Gastkommentar

Nord Stream 2 könnte zur Falle werden – Experten gehen davon aus, dass Russland die Ostsee-Pipeline für militärische Zwecke nutzen wird

Unter Marinefachleuten und bei der Nato wird die Frage, ob Russland auch Nord Stream 2 für militärische Zwecke nutzen wird, sehr ernst genommen. Nur die deutsche Regierung drückt beide Augen zu.

Joachim Krause
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Handelt es sich bei Nord Stream 2 um ein rein kommerzielles Projekt? Eine ukrainische Analyse stellt das infrage.

Handelt es sich bei Nord Stream 2 um ein rein kommerzielles Projekt? Eine ukrainische Analyse stellt das infrage.

Stine Jacobsen / Reuters

Trotz vielfältiger internationaler Kritik an Nord Stream 2 hält die deutsche Regierung unvermindert an dem Pipelineprojekt fest. Ihr Standardargument ist, dass Nord Stream 2 ein rein kommerzielles Projekt sei, also jenseits der Politik stehe. Wenn es eine politische Bedeutung gäbe, dann wäre es die, dass damit eine Brückenfunktion nach Russland gelegt werde. Die frühere Behauptung, Nord Stream 2 sei auch für Europas Energiesicherheit wichtig, wird von der Bundesregierung immer weniger verwendet, nachdem das Europaparlament eine Resolution verabschiedet hat, die den sofortigen Abbruch des Projektes forderte.

Das Kernargument, wonach es sich bei Nord Stream 2 um ein rein kommerzielles Projekt handele, wird nunmehr durch eine Analyse dreier offenkundig gut informierter ukrainischer Autoren mit militärischem Hintergrund infrage gestellt. In einem Artikel der ukrainischen Fachzeitschrift «Tschornomorska bespeka» schreiben die Autoren Michail Gonchar, Andrei Ryschenko und Bogdan Ustimenko von Zentrum für Globale Studien (Strategie XXI), es müsse aufgrund der Erfahrungen mit russischen Pipelineprojekten im Schwarzen Meer davon ausgegangen werden, dass Russland Nord Stream 2 nutze, um Unterwasser-Abhöreinrichtungen zu militärischen Zwecken zu installieren. Mithilfe dieser und anderer Einrichtungen soll es möglich werden, den gesamten militärischen Schiffsverkehr der Nato in der Ostsee zu verfolgen und insbesondere U-Boote zu sichten. Dadurch könne die noch bestehende Überlegenheit der Nato im maritimen Bereich durchkreuzt werden, insbesondere würden die leisen deutschen U-Boote davon betroffen.

Russland verfügt über die technischen Möglichkeiten

Die Verfasser weisen darauf hin, dass Russland im Schwarzen Meer eine aktive Nutzung des Unterwasserraums für akustische Aufklärungsaktivitäten betreibe, unter anderem auch unter Beizug ziviler Objekte auf dem Meeresboden. So habe Russland ein stationäres hydroakustisches Überwachungssystem im nordwestlichen Teil des Schwarzen Meeres und entlang der Gaspipeline Turkish Stream geschaffen.

Die Verfasser gehen davon aus, dass Russland auch Nord Stream 2 für militärische Zwecke nutzen wird. Technisch sei das nicht schwierig. Dazu könne das sicherheitstechnische System für Gaspipelines Delta-MGA eingesetzt werden, welches speziell für Gazprom entwickelt worden sei. Man müsse nur einzelne technische Komponenten hinzufügen und diese mit weiteren Unterwassersonaranlagen vernetzen. Russland verfüge über die entsprechenden Erfahrungen und die technischen Fähigkeiten. Hierbei denken die Verfasser an die passive Sonaranlage MGK-608 Sever, welche Russland seit vielen Jahren einsetzt und mittlerweile weiterentwickelt hat.

Diese hydroakustischen Sensoren würden an das seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts eingeführte maritime Überwachungssystem «Harmonie» angeschlossen, welches das Ziel hat, in mehr und mehr Meeresgebieten eine umfassende Kontrolle der dort stattfindenden nautischen Aktivitäten durchzuführen. Damit gehe ein Ausbau der russischen Fähigkeiten zur unkonventionellen Unterwasserkriegsführung einher. Diese ziele unter anderem darauf ab, Kommunikationsverbindungen (Internetkabel, Breitbandkabel, Telefonverbindungen, Stromkabel, Pipelines) unterbrechen zu können, die für das global vernetzte Wirtschaftsleben der westlichen Welt zentral, um nicht zu sagen: überlebenswichtig, sind.

Ist der Verdacht begründet?

Von russischer Seite wurde die Veröffentlichung natürlich als Versuch der Sabotage von Nord Stream 2 abgetan. Unter Marinefachleuten in Deutschland und bei der Nato hingegen wird die Problematik sehr ernst genommen. Nord Stream 2 wird dort als eine gigantische, militärisch verwendbare Sensorenkette begriffen, die im Krisenfall kritisch werden kann. Die Bundesregierung vernachlässigt diesen Aspekt jedoch, weil diese Skepsis nicht in die Politik der Bundesregierung passt. Dort wäre man erleichtert, wenn Nord Stream 2 endlich in Betrieb gehen würde – in der Hoffnung, dass dann der ganze Trubel vorbei ist.

Tatsächlich sollte erst einmal geprüft werden, ob der Verdacht der drei ukrainischen Experten begründet ist oder nicht – und zwar von unabhängigen deutschen und westlichen Experten. Auch eine Anhörung im Deutschen Bundestag wäre sinnvoll. Sonst könnte Nord Stream 2 zu einer militärischen Falle werden.

Joachim Krause ist Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel.

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