Mehr Transparenz

Die Ampel darf mit einem Gesetz zur Auskunftpflicht nicht bis 2024 warten. Der Gastbeitrag von Hartmut Bäumer.
Die Ampelkoalition hat in der Koalitionsvereinbarung die Verabschiedung eines Transparenzgesetzes vereinbart. Die Planung, erst Ende 2024 einen Gesetzentwurf der Regierung vorzulegen, lässt befürchten, dass das Vorhaben dem Vorwahlkampf 2025 zum Opfer fällt. Angesichts der Mängel in der Rechtslage wäre dies ein Schaden für die demokratische Kultur im Lande.
Moderne repräsentative Demokratien sind zu ihrem Schutz darauf angewiesen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger jenseits von Wahlen für die Res publica interessieren, statt politikverdrossen abseits zu stehen. Eine Voraussetzung für eine Teilnahme ist die Möglichkeit, direkte, möglichst kostenfreie Informationen über Gründe staatlichen Handelns zu bekommen, ohne sich als Bittsteller gegenüber einer scheinbar allmächtigen Bürokratie zu fühlen und vom Wohlwollen derjenigen abzuhängen, über deren Handeln man gerne besser informiert wäre.
Begehrt in Deutschland eine Bürgerin oder ein Bürger eine Auskunft von einer staatlichen Stelle, muss sie/er zu oft Hürden überwinden. Nicht selten ist man im wahrsten Sinne bedient, wenn die Auskunft erst nach jahrelangem Streit vor Gerichten erteilt wird, und dann oft unzureichend ist.
Skandale wie Dieselgate oder Cum ex, aber auch weniger bekannte Fälle, wie sie täglich von der Organisation „Frag den Staat“ bearbeitet werden, verdeutlichen, dass Auskunftsanfragen, die politisch oder verfahrensmäßig schwieriges Terrain betreffen, in vielen Fällen nicht oder erst nach jahrelangen Auseinandersetzungen vor Gericht beantwortet werden.
Zwar gibt es eine Reihe von Gesetzen, die Bürgerinnen und Bürgern das Recht geben sollen, von staatlichen Stellen Auskünfte über die Hinter- und Beweggründe von Entscheidungen zu erhalten. Das Informationsfreiheitsgesetz (IFG), das Umweltinformationsgesetz (UIG) und das Verbraucherinformationsgesetz (VIG) postulieren neben weiteren Regelwerken grundsätzlich Auskunftsansprüche. Da das Wörtchen grundsätzlich im juristischen Sprachgebrauch lediglich so etwas wie im Allgemeinen bedeutet, ist ein Blick auf die in den Gesetzen vorgesehenen Ausnahmen nötig, um sich ein Bild zu machen. Dabei erweist sich das Recht auf Auskunft löchrig.
Denn alle Gesetze sehen große Ausnahmen vor. Dazu gehören die Geheimschutzinteressen bestimmter Behörden oder die sogenannen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse von drittbetroffenen Unternehmen, beispielsweise wenn es um Genehmigungen von technischen Anlagen wie bei den Dieselmotoren oder um die Hintergründe der doppelten Steuerrückzahlungen im „Cum-ex- Skandal“ geht.
Die Praxis der Verwaltungen, von den Unternehmen behauptete Geheimhaltungsinteressen häufig ungeprüft zu übernehmen, führt zum Leerlaufen bürgerlichen Engagements. Das ist dann besonders negativ, wenn sich herausstellt, dass objektiv kein berechtigtes Geheimhaltungserfordernis vorlag oder gar das angebliche Geschäftsgeheimnis rechtswidrig war wie in den Dieselgatefällen.
Die Klagen vor den Verwaltungsgerichten bringen in Fällen, in denen eine rasche Auskunft zur Vermeidung oder rechtzeitiger Korrektur von Fehlentscheidungen hilfreich wäre, in aller Regel bereits wegen der Dauer der Verfahren nichts. Vielmehr erzeugen sie ein Kostenrisiko für die Antragstellenden, während eine Behörde Kanzleien mit Stundenlöhnen von Hunderten Euro beauftragen kann. Wiederholt geschah dies mit dem Bundesverkehrsministerium in der letzten Legislaturperiode.
Notwendig zur Demokratieförderung ist ein Kulturwandel im behördlichen und politischen Denken. Aus der obrigkeitsstaatlichen Denke, die Bürgerinnen und Bürger eine Holschuld aufbürdet, muss im Grundsatz eine Bringschuld des Staates gegenüber der Gesellschaft werden. Um die Missstände in den Auskunftsverfahren gegenüber Behörden auszuräumen, haben Nichtregierungsorganisationen wie Transparency Deutschland der Bundesinnenministerin bereits vor knapp einem Jahr einen ausgearbeiteten Entwurf für ein Transparenzgesetz übergeben.
Darin werden die Zusammenführung der bisher getrennten Informationszugangsgesetze festgeschrieben und Antworten auf die Missstände gefunden, wie beispielsweise der Umgang mit Geschäftsgeheimnissen. Für diese und eine Reihe weiterer Fragen bietet der Gesetzentwurf Lösungen an, die das Manko bei den Auskunftsrechten beheben.
Der zivilgesellschaftliche Entwurf wurde zwar verbal positiv aufgenommen, aber kaum umgesetzt. Das viel zu kleine Bearbeitungsteam im Ministerium ist zum Teil mit anderen Arbeiten befasst und personell überfordert. Es wundert daher nicht, dass ein Gesetzesvorschlag des Ministeriums erst Ende 2024 vorliegen soll. Angesichts der Komplexität der Materie und den widerstreitenden Interessen befürchten viele, dass dieses Gesetz nicht mehr oder nur unzureichend verabschiedet wird. Der Demokratie im Lande hätte Innenministerin Nancy Faeser und die Koalition damit einem Bärendienst erwiesen.
Hartmut Bäumer war Vorsitzender von Transparency Deutschland.