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Geschichte Sensationeller Aktenfund

Als Adenauer den BND-Chef zum Verhör einbestellte

Ein Geheimvermerk aus der „Spiegel“-Affäre zeigt: Am 12. November 1962 lädt Kanzler Adenauer seinen Geheimdienstchef zum Rapport. Im Nebenraum warten der Justizminister und ein Vertreter der für Landesverrat zuständigen Ermittlungsbehörde.
Leitender Redakteur Geschichte
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Ausriss aus dem jetzt erstmals zugänglichen Vermerk über das Verhör des BND-Präsidenten Reinhard Gehlen durch Konrad Adenauer
Quelle: Bundeskanzleramt / UHK

Der Kanzler war empört: „Wir haben einen Abgrund von Landesverrat im Lande.“ Aus den Reihen der SPD-Opposition gab es heftige Zwischenrufe, der Abgeordnete Walter Seuffert zum Beispiel wollte wissen: „Wer sagt das?“, worauf der Kanzler antwortete: „Ich sage das.“ Das genügte dem Juristen Seuffert nicht: „Ist das ein schwebendes Verfahren oder nicht?“ Doch Adenauer würdigte ihn keiner weiteren Antwort mehr.

Die Fragestunde im Bundestags über die Umstände der bekannten „Spiegel“-Affäre am 7. November 1962 gehört zu den Sternstunden des Parlamentarismus in Deutschland. Indirekt erzwangen die Abgeordneten der SPD, aber auch des schwankenden Koalitionspartners FDP durch Insistieren den Rücktritt von Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) und das Ende aller Ambitionen des schon 86-jährigen Adenauer, doch die gesamte Legislaturperiode im Amt zu bleiben.

Kombo Gehlen Adenauer
Reinhard Gehlen (l.) verlor Anfang das 1960er-Jahre das Vertrauen von Bundeskanzler Konrad Adenauer
Quelle: pa/ dpa/ Rohwedder; Sven Simon

Eine weitere Folge der hitzigen Debatte war bislang nur in Umrissen bekannt: das hochnotpeinliche Verhör, das Adenauer fünf Tage später mit Reinhard Gehlen, dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), in seinem Büro führte. Informationen darüber waren zwar bald durchgesickert, doch erst die Unabhängige Historikerkommission (UHK), die seit 2010 die Geschichte des BND bis 1968 erforscht, hat den zweiseitigen Gesprächsvermerk und weiteres Material zu dieser einzigartigen Situation gesichtet. Im achten Band der UHK-Publikationsreihe über den „BND in den 1960er-Jahren“ veröffentlicht Kommissionsmitglied Jost Dülffer im Jahr 2018 bislang unbekannte Einzelheiten und eine überzeugende Deutung.

Dass ein Geheimdienstchef regelmäßig Gespräche im engsten Kreis mit dem Regierungschef seines Landes führt, gehört gewissermaßen zur Stellenbeschreibung. Dass aber ein solches Gespräch die Form eines Verhörs annimmt, schriftlich festgehalten und von beiden Beteiligten unterzeichnet wird, dass im Nebenraum der Justizminister und ein Vertreter der für Landesverrat zuständigen Ermittlungsbehörde bereitstehen, um den Geheimdienstchef umgehend festzunehmen – das dürfte zumindest in der deutschen Geschichte einmalig sein.

Wie vermutlich keine andere Situation stehen die Vorgänge am 12. November 1962 für Dülffers These, dass der BND in den 60er-Jahren ein „Geheimdienst in der Krise“ gewesen sei. Seit der Übernahme der vormaligen, von der CIA finanzierten „Organisation Gehlen“ als BND in die Zuständigkeit der Bundesregierung 1956 hatten sich die Nachrichtendienstler aus Pullach zunächst „einiges fachliches Ansehen“ im Regierungslager verschafft, speziell bei Kanzler Adenauer und seinem Staatssekretär Hans Globke. Doch der nicht vorab erkannte Mauerbau der DDR und besonders die Enttarnung des Gegenspionageverantwortlichen Heinz Felfe als Sowjetspion 1961 hatte dieses Vertrauen „nachhaltig erschüttert“, schreibt Dülffer.

