05.2020 Ralf König gehört seit Jahrzehnten zu den umtriebigsten und meistbeachteten Comic-Künstlern im deutschsprachigen Raum. Und das nicht erst seit seinem grandiosen Erfolg mit „Der bewegte Mann“, dessen preisgekrönte Verfilmung 1994 über 6,5 Millionen Besucher in die Kinos lockte. Seit den frühen 80er-Jahren macht der mehrfach ausgezeichnete Autor und Zeichner die Comic-Landschaft mit beißenden Veröffentlichungen unsicher und räumt stets mit Vorurteilen gegenüber Schwulen und Lesben auf, was ihm auch außerhalb der Szene großes Ansehen einbrachte und -bringt. Allein 2019 wurden gleich zwei seiner Werke publiziert: Der humorvolle Midlife-Crisis-Exkurs „Stell dich nicht an, Mann! - Ein Seufz- und Jammerbuch für die besten Jahre“ und „Stehaufmännchen“, eine Zeitreise an den Anbeginn der Menschheit.

Es ist uns eine große Freude, Ralf König einige Fragen zu „Stehaufmännchen“, der aktuellen Lage der Menschheit, lächerlichen Vorwürfen und künstlerischer Freiheit zu stellen. Unverblümt und ehrlich.

"Also, wer sich unbedingt empören will, bitte sehr. Ich werde dieses Jahr 60, dann bin ich eben ein alter weißer Mann, was soll’s. "

Comic-Couch:
Ralf, die Evolution der Menschheit mal locker auf 192 Seiten erklärt und dabei noch immer sehr aktuelle und relevante Themen aufgegriffen. Was bei Dir so leicht von der Hand aussieht, muss doch sehr aufwendig gewesen sein. Wie viel Arbeit steckt in „Stehaufmännchen“? Vor allem, in der sicherlich sehr umfangreichen Recherche?

Ralf König:
Ja, da hab ich einige wissenschaftliche Bücher und Geo-Magazine durchgeblättert und YouTube-Filmchen gesehen, aber eigentlich hatte ich das Thema bereits halbwegs drauf. Ich interessierte mich schon als Jugendlicher dafür, wenn sie irgendwo einen drei Millionen Jahre alten Kieferknochen finden und den irgendeiner frühen Menschenart zuordnen. Aber da ich will, dass das, was ich erzähle, einigermaßen Hand und Fuß hat, musste ich recherchieren, ob zum Beispiel der Homo Robustus tatsächlich mit dem Homo Erectus zeitgleich lebte und wo die gemeinsam rumliefen. Klar mach ich am Ende einen hoffentlich unterhaltsamen Quatsch daraus, aber es soll nachprüfbar sein.  

Comic-Couch:
Mein Eindruck von „Stehaufmännchen“ war „Ein typischer König… und doch ganz anders“. Wie würdest Du selbst den Comic beschreiben? Vielleicht auch im Vergleich zu Deinen anderen Arbeiten?

Ralf König:
Stimmt, ich wollte mal optisch was anderes machen, die ersten Skizzen sehen sogar noch weniger knollennasig aus, aber ich halte wirkliche Neuerungen kaum durch. Die Abgabetermine drücken immer, es muss flott gehen. Die Nase setzt sich sowieso irgendwie durch. Ich hatte auch vor, für die Hintergründe zum Aquarellpinsel zu greifen, wurde dann auch nichts. Die Frühmenschen waren ein Problem, da meine Figuren sich ja meist durch Kleidung und Frisuren unterscheiden und das fiel nun komplett weg. Ich hab das Fell etwas unterschiedlich eingefärbt und versucht, mit der Physionomie was zu reißen. Ehrlich gesagt, ich zeichne ja bekanntlich gern behaarte Männchen, aber nach diesem Buch konnte ich mal erst keine Affen mehr sehen.  

