Das Herz des deutschen Journalisten schlägt links

Neutralen Journalismus gibt es kaum. Das fängt bei der Themenwahl an und endet beim Kommentar. In der Politikberichterstattung scheint das Phänomen jedoch besonders virulent zu sein, denn bei der Parteinähe haben deutsche Journalisten stark andere Präferenzen als der Durchschnitt der Bevölkerung.

Michael Rasch, Frankfurt
Drucken
Zwei Politiker und viele Journalisten: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (r.) und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban stellen sich in Berlin der Presse. (Bild: Florian Gaertner / photothek.net)

Zwei Politiker und viele Journalisten: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (r.) und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban stellen sich in Berlin der Presse. (Bild: Florian Gaertner / photothek.net)

«Lügenpresse, Lügenpresse», schallt es in Deutschland seit mehreren Jahren immer wieder durchs Land. Zwischen Alpen und Nordsee haben vor allem Anhänger und Vertreter der AfD und Gruppierungen mit ähnlichen Einstellungen den Eindruck, Medien würden nicht objektiv berichten. Besonders stark scheint diese Wahrnehmung im Osten Deutschlands vorzuherrschen. Allerdings dürften wohl die wenigsten Journalisten und Medientitel gezielt falsch berichten. Doch woher kommt dann der Eindruck einer tendenziösen Berichterstattung, wie sie häufig vor allem auch öffentlichrechtlichen Medien wie ARD und ZDF vorgehalten wird? Zuschauer haben wohl oft den Eindruck, nicht im Informations-, sondern im Erziehungsfernsehen zu sein, das einen zu einem guten und toleranten Bürger machen soll. Liegt es an der politischen Einstellung der Meinungsmacher?

Satte Mehrheit für Grün-Rot-Rot

Vermutlich ja, denn das Herz des deutschen Journalisten schlägt links, wie empirische Studien in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt haben. In anderen Ländern sieht es nicht besser aus. In der Studie «Journalismus in Deutschland» aus dem Jahr 2017 kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass die Vertreter der Medien politisch weiterhin eher im linksliberalen Spektrum stünden. Insgesamt liegt allerdings nicht viel empirisches Datenmaterial zur politischen Einstellung und zur Parteinähe von Journalisten vor. Die Freie Universität Berlin verfasste im Jahr 2010 eine Studie im Auftrag des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes (DFJV). Dabei zeigte sich, dass es eine klare linke Mehrheit unter den Medienvertretern in Deutschland gibt. 26,9 Prozent fühlten sich den Grünen, 15,5 Prozent der SPD und 4,2 Prozent den Linken verbunden, während sich der CDU/CSU und der FDP nur 9 Prozent und 7,4 Prozent nahe sahen. Immerhin mehr als jeder Dritte fühlte sich keiner Partei zugehörig. Unterstellt man, die letzte Gruppe würde als Nichtwähler auftreten, hätte Grün-Rot-Rot unter deutschen Journalisten eine satte Mehrheit.

Auch frühere Studien aus den Jahren 2005 und 1993 kommen zu dem Ergebnis, dass sich (politische) Journalisten im Durchschnitt deutlich links der Mitte verorten. In dem Buch «Die Souffleure der Mediengesellschaft» kommen die Autoren 2005 zu den empirischen Ergebnissen, dass Journalisten ihre eigene Grundhaltung zu 18 Prozent als «links» und zu 48 Prozent als «eher links» einschätzen. Als «eher rechts» und «rechts» schätzen sich nur 17 Prozent und 2 Prozent ein. Lediglich 15 Prozent verorteten sich in der politischen Mitte. Allerdings kamen die Autoren auch zu dem Ergebnis, dass sich die deutsche Bevölkerung in ihrer Gesamtheit ebenfalls zu 48 Prozent «eher links» oder «links» einschätzt und nur zu 27 Prozent «eher rechts» oder «rechts».

«Feindliche-Medien-Phänomen»

Insofern ist die Abweichung von der Gesamtbevölkerung hier weniger auffällig als bei der direkten Frage nach den Parteipräferenzen. In den Befragungen der Jahre 1993, 2005 und 2009 kommen linke Parteien (SPD, Grüne, Die Linke) regelmässig auf einen Anteil von knapp 50 Prozent bis gut 60 Prozent, wogegen tendenziell eher rechte und liberale Parteien (CDU/CSU, FDP) lediglich Werte zwischen etwa 15 Prozent und 20 Prozent erzielen. Ein etwas ausgeglicheneres Bild zeigt eine Analyse zu den deutschen Medienmanagern der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt aus dem Jahr 2014, bei der nicht nur Journalisten, sondern auch Mitarbeiter im Verlag befragt worden sind. Hier liegt der Anteil von «links» zu «rechts» bei 21 Prozent zu 17 Prozent, wobei rund 33 Prozent sich keiner Partei verbunden fühlten und 29 Prozent keine Angaben zu ihren Präferenzen machten.

Der Vorwurf einer tendenziösen Berichterstattung sowie einer Verzerrung der Berichterstattung in Richtung linker Positionen und Wertvorstellungen ist nicht neu. Immer wieder gab es Vorwürfe an Medien wie «Verunglimpfung von Parteien» (Bernd Lucke), «Manipulation freier Meinungsbildung» (Gerhard Schröder) oder «merkelfromm» (Jürgen Habermas). Allerdings kommen Forscher auch zu dem Ergebnis, dass die Wahrnehmung der Berichterstattung durch die eigene Meinung oft verzerrt wird. Das gelte speziell für Menschen mit starken Einstellungen, die dann auch leicht abweichende Medienberichte als gegen die eigene Meinung gerichtet wahrnehmen («Feindliche-Medien-Phänomen»). Der langjährige «Fokus»-Chefredakteur Helmut Markwort, der gerade für die FDP in den Bayerischen Landtag eingezogen ist, sagte 2016, die meisten Journalisten seien laut Umfragen Wähler der Grünen und er denke schon, dass diese gefühlte Neigung zu den Grünen sich auch in der Auswahl der Themen und in der Gewichtung von Meldungen spiegele.

Illusion des neutralen Journalismus

Wie auch immer, es ist jedenfalls relativ klar, dass die politischen Einstellungen und Parteipräferenzen von Journalisten nicht dem Durchschnitt der Bevölkerung entsprechen. Manche Forscher halten den hieraus resultierenden Einfluss auf die Berichterstattung dennoch für überschaubar. Das liegt zum Beispiel daran, dass Journalisten laut empirischen Studien ihr eigenes Medium rechts von der eigenen Position verorten. Dies könnte den Links-Bias in der Berichterstattung etwas reduzieren, da die Angestellten möglicherweise nicht allzu weit von der gefühlten Haltung des Arbeitgebers abweichen wollen. Zudem führe die zunehmende Ökonomisierung, Beschleunigung und Publikumsorientierung dazu, dass individuelle Einstellungen heutzutage einen geringeren Einfluss auf Nachrichten, Entscheidungen und die Gesamtstruktur der politischen Berichterstattung hätten als in früheren Jahren. Dennoch dürfte die Vorstellung eines neutralen Journalismus eine Illusion sein – das galt in der Vergangenheit und gilt auch in der Gegenwart.

Sie können Wirtschaftsredaktor Michael Rasch auf Twitter, Linkedin und Xing sowie NZZ Frankfurt auf Facebook folgen.