Großer Konsens gegen Gottes Wort?

Ein Artikel von Prof. Dr. Rolf Hille

1. Segnung homophiler Paare – ein kirchlicher Konflikt

Es wird kräftig in der Kirche gestritten und gleichzeitig die Einheit angemahnt. Die Diskussion um die kirchliche Segnung bzw. Trauung gleichgeschlechtlicher Partner ist dafür ein aktuelles Beispiel. Unter dem Druck der öffentlichkeitswirksamen Homosexuellenlobby haben nahezu alle Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland die Einführung solcher Amtshandlungen beschlossen. Gegenüber Kritikern vereist man gerne auf den „magnus consensus“, d.h. die große Übereinstimmung, die es in dieser Frage gibt. Und wenn eine breite Mehrheit das so beschließt, kann eine synodale Minderheit nicht das Gegenteil durchsetzen. Die Mehrheit bestimmt nun einmal – so ist das in der Demokratie.

Aber ganz so einfach ist die Sache nicht. Die Verfassungen der Landeskirchen haben sich an Schrift und Bekenntnis gebunden. Inhalte und Gesetze, die im Widerspruch zur Bibel und den reformatorischen Bekenntnissen stehen, können nicht durch Mehrheitsentscheidungen durchgesetzt werden. Hier ist sowohl die Kirche als Ganze wie auch der einzelne Christ seinem Gewissen verpflichtet. Bei Gewissensfragen haben wir die unverfügbaren Rechte des Einzelnen zu achten. Im Blick auf die Kirchengemeinschaft geht es dabei um das biblische Fundament des Glaubens.

2. Ist die Segnung homophiler Paare nur ein Randthema?

Die Befürworter der Segnung homophiler Partnerschaften wenden ein, es gehe bei dieser Frage lediglich um ein spezielles Problem der Ethik, das keinesfalls die Schrift- und Bekenntnisbindung der Kirche berührt. Deshalb könnten auch kirchliche Gremien wie Presbyterien bzw. Kirchengemeinderäte oder auf Landesebene Synoden mit einfachen Mehrheiten solche Trauungen einführen. Wer das nicht akzeptiert – so wird gesagt – der stelle den „großen Konsens“, d.h. das hohe Gut der Kircheneinheit in Frage.

Die Einheit der Christen stellt ohne Zweifel eine zentrale Verpflichtung dar. Das Neue Testament mahnt an vielen Stellen zur Einheit; z.B. „Seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens.“ (Eph 4,3) Also muss – so argumentiert man – um der Einheit in Christus willen auf den magnus consensus geachtet werden. Eine Minderheit, die davon abweicht, wird früher oder später disziplinarisch abgestraft. Zunächst mag es für eine Übergangszeit noch Gewissensschutz für die Pfarrer und Gemeinden geben, die keine Trauungen für gleichgeschlechtliche Paare durchführen. Aber der Druck durch die öffentliche Diskussion, durch kirchenamtliche Anordnungen und die Isolation von Abweichlern etc. wird zunehmen.

Dabei übersieht man geflissentlich, dass die Forderung nach Einheit nicht absolut gilt. Das Neue Testament ruft auch zur Trennung auf, wenn Gottes Gebot missachtet und falsche Lehre verkündigt wird (vgl. 1. Kor 11,10; Gal 1,8).

3. Wenn Gottes Wort Nein sagt, darf die Kirche nicht Ja sagen

Hier kann nur die Rückbesinnung auf das helfen, was in der Sache eine Übereinstimmung in der evangelischen Kirche erst möglich macht, nämlich die Bindung an Schrift und Bekenntnis. Und in diesem Punkt ist die Bibel klar und eindeutig. Alle Bibelstellen, in denen das Thema Homosexualität angesprochen wird, lehnen deren Praxis strikt ab.

Gott hat Menschen in der Polarität von Mann und Frau geschaffen und segnet ihre Liebesbeziehung, aus der Kinder hervorgehen sollen. Diese Gemeinschaft der Ehe wird nirgends aufgehoben, sie ist ein Grundpfeiler der Schöpfungsordnung überhaupt. Jesus hat sie mit Nachdruck bestätigt (Mk 10,6-9).

Im Blick auf das von Gott erwählte Volk Israel gilt das Heiligkeitsgesetz nicht zuletzt für Fragen der Sexualethik. Israel soll den Willen Gottes demonstrativ gegenüber den Heidenvölkern erfüllen: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der Herr euer Gott.“ (3. Mo 19,2) Im 18. Kapitel des 3. Mosebuches wird das hinsichtlich verschiedener Aspekte des sexuellen Umgangs durchgeklärt. Ehebruch, Inzest, Sodomie und eben auch homophile Beziehungen werden kategorisch verboten: „Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau; es ist ein Gräuel.“ (3. Mo 18,22) Wer Homosexualität praktiziert, verlässt den Bund mit Gott und stellt sich außerhalb der Rechtsgemeinschaft Israels. Diese Anweisung gilt so grundsätzlich, dass Homophilie im palästinischen Judentum zurzeit Jesu kein Streitthema war. Sie wurde schlicht abgelehnt. Deshalb war Jesus auch nicht genötigt, dazu Stellung zu nehmen.