Comic-Couch:
War es Dir ein großes Bedürfnis, die Menschheit mit der Nase auf ihre Fehler zu stoßen? Offensichtlich lief ja schon vor sehr, sehr langer Zeit etwas schief…

Ralf König:
Ich glaube tatsächlich nicht an die viel beschworene menschliche Vernunft. Wir bauen doch nur Scheiße, gerade in der jetzigen Zeit können wir das auch in unseren Breitengraden nicht mehr verdrängen. Plastikmüll, Insektensterben, Treibhauseffekt, von Regenwäldern und Atombomben gar nicht zu reden. Kaum einer redet von der Bevölkerungsexplosion, wie das in den Griff zu kriegen wäre, dabei ist das das Hauptproblem. Wir sind anders, wir passen nicht in die übrige Natur. Klar war der Faustkeil der Beginn des Desasters, und die heutigen Alphamännchen sind Trump oder dieser Knallkopf in Brasilien! Gerade in dieser Coronazeit wird das womöglich noch klarer, ich empfinde den Shutdown als kurze Verschnaufpause vom ungezügelten Kapitalismus.   

Comic-Couch:
Wir trafen uns Anfang des Jahres bei einer Ausstellungseröffnung des Künstlers Jaques Tilly, der weltweit (unter anderem) für seine aufwändigen und politisch-satirischen Karnevalswagen bekannt ist. Du hieltest dort eine sehr gelungene Laudatio, in der Du auch sagtest, dass Du dich für eine längst überfällige Ausstellung eingesetzt hattest. Wie wichtig ist Dir „Kunst mit Botschaft“, die nicht nur unterhalten, sondern auch zum Nachdenken anregen soll?

Ralf König:
Sagen wir, unbequeme Kunst ist das, was ich interessant und unverzichtlich finde. Wenn ich ins Museum gehe, möchte ich irritiert werden, es soll etwas mit mir machen. Es gibt natürlich Kunst, die ist gefällig, das ist auch ok, aber ich mochte immer die Querdenker, die sich was trauten und ihr Ding durchzogen. Jaques Tilly ist ein großartiger Karikaturist, nur dass die Köppe nun mal aus Pappmache sind.  Aber er bringt’s auf den Punkt. Es ärgert Politiker und Klerikale, die sich ertappt und verlacht fühlen.  

Comic-Couch:
Dir wurde die Ehre zuteil, dass ein acht mal viel Meter großes Wandgemälde die sogenannte Comic Route in der belgischen Hauptstadt Brüssel schmückt. Als einziger deutscher Künstler! Ausgerechnet Dir, den die Fans gerade WEGEN seiner Offenheit und sexueller Grenzen-Sprengung lieben, flogen 2019 plötzlich Begriffe wie „transphob“ oder „rassistisch“ um die Ohren. Was lief denn da schief?

Ralf König:
Vor allem die Kommunikation, die kaum stattfand. Die hatten das Bild vor fünf Jahren in Auftrag gegeben und fanden meinen Entwurf super, ich war zur Einweihung dort, das belgische Bier knallte und alle waren happy.  Und dann hieß es 4 Jahre später, das Bild sei von Queer-AktivistInnen mit RASSISMUS und TRANSPHOBIE übersprüht worden. Das mit dem Rassismus, ok, ich würde einer schwarzen Lesbe wohl nicht mehr so unbedarft dicke rote Lippen zeichnen. Ich habe mir wirklich nichts dabei gedacht, wer Lippenstift draufhat, hat bei mir automatisch diese dicken Lippen, ob Transvestit oder Frau oder Pauls Schwester Edeltraut, alle haben so’n Maul! Aber na gut, Belgien hat seine ganz eigene Kolonialgeschichte, das hätte ich berücksichtigen können. Das mit der Transphobie war mir allerdings nur einen genervten Augenverdreher wert. Das ist keine ‚traurige Transfrau‘, sondern eine schräge Drag-Queen, die sieht man auf jedem CSD rumstöckeln, ich war selbst viele Jahre mit Spaß und Freude bei jeder Gelegenheit im Fummel!  Und die Drag auf dem Bild guckt nicht ‚traurig‘, weil sie Haare auf den Schultern hat, sondern weil sie etwas belämmert oder bekifft ist und das auch sein will. Ach ja, dick ist sie auch noch, das könnte Übergewichtige verletzen. Ernsthaft, ich bin auch noch dickenfeindlich! Ich bekam eine Mail von einer jungen Rainbowhouse-Aktivistin, die mich darüber belehrte, was Karikatur dürfe und was nicht. Ich habe freundlich geantwortet, sie sollen das Bild von mir aus überstreichen, wenn jemand ernsthaft beleidigt ist, ist ja ihre Wand! Aber einen geschönten Entwurf zeichne ich ganz bestimmt nicht!  

