Als er an einem Dezemberabend im Jahr 2009 Christian Lindners Nummer wählte, hatte Guido Westerwelle genau drei Fragen. "Traust du dir das zu? Weißt du, was auf dich zukommt? Und liegt etwas gegen dich vor?" Die FDP suchte einen Generalsekretär und Westerwelles Wahl war auf die Nachwuchshoffnung der Liberalen gefallen.

Lindner, damals gerade dreißigjährig, bejahte die beiden ersten Fragen und verneinte die dritte, so berichtet er es in seinem Erinnerungsband Schattenjahre, der vor wenigen Wochen erschien. Zwei Jahre diente Lindner als Westerwelles Ausputzer, arbeitete im engsten Führungskreis dem Parteivorsitzenden zu. Bis er 2011 hinwarf – um kurze Zeit später selbst nach der Macht zu greifen.

Wie viel Westerwelle steckt in Lindner? Das fragten sich viele, nachdem er am Sonntagabend vor die Fernsehkameras trat und die Jamaika-Sondierungen kurzerhand für beendet erklärte. Überraschend, rigoros, draufgängerisch. Ganz nach der Art, die man von Westerwelle kannte.

Gewächse der liberalen Kaderschmieden

Und tatsächlich ist es mehr als nur das Amt, was Lindner und Westerwelle verbindet. Zunächst: die Biografie. Beide traten schon in jungen Jahren in die FDP ein, stiegen rasch auf und wurden zu Hoffnungsträgern. Westerwelle wurde mit 22 Jahren Vorsitzender der Jungliberalen, Lindner zog mit  21 Jahren in den nordrhein-westfälischen Landtag ein, vier Jahre später wurde er Generalsekretär der Landespartei.

Westerwelle und Lindner waren Gewächse der liberalen Kaderschmieden und fielen in der Partei früh als begabte Redner auf. Sie hatten ein Talent dafür, eine Parteiveranstaltung mit einigen markigen Worten hinter sich zu bringen, in parlamentarischen Debatten den Gegner geschickt vorzuführen. Beide vermochten es, komplexe Sachverhalte auf starke Begriffe zu reduzieren. Zwei Meister der Zuspitzung – und der Provokation. Westerwelles Wort von der "spätrömischen Dekadenz", mit dem er den vorgeblich ausufernden deutschen Sozialstaat beschrieb, sorgte 2010 für wochenlange Empörung. Sein damaliger Generalsekretär Lindner hatte kurz zuvor in ähnlich brachialliberalem Sound über den Staat als "teuren Schwächling" gehöhnt.

Vor der Bundestagswahl 2017 verstieg er sich zu der Behauptung, man müsse Russlands Besetzung der Krim als "dauerhaftes Provisorium" anerkennen. Beide, Westerwelle und Lindner, genossen es, Grenzen zu überschreiten, die Erregung anzufachen – und sich so die Plätze in den Schlagzeilen zu sichern.

Immer wieder traf sie der Vorwurf des Unernsten, Hasardeurhaften. Auch wegen ihrer Leidenschaft für eine ausgefeilte mediale Inszenierung. Westerwelle und Lindner verstanden das Spiel mit den Medien oft besser als andere Politiker. Der Eventcharakter, den Westerwelle seinen Veranstaltungen gab, das unernst Kokettierende, der Guidomobil-Wahnsinn – das traf um die Jahrtausendwende einen Nerv, schien ebenso zeitgemäß wie unangepasst.