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Klimagase CO2-Ausstoß wächst trotz Krise, Forscher verblüfft

Viele Forscher glaubten fest, die Wirtschaftskrise wäre wenigstens gut fürs Klima. Neue Messungen zeigen aber, dass der CO2-Ausstoß auch 2008 übermäßig stark stieg. Grund könnte eine rätselhafte Änderung in den Ozeanen sein - sie schlucken weniger CO2 als früher.
Von Volker Mrasek

Entgegen allen Erwartungen sorgt die Finanz- und Wirtschaftskrise offenbar nicht für die erhoffte Atempause beim Anstieg von Treibhausgasen in der Erdatmosphäre. Die Konzentration von Kohlendioxid in der Außenluft ist im vergangenen Jahr erneut übermäßig stark gestiegen, obwohl das globale Wirtschaftswachstum bereits deutlich schwächer ausfiel als 2007. Das sind die vorläufigen Ergebnisse des Global Carbon Project (GCP), einer internationalen Forschungsinitiative, die den weltweiten Kohlenstoff-Kreislauf im Blick hat und ihre Daten für 2008 Mitte des Jahres offiziell herausgeben wird.

Eisscholle mit Pinguinen (vor der Antarktis): Steigende Temperaturen führen zu schnelleren Winden - deswegen absorbiert der Südliche Ozean weniger CO2 als früher

Eisscholle mit Pinguinen (vor der Antarktis): Steigende Temperaturen führen zu schnelleren Winden - deswegen absorbiert der Südliche Ozean weniger CO2 als früher

Foto: AFP

Wie GCP-Exekutivdirektor Pep Canadell gegenüber SPIEGEL ONLINE erklärte, stieg der CO2-Anteil in der Außenluft im letzten Jahr um 2,3 auf nunmehr rund 385 ppm (parts per million, Moleküle CO2 pro Million Gesamtteilchen in der Atmosphäre). Der Durchschnittswert der vorangegangenen neun Jahre für den Anstieg lag bei 2,0 ppm. "Das hat uns sehr überrascht, denn der starke wirtschaftliche Abschwung begann ja bereits 2008", so Canadell, der Biologe an der Abteilung für Meeres- und Atmosphärenforschung der staatlichen australischen Forschungsorganisation CSIRO in Canberra ist.

Laut Canadell ist das weltweite Bruttosozialprodukt (BSP) im vergangenen Jahr zwar trotz der einsetzenden Krise um 2,5 Prozent gestiegen, doch längst nicht mehr so stark wie noch 2007 mit einem Plus von 3,2 Prozent. Entsprechend sollte der Energieverbrauch von Industrie- und Schwellenländern eigentlich zurückgegangen sein - und somit auch die damit verbundenen globalen Kohlendioxid-Emissionen.

Ein eher moderater CO2-Zuwachs wäre auch aus einem zweiten Grund plausibel gewesen: "2008 war ein vergleichsweise kühles Jahr, und wenn es kälter ist, verbleibt normalerweise ein bisschen mehr CO2 in den großen Kohlenstoffsenken Wald und Ozean", sagt Canadell. Einerseits ist die CO2-Aufnahmekapazität der Meeresoberfläche dann erhöht; andererseits weist die Landvegetation bei niedrigeren Temperaturen eine verminderte Respirationsrate auf. Grüne Pflanzen betreiben nicht nur Photosynthese und bauen - unter Verbrauch von Kohlendioxid aus der Luft - Biomasse auf. Auch sie haben einen Stoffwechsel und "veratmen" Sauerstoff, wenn sie ihre Zellen mit Energie versorgen. Dabei geben sie CO2 ab.

Sind natürliche Kohlenstoff-Senken erschöpft?

Und dennoch: Auch 2008 wurde die globale CO2-Hypothek abermals kräftig aufgestockt.

Was genau der Grund dafür ist, können die GCP-Experten im Moment noch nicht sagen, da sie die Daten für 2008 gerade erst genauer auswerten. Doch Canadell kann sich nach eigener Aussage kaum vorstellen, dass die Treibhausgas-Emissionen trotz des verminderten Wirtschaftswachstums unverändert hoch geblieben sein sollen. Der CSIRO-Ökologe hält es für viel wahrscheinlicher, dass die natürlichen Kohlenstoff-Senken inzwischen stärkere Anzeichen einer Erschöpfung zeigen und nicht mehr so viel CO2 schlucken.