Als im Zuge der „Spiegel“-Affäre herauskam, dass der Hamburger BND-Resident Adolf Wicht engste Kontakte zu dem Hamburger Magazin pflegte (er wurde dort nach seiner Frühpensionierung 1968 im Vertrieb tätig), reagierte Adenauer wütend: Er bestellte Gehlen umgehend zum Rapport ein. Den in den bisher geheimen Akten des Bundeskanzleramts enthaltenen Vermerk hat Dülffer jetzt, zeitgleich mit seinem UHK-Kollegen Rolf-Dieter Müller, erstmals ausgewertet.

Ganz am Anfang seiner Karriere, direkt nach dem zweiten juristischen Staatsexamen, war Adenauer 1902 am Amtsgericht Köln als Staatsanwalt tätig gewesen. Entsprechend benahm er sich ziemlich genau 60 Jahre später gegenüber Gehlen. „Auf Ladung“ sei der BND-Präsident im Palais Schaumburg, dem damaligen Sitz des Bundeskanzleramtes in Bonn, erschienen, diktierte Adenauer in dem Vermerk, und weiter: „Ich habe ihn ersucht, mir zu erklären, wie es komme“, dass eine Information, die Franz Josef Strauß am 17. Oktober 1962 Gehlen gegeben hatte, dass nämlich ein Strafverfahren wegen Landesverrat gegen den „Spiegel“ eröffnet worden sei, schon einen Tag später eben dort in der Redaktion bekannt geworden sei.

Gehlen wand sich. Er versuchte, das Gespräch mit Strauß vorzuverlegen, auf den 14. oder 15. Oktober 1962, was Adenauer „nach wiederholten Rückfragen bei Bundesminister Strauß“ als falsch feststellte. Dann behauptete Gehlen, in Pullach mit seinem Stellvertreter Hans-Heinrich Worgitzky gesprochen zu haben – eine Lüge, denn der BND-Vizepräsident war noch bis 22. Oktober im Urlaub gewesen.

Eine Stunde, von 11.05 bis 12.05 Uhr, dauerte das Vier-Augen-Gespräch, dann musste Gehlen im Warteraum vor dem Kanzlerbüro Platz nehmen. Um 13.10 Uhr wurde er wieder hineingerufen, für wenige Minuten, vermutlich, um den inzwischen geschriebenen Vermerk zu unterschreiben. Fast schamhaft versteckt links unter Adenauers schwungvoller, raumgreifender Paraphe stand der Namenszug „Gehlen“. Der letzte Satz des Vermerks lautete „Präsident Gehlen blieb bei seiner Erklärung“ – die der Kanzler ganz offensichtlich nicht glaubte.

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Doch auch damit war das Verhör noch nicht wirklich beendet: Gehlen blieb im Kanzleramt, während Adenauer anderen Dienstgeschäften nachging, unter anderem zur CDU-Zentrale fuhr, um an einer Vorstandssitzung teilzunehmen. Am Nachmittag suchte der Kanzler noch kurz Bundespräsident Heinrich Lübke in der dem Palais Schaumburg benachbarten Villa Hammerschmidt auf – worum es bei diesem Gespräch ging, ist nicht überliefert. Vielleicht erneut um Gehlen?

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Quelle: Die Welt

Um 19.40 Uhr jedenfalls beriet sich Adenauer zurück im Kanzleramt mit einem Vertreter der Bundesanwaltschaft und dem Bundesjustizminister und verlangte, dass Gehlen wegen Landesverrats verhaftet würde. Währenddessen saß der BND-Präsident immer noch und sogar bis 21.30 Uhr wartend im Palais Schaumburg. Eine bewusste Demütigung. Zur Festnahme, die sicher die Karriere Gehlens umgehend beendet hätte und vermutlich den BND einstürzen lassen, kam es schließlich nicht.

Als vier Jahre später Gerüchte über die geplante Festnahme durchsickerten, dementierte Adenauer entschieden, aber wenig glaubwürdig, denn der inzwischen nicht mehr amtierende Justizminister und auch der seinerzeit anwesende Bundesanwalt bestätigten das Hörensagen im Kern.

Jost Dülffer gelingt es, diese entscheidende Episode aus verschiedensten Aktenbeständen, Zeugenaussagen und Andeutungen in der Presse überzeugend zu rekonstruieren. Er bilanziert: „Der Kanzler selbst stellte seinen Geheimdienstchef in eine solche Reihe der Landesverräter. Das hatte Folgen.“

Jost Dülffer: „Geheimdienst in der Krise. Der BND in den 1960er-Jahren“. (Ch. Links Verlag, Berlin. 672 S., 50 Euro).

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Dieser Artikel wurde erstmals im April 2018 veröffentlicht.

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