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Faktencheck Was Flüchtlinge beim Zahnarzt erwartet

Sanieren sich Flüchtlinge die Zähne im großen Stil auf Staatskosten? In sozialen Medien kursieren solche Berichte. Der Faktencheck zeigt, welche Behandlungen finanziert werden und was sie kosten.
Zahnarzttermin (Symbolbild): Flüchtlinge haben nur bei akuten Schmerzen und Erkrankungen Anspruch auf eine Behandlung

Zahnarzttermin (Symbolbild): Flüchtlinge haben nur bei akuten Schmerzen und Erkrankungen Anspruch auf eine Behandlung

Foto: Peter Macdiarmid/ Getty Images

Ein Zahnarztbesuch kann teuer werden, beim Zahnersatz zum Beispiel zahlen die gesetzlichen Krankenkassen nur noch einen festen Zuschuss. Der Wert orientiert sich an der sogenannten Regelversorgung, deren Kosten der Beitrag etwa zur Hälfte deckt. Den Rest zahlt der Patient. Wünscht jemand eine aufwendigere Lösung, etwa eine Goldkrone oder sogar ein Implantat, ist schnell eine Zuzahlung in drei- oder sogar vierstelliger Höhe nötig. Manche Patienten schließen deshalb eine Zahnzusatzversicherung ab, andere lassen es auf den Ernstfall ankommen.

Berichte darüber, dass Asylbewerber sich in Deutschland die Zähne sanieren lassen können, ohne draufzuzahlen, wecken deshalb Neid. In den sozialen Medien kursieren solche Behauptungen, etwa hier  und hier . Darunter empörte Kommentare, wie etwa "WARUM ????? Wir müssen doch auch selber zahlen" oder "Unsereins verzichtet auf Zahnersatz, weil man es sich kaum leisten kann ... warum nicht gleiches Recht für alle? Sind wir jetzt die Menschen 2. Klasse?"

Ein Überblick, wie die Situation tatsächlich ist.

Was steht im Gesetz?

In welchen Fällen Flüchtlinge Anspruch auf medizinische Behandlungen haben, regelt das Asylbewerberleistungsgesetz. Dort heißt es: "Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren. (...) Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist."

Konkret bedeutet das: Wer unter Zahnschmerzen leidet oder wer aufgrund von Zahn- oder Zahnfleischproblemen nicht richtig essen, schlucken, sprechen kann, der wird behandelt. Allen voran können Karies, Zahnfleisch- oder Wurzelentzündungen Schmerzen verursachen, die eine sofortige Behandlung nötig machen.

In den ersten 15 Monaten tragen nicht die Krankenkassen die Kosten, sondern auf Landesebene bestimmte Behörden. Ansprechpartner ist oft das örtliche Sozialamt. Nach 15 Monaten gilt dann der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Es gibt dann beim Thema Zahnheilkunde keinen Unterschied mehr zwischen einem Flüchtling und einem Kassenpatienten.

Was wird bezahlt, was nicht?

"Derzeit gibt es keinen festen, bundesweit einheitlich gültigen Leistungskatalog für Flüchtlinge. Der Leistungsumfang ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich und von einem ständigen Wandel geprägt. Teilweise haben auch Gemeinden Sonderregelungen in diesem Bereich mit den Krankenkassen getroffen", teilt die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) mit.

Wann lässt sich die Versorgung mit Zahnersatz aufschieben, wann nicht? Ein Dokument der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns  liefert Beispiele: Verliert jemand durch einen Unfall einen Frontzahn, sei der Ersatz in der Regel unaufschiebbar, da die Lücke entstellend und psychisch belastend sei. Bestehe so eine Lücke aber schon lange, gelte die Behandlung in der Regel weiterhin als aufschiebbar. Die KZBV teilt mit, dass bei solchen zahnprothetischen Maßnahmen gegebenenfalls nur Provisorien verwendet werden sollten.

Was bedeutet das konkret für den Zahnarzt?

Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, schildert die Problematik, in der sich Zahnärzte derzeit befinden: Die Kosten für die akut nötige Zahnbehandlung werden zwar erstattet. Doch ob nötige Folgebehandlungen, die den Erfolg der Behandlung langfristig sichern, ebenfalls bezahlt werden, ist unklar.