Bisher versehen Wälder und Ozeane trotz anhaltender Klimaerwärmung und Anhäufung von Treibhausgasen wacker ihren Dienst. Nach der GCP-Analyse eliminierten sie in den Jahren von 2000 bis 2007 zusammen 54 Prozent der CO2-Emissionen durch menschliche Aktivitäten aus der Atmosphäre. Das waren umgerechnet 4,8 Milliarden Tonnen Kohlendioxid. "1959 haben wir noch zwei Milliarden Tonnen emittiert, heute sind es weit über acht Milliarden", erläutert Canadell. "Und trotzdem wandert nach wie vor etwa die Hälfte davon in die Senken." Der Anteil ist aber bereits leicht rückläufig. Vor 50 Jahren verblieben von jeder Tonne emittierten Kohlendioxids letztlich 600 Kilogramm in Vegetation und Meereswasser, zurzeit sind es nur noch 550 Kilogramm, so die Abschätzung der Wissenschaftler.

So könnte also - zeitgleich mit der Finanzkrise - ein Punkt erreicht sein, an dem der Ozean als CO2-Speicher schwächelt. "Im 4. Weltklimabericht von 2007 wurde darüber spekuliert, ob so etwas eintreten könnte", erinnert sich Michael Raupach, auch er CSIRO- und führender GCP-Forscher. "Inzwischen", so der Meteorologe, "haben wir einen solchen Trend für den Südlichen Ozean bestätigen können". Ähnliche Befunde gibt es heute auch in anderen Meeresregionen. Forscher der Pohang University of Science and Technology in Südkorea berichteten kürzlich in der Fachzeitschrift "Geophysical Research Letters", dass das Japanische Meer im Nordwestpazifik heute nur noch halb so viel Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnimmt wie in den neunziger Jahren. Experten der französischen Forschungsorganisation CNRS sehen die CO2-Senke im Nordatlantik in gleicher Größenordnung schwinden.

Ozeane werden stärker durchmischt

Nicht immer ist klar, woran das liegt. Im Nordatlantik wähnen die Wissenschaftler natürliche Schwankungen am Werk, im Südlichen Ozean dagegen den Klimawandel, wie die französische Antarktisforscherin Corinne Le Queré soeben auf einer Fachkonferenz in Kopenhagen schilderte. Demnach führen steigende Temperaturen zu erhöhten Windgeschwindigkeiten auf der Südhemisphäre und diese wiederum zu einer stärkeren Durchmischung des Ozeans. Dadurch gelangt Tiefenwasser an die Oberfläche, das besonders kohlenstoffreich oder sogar kohlenstoffgesättigt ist, so dass die Aufnahmekapazität des Meeres für atmosphärisches Kohlendioxid sinkt und mehr davon in der Atmosphäre verbleibt. "Stärkere Winde und eine nachlassende CO2-Senke im Südlichen Ozean - beide Trends sind eindeutig", betont Michael Raupach.

"Wir müssen davon ausgehen, dass solche Rückkopplungen den Klimawandel künftig auch in anderen Teilen der Welt verstärken", sagt auch Martin Heimann, einer der beiden Direktoren des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie in Jena. Doch anders als Pep Canadell ist der Schweizer Physiker skeptisch, ob der gestiegene CO2-Gehalt der Atmosphäre in 2008 tatsächlich schon die Handschrift der schwächelnden Senken zeigt. Im Moment, so Heimann, sei die Entwicklung "noch nicht wirklich dramatisch". Der neuerliche CO2-Zuwachs könne auch Ausdruck "natürlicher Variabilität" sein. Das müsse man noch genauer prüfen.

Mehr Klarheit soll eine laufende Studie bringen, für die Daten über die CO2-Aufnahmeraten sämtlicher Ozeanregionen ausgewertet werden. Laut Michael Raupach könnte sie Mitte des Jahres vorliegen und dann zeigen, wie viel von den 2,3 ppm in 2008 wirklich Kohlendioxid war, das die Weltmeere nicht mehr schultern konnten. Schon jetzt scheint aber festzustehen: Im Jahr eins der globalen Finanzkrise ist nicht eingetreten, was viele gehofft hatten - dass die Staatengemeinschaft Zeit im Kampf gegen den Klimawandel gewinnt.

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