Comic-Couch:
Gibt es für Dich Grenzen, was künstlerische oder satirische Freiheit betrifft?

Ralf König:
Hetze und diffamierendes gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen, und das passiert bei mir nicht. Ich habe ein Bauchgefühl, was geht und was nicht, und was nicht geht, kommt mir erst gar nicht in den Sinn. Meine Charaktere sind ja auch eingebunden in längere Geschichten, da ist eine Haltung dahinter! Die mir Rassismus und Transphobie vorwerfen, sind wahrscheinlich zu jung, die haben noch nie ein Buch von mir gelesen, anders kann ich mir das nicht erklären. Klar, ich gehöre zu einer bestimmten Generation, ich bin mit den U-Comix von Crumb und S.Clay Wilson groß geworden, ich verehre Reiser und Phillipe Vuillemin und Southpark! Und jetzt mit dem Corona-Shutdown, wo sie alle mal still sind, ist mir auch klar geworden, dass ich diesen ganzen überempfindlichen PC-Scheiß nicht mehr brauche! Ich mach mein Ding, seit 40 Jahren jetzt, 1980 kam mein erstes Heftchen raus. Ich galt im Laufe der Zeit schon als frauenfeindlich, heterofeindlich, sogar tuntenfeindlich. Das ist ja nicht neu. Also, wer sich unbedingt empören will, bitte sehr. Ich werde dieses Jahr 60, dann bin ich eben ein alter weißer Mann, was soll’s.

Comic-Couch:
Nach mehreren biblischen Ausflügen, Visiten in die Antike, Trips ins Weltall und nun sogar an den Anfang der Menschheit… wohin wird es Dich noch verschlagen? Gibt es Epochen, die Du gerne noch verarbeiten möchtest?

Ralf König:
Epochen? Hm. Da muss ich überlegen. Zurzeit veröffentliche ich jeden Tag einen Comicstrip auf Facebook, da geht’s um die Coronakrise. Konrad und Paul im Shutdown. Das wird ja wohl später auch als Epoche angesehen. Und ebenfalls auf Facebook gibt’s sonntags und mittwochs eine Fortsetzungsgeschichte mit ‚Barry Hoden‘, also Science-Fiction mit bekloppten Aliens und Planeten, die aussehen wie behaarte Ärsche. Das macht mir so viel Spaß wie lange nicht mehr, ich kann gar nicht so schnell zeichnen, wie mir die Ideen plumpsen! Bei Barry Hoden können mir auch nicht alle folgen, aber macht ja nichts! Und dieses kurze Stripformat hab ich auch selten bedient, 4 Panels, fertig! Wunderbar, das ist was anders als diese 200 Seiten-Bücher, für die man oft langen Atem braucht. Nur verdiene ich derzeit natürlich kein Geld damit und vertraue nur darauf, dass die Online-Leser später auch die gedruckten Bücher kaufen und nicht sagen ‚Kennen wir ja schon alles‘!

Comic-Couch:
Lieber Ralf, herzlichen Dank, dass Du dir Zeit genommen hast, um uns und unseren Lesern ein wenig über Deine Arbeit zu berichten. Wir drücken Dir (und uns) die Daumen, dass es bald wieder Lesungen, Ausstellungen und natürlich neue König-Veröffentlichungen in den Regalen geben wird. Alles Gute und bleib gesund!

Ralf König:
Ja, Du auch, bleib steif! :)

Das Interview führte Marcel Scharrenbroich im Mai 2020.
Foto: Olaf Gabriel © Ralf König

Alita:
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