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VERFASSUNGSSCHUTZ Was dürfen die eigentlich

Ein V-Mann des niedersächsischen Verfassungsschutzes war an Straftaten von Neonazis beteiligt - mit Wissen des Innenministeriums. *
aus DER SPIEGEL 39/1984

Sie nannten sich mit germanischen Decknamen Armin oder Odin, beförderten sich gegenseitig zum Gauleiter, Sturmführer und Sicherheitsbeauftragten und verbreiteten Blätter mit Nazi-Parolen: »Hitler ist die Zukunft«.

Der Weg dahin sollte mit Bomben freigekämpft werden, mit Anschlägen auf die Berlin-Autobahn, auf DDR-Grenzanlagen, auf Justizgebäude, auf Lastzüge aus Holland und Polen zwecks Befreiung von inhaftierten Kriegsverbrechern in diesen Ländern. Am Ende sollten auch wieder mal Juden dran glauben.

Zweimal krachte es tatsächlich. Erst ging vor der Amtsanwaltschaft in Flensburg eine Bombe hoch, Sachschaden: 1 821,36 Mark, dann an der Pförtnerloge des Amtsgerichts in Hannover, Sachschaden: 2 760,22 Mark.

Immer vorneweg bei dieser »Braunschweiger Gruppe« der »NSDAP-Auslands- und Aufbauorganisation« (NSDAP-AO) war Hans-Dieter Lepzien, Taxifahrer aus Peine und engster Kamerad des Gruppenführers Paul Otte aus Braunschweig, Jahrgang 1924, Maschinenschlosser von Beruf.

Mit Otte reiste Lepzien nach England, wo sie gegen eine Pistole Plakate und Klebezettel erwarben. Sie reisten nach Belgien und Kopenhagen, um mit dem Neonazi Gary Lauck die Neuherausgabe des »Völkischen Beobachters« vorzubereiten. Gemeinsam fuhren sie in die Schweiz, Schwarzpulver einzukaufen.

»Um das alles etwas realistischer zu machen«, so Lepzien später vor Gericht, ließen sie das Pulver in verzinkte Stahlrohre füllen und detonieren. Lepzien: »Es sollte kein Schaden angerichtet werden. Es ging um die Illusion.«

Fünf Mitglieder des Unternehmens verurteilte der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle im Februar 1981 zu Freiheitsstrafen, Otte zu fünf Jahren und sechs Monaten, Lepzien zu drei Jahren.

Wer die Anstifter im Hintergrund waren, stellte sich bei der Hauptverhandlung heraus: Lepzien, heute 41, hatte im Auftrag des niedersächsischen Verfassungsschutzes bei den Bombenlegern mitgemacht. Und offenbar nicht nur das: »Wenn der Verfassungsschutz durch ihn unsere Aktivitäten nicht angeheizt hätte«, so Otte in seinem Schlußwort, »wären wir alle heute nicht hier.«

Das war, bei Gericht, nicht nur Ottes Meinung. Einer der Verteidiger zitierte Lepziens Kontaktbeamten mit dem Satz: »Ich habe ihn zur Rede gestellt und darauf hingewiesen, daß er nicht dazu da sei, einen Verein aufzubauen.« Der Staatsanwalt befand in seinem Plädoyer, es seien Dinge zutage getreten, »die, wie jede Krankheit, einer Ursachenforschung dringend bedürfen«. Der Gerichtsvorsitzende sagte: »Man hat sich unserer Auffassung nach nicht genug um ihn gekümmert.« Und: »Die Unfähigkeit liegt im organisatorischen und auch im personellen Bereich.«

Daß Lepzien »wertvolle und aufschlußreiche Meldungen über die Vereinigung« erstattete und ihm vor allem »zu verdanken« sei, »daß die Terrorgruppe ausgehoben werden konnte«, wie der niedersächsische Innenminister Egbert Möcklinghoff (CDU) zu Prozeßbeginn zu bedenken gab, war wohl nur die halbe Wahrheit.