Ganz anders verhielt es sich in der antiken Welt des römischen Reiches, in dem Paulus als Missionar unterwegs war. Vor allem hatten die alten Griechen aus homosexuellen und lesbischen Lebensweisen ein Ideal gemacht. Der Apostel sieht in diesen Verhältnissen eine Perversion (Verkehrung) der Sexualität. Mit scharfen Worten geißelt Paulus die heidnische Praxis als schwere Sünde (Röm 1,18-28), um dann in einem Lasterkatalog (Verse 29-32) noch weitere Verhaltensweisen, die Gott verwirft und bestraft, anzufügen. Beim Römerbrief handelt es sich um eine besonders bedeutsame Schrift für die Reformation – speziell für Martin Luther. Die Frage stellt sich, wie die Reformationskirchen heute mit dem apostolischen Wort umgehen.


4. Wer verlässt hier den großen consensus?

Im Zusammenhang mit der Segnung/Trauung gleichgeschlechtlicher Paare wird – wie gezeigt – vorrangig mit der Einheit der Kirche argumentiert. Doch wer verlässt hier den „magnus consensus“? In der gesamten Heiligen Schrift und durch die Geschichte der christlichen Kirche aller Jahrhunderte und aller Konfessionen hindurch hat selbstverständlich der Konsens gegolten, dass die Kirche nicht segnen darf, was Gott verworfen und verboten hat. Man muss deshalb den Spieß umdrehen und die protestantischen Gruppen in der Weltchristenheit auffordern, zur großen Übereinstimmung zurückzukehren.

Weil es bei diesem Thema um einen eindeutigen biblischen Befund geht, erweist sich der magnus consensus innerhalb der weltweiten Christenheit als eindeutig. Hierin sind sich die römisch-katholische Kirche, die orthodoxen Kirchen, viele evangelische Freikirchen und nicht zuletzt die überwältigende Mehrheit der Gemeinden in Afrika, Lateinamerika und Asien einig. Der liberale Protestantismus ist nicht autorisiert, einseitig gegen Gottes Wort die globale Kirchengemeinschaft zu verlassen. Vor allem darf niemand genötigt werden, gegen sein Gewissen zu handeln.

5. Man muss schon auf breiter Front der Bibel widersprechen, wenn man Homosexuelle und Lesben segnet

Es geht bei diesem Konflikt darum, ob im konkreten Fall die Bibel noch Grundlage für ethische Entscheidungen ist. Man muss, wenn man die Segnung homophiler Paare durchsetzt, schon behaupten, dass Gott sich mit seiner Schöpfungsordnung vertan hat und dass Jesus daneben lag, wenn er sich auf diese Ordnung berief. Des Weiteren wird mit der Trauung homosexueller Paare das alttestamentliche Heiligkeitsgesetz außer Kraft gesetzt. Im Blick auf seine sexualethischen Weisungen hat nämlich das Apostelkonzil (Apg 15,28+29) diese ausdrücklich für die neutestamentliche Gemeinde bestätigt. Darf das mit einem Federstrich zur Seite gewischt werden? Und schließlich lag Paulus, wenn man homophile Trauungen einführt, mit seinem Urteil im Römerbrief völlig daneben.

Wer die kirchliche Trauung Homophiler demokratisch beschließt, hebt massiv die Gültigkeit des Wortes Gottes auf. Dafür kann niemand legitim die Einheit der Kirche in Anspruch nehmen. Im Gegenteil, die Kirche verspricht in solchen gottesdienstlichen Handlungen den Segen Gottes für ein Verhalten, das Gott ausdrücklich verboten hat. Damit führt die Kirche Menschen in die Irre, denn sie verspricht etwas zu segnen, was Gott nicht segnet.

Damit ist keineswegs der respektvolle Umgang mit Homosexuellen und Lesben aufgekündigt. Sie werden vielmehr als Menschen in ihrer Würde ernst genommen. Sie haben in der Gemeinde – gemeinsam mit allen anderen Sündern – ihren Platz und ein volles Recht auf Seelsorge und Vergebung. Aber das bedeutet eben keinen Segen für eine Lebenspraxis, die Gottes Wort ungehorsam ist.

Rolf Hille


Prof. Dr. Rolf Hille, Heilbronn, ist Pfarrer der Württembergischen Landeskirche und seit 2013 Honorarprofessor für Systematische Theologie und Apologetik an der Freien Theologischen Hochschule (FTH) Gießen. Er war von 1995 bis 2009 Rektor des Albrecht-Bengel-Hauses in Tübingen, von 1994 bis 2000 Vorsitzender und danach bis 2015 Mitglied des Hauptvorstandes der Deutschen Evangelischen Allianz. Von 1996 bis 2008 war Vorsitzender der Theologischen Kommission der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA) und von 2008 bis 2016 deren Direktor für ökumenische Angelegenheiten.