Blick auf die Erde aus dem Weltall
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Freie Wissensverbreitung dank Blockchains

Benjamin Sturm und Ali Sunyaev, KIT

Freier Zugang zu Wissen und Bildung ist einer der zentralen Pfeiler funktionierender Demokratien und somit auch eine der gesellschaftlichen Kernaufgaben in Zeiten des digitalen Wandels. Ein solcher Zugang umfasst jedoch wesentlich mehr als nur den kostenlosen Zugriff auf Informationen. Wissensfreiheit ist gleichsam der Nährboden für neue Formen der offenen und gemeinsamen Wissensschaffung, -verbreitung und -weiterentwicklung [1]. Unter dem Sammelbegriff Open Knowledge ist in den letzten Jahren diesbezüglich ein Umdenken im öffentlichen und privaten Bereich erkennbar (z. B. Wikipedia, die Open Government Partnership Initiative oder zahlreiche Citizen Science Projekte). Das Ziel der offenen Wissensbewegung ist es, den Zugang zu Wissen sowie die Erweiterung und die Weitergabe von Wissen sämtlichen Gesellschaftsschichten zu öffnen. So definiert die Open Knowledge Foundation, dass Wissen erst dann wahrlich offen ist, wenn jeder „darauf frei zugreifen, es nutzen, verändern und teilen kann – eingeschränkt höchstens durch Maßnahmen, die Ursprung und Offenheit des Wissens bewahren“ [2]. Ein derart schrankenloser Austausch zwischen Wissensschaffenden und Wissenskonsumenten oder gar die Verschmelzung dieser zwei Rollen ist jedoch aktuell noch die Ausnahme.

Derzeit sind viele Wissensprozesse von dritten Parteien abhängig. Derartige Wissensintermediäre, wie bspw. Verlage oder Internetplattformen, stellen auf der einen Seite die notwendigen Infrastrukturen und Prozesse zur effektiven Verteilung von Wissen zur Verfügung. Auf der anderen Seite haben Wissensintermediäre auch vielfältige Eigeninteressen, angefangen bei monetären bis hin zu politischen Beweggründen, die einen negativen Einfluss auf die Offenheit von Wissen haben können. So stellt beispielsweise die im Verlagswesen übliche Praxis, sowohl Autoren als auch Leser die Kosten einer Wissensveröffentlichung tragen zu lassen, eine nicht zu verachtende Hürde dar. Ein anderes Beispiel ist die Möglichkeit von Wissensintermediären, die von ihnen bereitgestellten Inhalte zu zensieren oder den Zugang zu unerwünschten Inhalten komplett zu unterbinden, wie Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit gezeigt haben [3]. Aus diesen Gründen stellt sich zunehmend die grundlegende Frage, ob zentrale Wissensintermediäre langfristig durch unabhängige, offene, und dezentrale Ansätze ersetzt werden können. Um den Weg hin zu einer offeneren Wissenskultur zu bereiten, ist ein Umdenken im Umgang mit Wissen und mit technischen Informationsinfrastrukturen gefragt.

In diesem Zusammenhang wird aktuell oft das Konzept der Blockchain als potentielle technische und politische Lösung für einen offeneren Wissenszugang diskutiert. Blockchain ist ein Begriff, dem man seit einigen Jahren im Zusammenhang mit Digitalisierung bzw. der Idee des dezentralen Datenmanagements immer häufiger begegnet. Der breiten Öffentlichkeit wurde das Konzept insbesondere durch die Kryptowährung Bitcoin bekannt, welche über die Bitcoin Blockchain ausgetauscht wird [4]. Doch was ist die Blockchain eigentlich und warum könnte sie dazu beitragen, den Herausforderungen einer offenen Wissensverbreitung zu begegnen?

Blockchains sind eine Variante der sogenannten Distributed Ledger Technologie (DLT). Dabei handelt es sich um eine Form der verteilten Datenhaltung, bei der die Daten nicht wie oft üblich nur auf einem einzigen Computer zentral gespeichert werden und nur von dort aus zugänglich sind. DLT ermöglicht stattdessen eine exakte Datenkopie auf einer Vielzahl physisch voneinander getrennter Computer (sog. Knoten) zu verwalten, die miteinander über ein Netzwerk (z. B. das Internet) verbunden sind. Die dadurch erreichte Dezentralität der Datenhaltung bietet zahlreiche Vorteile gegenüber zentralisierten Ansätzen. So ist bei einer zentralen Datenhaltung die Verfügbarkeit der Daten stets an die Verfügbarkeit eines einzelnen Systems gebunden. Fällt dieses aus, ist unweigerlich auch die Speicherung und der Abruf von Daten nicht mehr möglich. Durch den dezentralen Ansatz von DLT stellt jeder Knoten seinen Benutzern die gleichen Inhalte und Funktionalitäten zur Verfügung. Somit bleibt der Datenbestand auch nach dem Ausfall eines Knotens weiterhin über die verbliebenen Knoten zugreifbar.