Die andere Hälfte wurde erst nach und nach ruchbar. »Mit fröhlicher Unbefangenheit«, so vermutet jedenfalls der niedersächsische SPD-Landtagsabgeordnete Werner Holtfort, Rechtsanwalt in Hannover, habe der Verfassungsschutz, die Abteilung IV des Innenministeriums, strafbare Handlungen seines V-Mannes Lepzien wissentlich geduldet und halte das nach wie vor für rechtens.

Merkwürdig war dem Abgeordneten schon vorgekommen, auf welch fürsorgliche Weise sich das Innenministerium um den Agenten nach der Verurteilung gekümmert hatte. Erst betrieb es die Revision des Lepzien-Urteils beim Bundesgerichtshof, bestellte dazu einen Anwalt aus der Kanzlei Bossi in München und übernahm die Verfahrenskosten. Dann stellte es sogar ein Gnadengesuch beim Bundespräsidenten.

Die Revision brachte nur einen Teilerfolg. Die Freiheitsstrafe wurde um ein

halbes Jahr auf zweieinhalb Jahre verkürzt. Das Gnadengesuch wurde zunächst abgelehnt, doch zwei Tage vor Ende seiner Amtszeit verfügte Bundespräsident Karl Carstens, Lepzien auf Bewährung aus der Haft zu entlassen.

»Im Rahmen der Fürsorge«, so Peter Frisch, Chef des niedersächsischen Verfassungsschutzes, besorgte das Innenministerium dem bestraften Neonazi als »Starthilfe« auch noch einen Arbeitsplatz. Schließlich, sagte Frisch, sei der V-Mann nur »leider aus dem Ruder gelaufen«. Dagegen Holtfort: »Das ganze Amt ist aus dem Ruder gelaufen.«

Die Abteilung IV wußte genau, mit wem sie sich einließ, als Lepzien der Kriminalpolizei meldete, ein gewisser Otte habe ihm nazistisches Propagandamaterial gegeben und ihn zum Eintritt in die NSDAP-AO ermuntert: Zum einen war Lepzien Mitglied der weit rechtsgerichteten NPD gewesen, zum anderen diente er der Polizei schon früher als Zuträger.

Doch alle Bedenken, einen auch noch verschuldeten alten Nationaldemokraten zur Aufhellung der rechtsextremistischen Szene anzuwerben, wurden in den Wind geschlagen, weil anders kein Informant aufzutreiben war. Lepzien, der erst so recht nicht wollte, ließ sich überreden. Ihn reizte das bißchen Geld, von dem seine Gläubiger nichts erfuhren - Kilometergeld und ein monatliches Fixum, laut Frisch »weniger als der Sozialhilfesatz«.

Lepzien fand an der Rolle, die er zu spielen hatte, Gefallen noch aus anderen Gründen: Als zweiter Mann gleich hinter Otte war er in der Nazi-Truppe endlich mal wieder wer, wurde allseits anerkannt und fand sich wohl selber als Sicherheitsbeauftragter bedeutend - letztlich aber, so die »Braunschweiger Zeitung«, »im Stich gelassen von Schreibtischbeamten, grauen Eminenzen, die nicht bemerkten, wie es um ihn stand, nicht seine Not ahnten noch seinen Verrat erkannten«.

Die grauen Eminenzen trugen dazu bei, daß er auf der schmalen Linie zwischen Recht und Strafbarkeit die Balance verlor. Daß »bei der Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel ... die Verfassungsschutzbehörde an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden« ist, wie es im niedersächsischen Verfassungsschutzgesetz ausdrücklich heißt, ist dem V-Mann offenkundig nicht mit der gebotenen Deutlichkeit erläutert worden.