Ein Beispiel: Einem Patienten mit einer Wurzelentzündung in einem Backenzahn kann der Zahnarzt helfen, indem er den Wurzelkanal behandelt und füllt. Damit sich die Wurzel nicht erneut entzündet, sollte der Zahn aber nach spätestens einem Vierteljahr mithilfe einer Teil- oder Vollkrone versorgt werden. Die Alternative, den Zahn zu ziehen, um Schmerzen zu beenden, entspreche nicht dem Anspruch der modernen Zahnheilkunde - auch wenn sie in Einzelfällen trotzdem die Therapie sein kann, auf die sich Patient und Arzt einigen.

Das Beispiel verdeutliche den ethischen Gewissenskonflikt des Zahnarztes, sagt Oesterreich. Einerseits habe er aufgrund des in Deutschland geltenden Patientenrechtegesetzes die Verpflichtung, den Patienten über die Behandlungsoptionen und deren Kosten aufzuklären und mit ihm gemeinsam eine Entscheidung zu treffen. Andererseits ist bei den nötigen Folgebehandlungen gar nicht klar, ob deren Kosten übernommen werden oder nicht.

"Die Bundeszahnärztekammer rät, diese Patientengruppe nach bestem Wissen und Gewissen trotz des nicht abschließend geklärten Leistungsanspruches zu behandeln", sagt Oesterreich.

In den Medien war davon die Rede, dass der Zahnersatz für Flüchtlinge Milliarden kosten könne - ist das eine valide Schätzung?

Über diesen Wert berichteten die "Stuttgarter Nachrichten" in einem Artikel . Sowohl die Bundeszahnärztekammer als auch die KZBV sagen, dass solche Summen derzeit reine Spekulation sind. "Sicher werden Kosten entstehen, aber momentan verfügen wir schlicht nicht über belastbare Daten, um seriöse Prognosen abgeben zu können", sagt Kai Fortelka, Sprecher der KZBV. Oesterreich sagt: "Wir Zahnärzte sehen in den Praxen nur jene Flüchtlinge mit akuten Beschwerden. Aus diesen Erfahrungen heraus lässt sich nicht ableiten, wie es insgesamt um die Zahngesundheit der Asylbewerber steht."

Die "Stuttgarter Nachrichten" schrieben zudem von Gebisssanierungen - mit geschätzten Kosten in der Höhe von 10.000 Euro pro Komplettbehandlung. "Diese Summe ist für den von der Solidargemeinschaft zu tragenden Kostenanteil in der überwiegenden Mehrheit der Fälle völlig überhöht", sagt Fortelka.

Zahnarzt Oesterreich erklärt, dass unter dem Begriff Gebisssanierung fallende Behandlungen sehr unterschiedlich aufwendig und teuer sein können: Je nachdem, ob es nur um das Füllen vieler kleiner Löcher oder um größere Maßnahmen bis hin Wiederaufbau eines komplett zahnlosen Kiefers gehe. "Abhängig von der Erwartungshaltung des Patienten gibt es preisgünstige Lösungen oder auch aufwendigere und damit teurere Möglichkeiten. Dabei gilt aber immer, dass die Kasse einen Festzuschuss trägt und nicht die kompletten Kosten."

In den ersten 15 Monaten gehe es darum, dass "der Geflüchtete die notwendige Zahnversorgung bekomme, die er gemessen an seinem persönlichen Zahnstatus auch wirklich braucht", heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung der Kassenzahnärztliche Vereinigung Baden-Württemberg und der AOK BW, die nach dem "Stuttgarter Nachrichten"-Artikel erschien. Es gehe nicht um Zahnsanierung unter optischen Aspekten.

Kronen und Implantate sind teuer - was passiert eigentlich, wenn jemand sich den Zahnersatz nicht leisten kann?

Für Versicherte mit geringem Einkommen existiert eine Härtefallregelung. "Wählen Härtefallpatienten die Regelversorgung, übernimmt die Krankenkasse die Kosten vollständig", so die KZBV. Das bedeutet zum Beispiel, dass ein Backenzahn mit einer Metallkrone versorgt wird, aber nicht mit einem zahnfarben verblendeten oder Gold-Modell. "Natürlich kann auch ein Härtefallpatient sich für eine Therapie entscheiden, die über die Regelversorgung hinausgeht. Er erhält dann von der Kasse den doppelten Festzuschuss und muss die darüber hinaus gehenden Kosten als Eigenanteil bezahlen."

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wbr