Berlin . In einer XXL-Dokumentation beleuchtet TVNOW den Aufstieg Merkels zur Bundeskanzlerin – und warum sie fast bei der SPD gelandet wäre.

Angela Merkel ist in einem frühen Interview einmal nach ihrem bewegten Lebensweg gefragt worden. Der habe vor allem damit zu tun, „was in der DDR und danach passiert“ sei, antwortete die Bundeskanzlerin zurückhaltend und bescheiden. Offenbar hatte die gebürtige Hamburgerin, in einer Pfarrersfamilie in der DDR ausgewachsen, von Beginn an ein gutes Timing. Sie ist zur rechten Zeit am richtigen Ort. Ihrer beachtlichen Karriere allein damit zu erklären, wäre aber viel zu kurz gegriffen.

Völlig zu Recht umfasst die aufwändig von Nico Hofmann produzierte DokumentationAngela MerkelFrau Bundeskanzlerin“, die TVNOW nun exklusiv präsentiert, daher fünf fast einstündige Teile. Spannend im Detail und mit unzähligen historischen TV-Aufnahmen lässt die Doku Merkels politischen Werdegang Revue passieren. Und schafft es am Ende sogar, dass man die Politikerin besser versteht.

Fast wäre Merkel SPD-Mitglied geworden

Alles hätte natürlich auch ganz anders kommen können. Denn um ein Haar wäre die unscheinbar wirkende Naturwissenschaftlerin, die sich im bewegten Wendejahr 1990 erstmals politisch engagierte, Mitglied der SPD geworden. Dann aber – erzählte ihre Mutter, Herlind Kasner in einem früheren Merkel-Porträt – wählte sie als Basis doch lieber das Demokratische Forum, eine der nach dem Mauerfall in der Noch-DDR neu entstanden Parteien, „weil da mehr Chaos war“.

Es sind seltene Ausgrabungen wie diese, die diese Dokumentation so unterhaltsam machen. Die beiden Journalisten Stefan Aust und Katrin Klocke sind dafür tief in die Fernseharchive gestiegen. Dort fanden sie kilometerweise Filmmaterial über Angela Merkel.

Für ihr TVNOW-Porträt wählten sie zum großen Teil aber Bilder, die noch nie – oder wenigstens nicht in den letzten 20 Jahren – zu sehen waren: Hübsche Kinderfotos sind dabei, ebenso wie Merkels erste Auftritte als Pressesprecherin des Demokratischen Forums, wo sie 1990 der internationalen Presse in Englisch das skrupellose Vorgehen der Stasi erklärte.

Bundeskanzlerin Merkel in ihrem Arbeitszimmer im Kanzleramt in Berlin.
Bundeskanzlerin Merkel in ihrem Arbeitszimmer im Kanzleramt in Berlin. © TVNOW | Andreas Friese

Merkels Verwandlung zur Bundeskanzlerin hinterlässt Eindruck

Besonders intensiv wirkt Merkels Wandel von 2004 auf 2005, wenn in kurz aufeinander folgenden Interviewsituationen zwei völlige verschiedene Gesichter ein und derselben Politikerin zu erkennen sind: Erst blass und etwas linkisch, dann strahlend und selbstbewusst, weil sorgsam geschminkt und perfekt ausgeleuchtet.

In dem TV-Interview, das Stefan Aust 2005 gemeinsam mit dem inzwischen verstorbenen FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher führte, wurde die frisch gekürte Bundeskanzlerin quasi über Nacht zum politischer Vollprofi. Plötzlich wusste sie genau, was sie zu sagen hatte und wie sie dabei am besten wirkte. Mit der Machtübernahme von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder entwickelte sie sich zu einem politischen Schwergewicht, in aller Welt angesehen.

Merkel 1990: „Nicht mit der Angst vor der Zukunft Politik machen“

Gut strukturiert steht jede der fünf Folgen selbständig für einen anderen Abschnitt ihres politischen Wirkens. Trotzdem finden sich durchgehende Statements, die erklären können, wie Angela Merkel wurde, wie sie ist. Und wie sich selbst dabei treu blieb: „In der politischen Arbeit muss man zum Machbaren kommen und sollte sich nicht in eigene Diskussionen verlieben“, erläuterte sie zum Beispiel 1991 der Interview-Legende Günther Gaus, warum sie basisdemokratischen Bewegungen grundsätzlich misstraute.

Der Satz könnte sicher für ihr gesamtes politisches Schaffen stehen. Wie auch die andere Devise, die sie Zeit ihres Lebens verfolgte: „Es zu schaffen“, was immer das „es“ verlangte. Bereits 1990, noch junge CDU-Hinterbänklerin, warnte sie im Bundestag die Opposition „nicht mit der Angst vor der Zukunft Politik zu machen“.

Über die lange Strecke von mehr als 30 Jahren, in denen sie ihre politischen Marker setzte, belegt die spannende Dokumentation mit vielen Beispielen auch: Angela Merkel kann zuhören. Sie ist eine gute Beobachterin. Und sie lernt – in der Politik wie fürs Leben – vor allem durch persönliche Gespräche. Deshalb erscheint sie in dieser Retrospektive wohl auch in ihren politischen Entscheidungen wesentlich beweglicher, als man es durch den nachrichtlichen Alltag vermuten würde.

Die Dokumentation "Angela Merkel – Frau Bundeskanzlerin" ist ab 29. Juni als Stream bei TVnow zu sehen