Der Begriff Blockchain selbst leitet sich von der Art und Weise ab, wie Daten auf den Knoten gespeichert werden. Daten werden in Form von Transaktionen in Blöcke zusammengefasst (engl. Block), welche wiederum wie eine Kette (engl. Chain) aneinandergereiht werden [5]. Diese stetig wachsende Kette von Transaktionsblöcken ist der sogenannte Distributed Ledger (dt. verteiltes Kassenbuch). In einer öffentlichen Blockchain gespeicherte Transaktionen sind prinzipiell für jeden Interessierten einsehbar. Das nachträgliche Verändern oder Löschen gespeicherter Transaktionen ist durch die Anwendung kryptografischer Verfahren jedoch nahezu unmöglich [6]. Bildlich ausgedrückt stellt jede einzelne Transaktion ein Kettenglied dar, das mit seiner Vorgänger- und Nachfolgertransaktion fest verbunden ist. Wird eine Transaktion inhaltlich verändert oder gelöscht, löst sich diese Verbindung und die Kette wird unwiderruflich zweigeteilt. Daraus ergibt sich die Kerneigenschaft der Datenunveränderlichkeit von Blockchains, da eine nachträgliche Manipulation bereits gespeicherte Daten durch den Bruch der Kette leicht ersichtlich wird.

Da eine Blockchain ohne eine zentrale Kontrollinstanz arbeitet, erfordert das Anhängen von Blöcken an das Ende der Blockchain (d.h. die Abspeicherung neuer Daten) einen Koordinierungsprozess zwischen den verschiedenen Knoten. Ziel des Prozesses ist es sicherzustellen, dass alle Knoten die gleichen Blöcke in der gleichen Reihenfolge einbinden und damit erneut eine identische Kopie der Blockchain besitzen. Ein essenzieller Bestandteil dieses Prozesses ist der sogenannte Konsensmechanismus, der die verschiedenen Knoten in der Blockchain synchronisiert und eine Art Abstimmung über die Aufnahme neuer Daten durchführt. Einer der möglichen – und der derzeit am weitesten verbreitete Konsensmechanismus – ist der Proof-of-Work. Dabei müssen die Knoten unter großem Einsatz von Energie und Rechenleistung ein Zufallswort generieren (engl. Mining), das eine bestimmte Voraussetzung erfüllen muss. Der erste Knoten, dessen Zufallswort diese Voraussetzung erfüllt, wird für seine Mühen (also Energie und Rechenleistung) entlohnt (bspw. in Form von Bitcoins) und der Block wird von den anderen Knoten als nächstes an die Blockchain angehängt. Durch die Komplexität der Rechenaufgabe ist es äußerst unwahrscheinlich, dass zwei Knoten zum exakt gleichen Zeitpunkt einen neuen gültigen Block zur Aufnahme in die Blockchain vorschlagen.

Eine Blockchain ist dank derartiger gemeinschaftlicher Koordinierungsmechanismen zu einem hohen Grad resistent gegen Einflüsse von Einzelinteressen. Datenmanipulationen oder Zensur ist nur möglich, wenn die Mehrheit der Knoten in diesem Belang kooperiert. Eine Blockchain wird somit mit zunehmender Anzahl unabhängiger Knoten immer „sicherer“. Zudem werden die zum Betrieb einer Blockchain notwendigen Ressourcen durch die Gemeinschaft der unabhängigen Knotenbetreiber bereitgestellt. An einer öffentlichen Blockchain kann sich jeder Interessierte einfach durch die Bereitstellung eines Knotens beteiligen und damit Teil der Blockchain-Infrastruktur werden. Somit kann eine Blockchain auch ohne direkte finanzielle Anreize betrieben werden, sofern eine hinreichende Anzahl von Knoten zur Teilnahme motiviert sind. Aus dieser kurzen Ausführung wird bereits deutlich, dass der Einsatz der Blockchains vor allem dann sinnvoll ist, wenn

  • mehrere Parteien, die sich nicht zwangsweise kennen oder gegenseitig vertrauen, Daten miteinander teilen wollen
  • wenn von großem Interesse ist, dass diese Daten nicht zentral von einer Partei gehalten werden
  • und wenn deren Übertragung unveränderbar und nachvollziehbar sein soll [6].

