die von einem gigantischen Konzern beherrscht wird. Vought International kümmert sich in „The Boys“ um die Vermarkung der Superhelden, allen voran der Seven, dem Team der mächtigsten und größten Recken der Erde. Und obwohl Supermann Homelander, Wunderfrau Queen Maeve, Fischflüsterer The Deep und Co. von den Massen gefeiert werden und gerne lächelnd in die Kameras winken und ihre frommen Sprüche aufsagen, scheren sie vor allem ihre Umfragewerde, ihr Profit und ihr Vergnügen. Menschliche Kollateralschäden oder moralische Verantwortung? Darauf pfeifen die korrupten Kämpfer für das Gute, sobald die Kameras ausgeschaltet sind, den Rest bügelt die PR-Abteilung glatt.

Eines Tages rennt der Superraser A-Train praktisch durch die Freundin des Elektronikverkäufers Hughie. Der will sich mit der Abfindung, die ihm Vought zahlen will, nicht begnügen. Da kontaktiert ihn Billy Butcher, ein Schlägertyp im Langmantel, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, Vought und seine „edlen Helden“ zu Fall zu bringen. Butcher bietet Hughie die Chance, sich an den Helden zu rächen. Dafür reaktiviert er sogar seine zerstrittene alte Truppe, die Boys. An anderer Stelle wird die junge, strahlende Annie als Starlight zum neuesten Mitglied der Seven erkoren. Doch schnell muss sie feststellen, dass hinter dem Glanz der Superwelt viele dunkle Ecken lauern. Nötigung, Sexismus und Politik kommen bei Vought und den Seven schließlich vor allen Heldentaten …


Maeve und Homelander ganz in ihrem Element – „The Boys“, Amazon Prime

Zwischen 2006 und 2012 inszenierten Autor Garth Ennis („Preacher“, „Punisher“) und Zeichner Darick Robertson („Transmetopolitan“, „Happy!“) ihre Comic-Serie „The Boys“. Ennis, einer der erfolgreichsten Comic-Autoren seiner Generation, hat sich seit den 90ern den Ruf erarbeitet, drastische, derbe und bitterböse Bildergeschichten zu schreiben. Außerdem war der Ire nie ein großer Fan der amerikanischen Superhelden – entsprechend brutal, heftig und versaut wurde seine Panel-Satire auf das traditionsreiche Genre und dessen Heroen. „The Boys“ hätte sich als Fernsehserie also problemlos auf die falschen Dinge konzentrieren können, und vermutlich hat es am Ende eher geholfen als geschadet, dass Seth Rogen und Evan Goldberg, die „Preacher“ mit einigen Eigenheiten und Längen ins TV brachten, aufgrund von Terminproblemen nicht so sehr in „The Boys“ involviert waren, wie anfangs geplant. Denn das letztlich von Eric Kripke („Supernatural“) gesteuerte „The Boys“ nutzt zwar durchaus seine Freiheiten in Sachen Gewalt und Obszönitäten, aber das stets in wohldosierter, durchdachter, zweckdienlicher Form. Überhaupt stimmt das Gleichgewicht aus werkgetreuer Adaption und interessanter, stimmiger Neuinterpretation.


Mit den Jungs ist nicht gut Kirschen essen – „The Boys“, Amazon Prime

Darüber hinaus punktet Amazons Eigenproduktion „The Boys“ mit seiner filmischen Optik und Anmutung, seiner sehr stilsicheren Umsetzung sowie seinem starken Cast. Karl Urban (Butcher) wird nach seinen Auftritten als Judge Dredd und Pille endgültig zum Liebling aller Geeks. Jack Quaid (Hughie) und Erin Moriarty (Annie) trumpfen als Sympathieträger auf, mit denen wir in die gewalttätige, gemeine Welt der egozentrischen Superwächter vordringen. Laz Alonso (Mother’s Milk), Tomer Kapon (Frenchie) und Karen Fukuhara (Weibchen) vervollständigen die Boys in jederlei Hinsicht. Antony Starr, Dominique McElligott, Jessie Usher und Chace Crawford machen als Parodien von Superman, Wonder Woman, Flash und Aquaman alles richtig. Elisabeth Sue nimmt man die eiskalte Konzernchefin jederzeit ab. Und Simon Pegg, nach dem in den Comics damals Hughie modelliert war (eine Antwort auf „Wanted“ von Mark Millar und J. G. Jones, die Eminem und Halle Berry als Vorbilder ihrer Protagonisten nutzten), kommt in der Rolle von Hughies Dad sozusagen zu seinem Recht.

Tolle Schauspieler in einer guten Serie über schlechte Helden: „The Boys“ nähert sich den ikonisierten Superheroes mit einem kritischen und zynischen Realitätsbewusstsein – der totale, vielleicht dringend nötige, auf alle Fälle sehenswerte und unterhaltsame Gegenentwurf zu Marvels krachenden, epischen Spektakeln oder DCs düsteren, aber meist konsequenzenlosen Schlachten auf der Leinwand. Wer „The Boys“ und „Umbrella Academy“ schaut, stellt jedenfalls sicher, das komplette Superheldenspektrum abgedeckt zu haben. Mehr noch: Bis Damon Lindelofs „Watchmen“-Serienneuverquickung aufschlägt, ist ausgerechnet „The Boys“ nach Garth Ennis tatsächlich die zeitgeistkritischste und aktuellste Superhelden-Show in TV-City.

Abb.: © 2019 Amazon.com Inc., or its affiliates

The Boys – Staffel 1 • (USA/2019) • Regie: Eric Kripke, Stefan Schwartz, Jennifer Phang u. a. • Drehbuch: Eric Kripke u. a. • Darsteller: Karl Urban, Jack Quaid, Erin Moriarty, Antony Starr, Laz Alonso, Elisabeth Shue • Laufzeit: 8 Episoden mit je ca. 55 Min.

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