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Phantomschmerzen

Das Gehirn vergisst nicht

Die meisten Menschen berichten nach einer Amputation von Phantomschmerzen unterschiedlichen Ausmaßes. Um sie effektiv zu behandeln, ist ein multimodales, individuell abgestimmtes Therapiekonzept notwendig.
Carina Steyer
03.11.2022  08:30 Uhr

Obwohl erste Berichte über Phantomschmerzen bereits aus dem 16. Jahrhundert stammen, wurde bis vor etwa 30 Jahren deutlich unterschätzt, wie häufig sie auftreten und welche Auswirkungen sie auf die psychosoziale Gesundheit und Lebensqualität der Betroffenen haben. Besonders belastend war für sie sicherlich die Zeit, als Mediziner überzeugt waren, Phantomschmerzen seien reine Einbildungsphänomene. Sie nahmen schlichtweg an, dass mit der Entfernung des Körperteils auch sämtliche Schmerzen erlöschen müssten. Später dominierte die Vorstellung, dass Veränderungen im Stumpf für die Schmerzen verantwortlich sein müssten. Für die Betroffenen war das nur eine kleine Verbesserung. Ihnen wurden mitunter Nachoperationen oder weitere Amputationen nahegelegt.

Heute weiß man, dass mehrere Mechanismen für die Entstehung von Phantomschmerzen verantwortlich sind. Eine entscheidende Rolle kommt der Neuroplastizität zu: Im sensomotorischen Cortex, dem Teil der Gehirnrinde, der für das Fühlen zuständig ist, sind alle Körperregionen und Körperteile abgebildet. Daran verändert auch eine Amputation nichts. Allerdings wird die Gehirnregion nach dem Eingriff umorganisiert. Das Gehirn registriert, dass jenes Areal, welches das amputierte Körperteil darstellt, keinen Input mehr erhält und schickt Impulse aus benachbarten Arealen dorthin. Je ausgeprägter diese sind, umso stärker ist der Phantomschmerz. Auch Hirnregionen, die für die Bewertung von Schmerzen verantwortlich sind, verändern sich nach der Amputation.

Eine weitere Rolle spielen Schmerzen im amputierten Körperteil vor dem Eingriff. Sie können bereits ein zentrales Schmerzgedächtnis ausgebildet haben, das auch nach der Amputation bestehen bleibt. Als Risikofaktor gelten zudem nicht ausreichend behandelte Schmerzen nach der Operation. Emotionale Belastung und Stress können Phantomschmerzen verstärken und dazu beitragen, dass die Schmerzen stärker empfunden werden.

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