Zum Zwecke einer offeneren Wissensschaffung, -verbreitung und -nutzung, erscheint das Blockchain-Konzept damit ein geeigneter Technologiebaustein zu sein, durch den Wissen im Sinne von Open Knowledge zukünftig uneingeschränkt, dezentral und unabhängig von Intermediären bereitgestellt werden könnte [7]. Damit diese Vision tatsächlich Wirklichkeit werden kann, müssen vorher jedoch noch einige offene Probleme gelöst werden. Denn während die technischen Aspekte des Blockchain-Konzeptes zunehmend besser verstanden werden, sind noch zahlreiche Fragen offen, die sich insbesondere an der Schnittstelle zwischen Mensch, Gesellschaft und Technik befinden. Am Karlsruher Institut für Technologie beschäftigen wir uns im Rahmen eines Teilprojekt von digilog@bw daher gezielt mit der Ergründung der soziotechnischen Herausforderungen, die sich hinsichtlich der Auswirkungen einer durch Blockchain verursachte Disintermediation im Open Knowledge Kontext ergeben [8]. In diesem Zusammenhang stellen sich bspw. Fragen nach der Notwendigkeit und Umsetzung von Qualitätssicherungsmechanismen für gespeicherte Inhalte. Wie kann sichergestellt werden, dass Informationen, die in der Blockchain gespeichert wurden, auch wirklich faktisch korrekt sind und wie ist mit nachweislich falschen oder rechtswidrigen Inhalten, die einmal gespeichert nicht wieder gelöscht werden können, umzugehen? Wie kann die Interaktion mit der Blockchain trotz hoher technischer Komplexität benutzerfreundlich gestaltet werden, sodass alle Mitglieder der Gesellschaft aktiv an Wissensschaffungsprozessen teilnehmen können? Wie können Wissensschaffende für ihre Arbeit entlohnt werden, ohne den freien Zugang zu Wissen einzuschränken? Erst mit der zunehmenden Klärung dieser soziotechnischen Fragestellungen, wird es dem Blockchain-Konzept tatsächlich möglich sein, einen wertvollen Beitrag zum Wandel in unserem Umgang mit Wissen auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene anzustoßen und damit langfristig zu einer Demokratisierung von Wissen, Bildung und Forschung führen.


Referenzen

  1. Netzpolitik.org (2019). ABC der Offenheit: Was ist Open Knowledge? https://netzpolitik.org/2019/was-ist-open-knowledge/. Abrufdatum: 15.02.2021
  2. Open Knowledge Foundation (2019). Open Definition: Defining Open in Open Data, Open Content and Open Knowledge. https://opendefinition.org/od/2.1/de/. Abrufdatum: 15.02.2021
  3. Süddeutsche Zeitung (2017). Wissenschaftsverlag Springer Nature: Warum ein deutscher Verlag seine chinesische Webseite zensiert. https://www.sueddeutsche.de/medien/wissenschaftsverlag-springer-nature-warum-ein-deutscher-verlag-seine-chinesische-webseite-zensiert-1.3733056. Abrufdatum: 15.02.2021
  4. Sunyaev, A., Kannengießer, N., Beck, R. et al. (2021). Token Economy. Business & Information Systems Engineering. https://doi.org/10.1007/s12599-021-00684-1
  5. Sunyaev, A. (2020). Distributed Ledger Technology. In: Internet Computing. Springer Nature. https://doi.org/10.1007/978-3-030-34957-8_9
  6. Sunyaev, A. (2019). Eine Einführung in die Distributed Ledger Technology (Blockchain - 'Like a Locked Train'). http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.3471134
  7. digilog@bw (2020). Projektbeschreibung Blockchain für Open Knowledge.
  8. Blockchain for Science (2021). Blockchain for Open Science and Knowledge Creation OPEN LIVING DOC. https://www.blockchainforscience.com/2017/02/23/blockchain-for-open-science-the-living-document/. Abrufdatum: 15.02.2021

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