Vielmehr war es so, daß, wie der Abgeordnete Holtfort in einer Anfrage an die Landesregierung unterdes formuliert hat, Lepzien lediglich belehrt wurde, »er habe sich grundsätzlich strafbarer Handlungen zu enthalten«, daß von diesem Verbot der nach Paragraph 86 des Strafgesetzbuches strafbare »Transport von Propaganda-Schriften« aber ausgenommen wurde, sofern »andernfalls der Zugang zur Gruppe aufs Spiel gesetzt werde«.

Ungenau war auch die Auskunft, die Lepzien beim Verfassungsschutz auf die Frage erteilt wurde, wie er sich verhalten solle, wenn »extreme Situationen, z. B. Sprengstoffeinsatz«, geplant seien. Darüber, bekam der V-Mann zur Antwort, werde »von Fall zu Fall« entschieden.

Von Fall zu Fall entschied Lepzien. Über extreme Situationen - rechtsextrem waren sie alle - unterrichtete er seinen V-Mann-Führer mal korrekt, mal mit Einschränkungen, mal gar nicht.

Nachdem er gegenüber einem Vertrauten des Berliner Verfassungsschutzes, den er für einen Nazi hielt, mit geplanten Attentaten geprahlt hatte, warnte das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz die niedersächsische Abteilung IV viermal schriftlich und informierte »über die Einzelheiten«. Vergebens: In Hannover hielt man die Hinweise laut Verfassungsschutzchef Frisch für »zu vage«; die einzige Reaktion bestand in der Anweisung an Lepzien, den Kontakt mit dem Berliner Informanten abzubrechen.

So nahm das Unglück seinen Lauf. Lepzien kappte nicht nur die Berliner Verbindung, sondern drosselte auch die zu seinem V-Mann-Führer in Hannover: Als bei ihm zu Haus im Kreis der Gesinnungsfreunde die selbstgebastelten Bomben von Hand zu Hand gingen und sich alle klar darüber sein mußten, daß sie sich damit zu einer terroristischen Vereinigung zusammenschlossen, belog Lepzien den Kontaktmann, man habe lediglich über den »Völkischen Beobachter« gesprochen.

Erst vor Gericht schilderte er, wie es vor nationaler Begeisterung drunter und drüber gegangen war: »Es war eine Bombenstimmung und weniger der Alkohol.«

Nach wie vor und sogar »mit aller Entschiedenheit« hält das niedersächsische Innenministerium daran fest, daß etwa Lepziens Belehrung, er dürfe NS-Propaganda transportieren, wenn das die »Zugangslage« erfordert, »Gesetz und Recht entspricht«. Denn: »Sowohl der Generalbundesanwalt als auch das erkennende Gericht haben diesen Standpunkt vertreten.«

Das stimmt allerdings nicht. Auf Rückfrage von SPD-Anwalt Holtfort teilte Generalbundesanwalt Kurt Rebmann so ziemlich das Gegenteil mit, nämlich »daß mit Rechtsverletzungen verbundene Ermittlungsmethoden regelmäßig nicht gerechtfertigt sind. Nur in besonderen Ausnahmesituationen kann eine Berufung auf Paragraph 34 Strafgesetzbuch in Betracht kommen« - auf »rechtfertigenden Notstand«, also bei Gefahr für Leib und Leben.

Und Hans Harald Franzki, Präsident des Oberlandesgerichts Celle, dessen 3. Strafsenat gegen die »Braunschweiger Gruppe« verhandelt hatte, beschied Holtfort, der Punkt sei in dem Verfahren gar nicht zur Sprache gekommen: »Der Senat hatte deshalb keinen Anlaß, zu der Rechtsfrage Stellung zu nehmen«, und habe dies auch nicht getan.

Wo für den Verfassungsschutz und seine V-Leute die Grenzen denn nun verlaufen, läßt sich nach alledem für Holtfort »nicht mehr definieren. Das müssen wir unbedingt nachholen«.

Er weiß auch schon wie: »Der Gesetzgeber muß genau aufzählen, was dürfen die eigentlich.«

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