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Kriminalität Millionär per Post

Untergrundautoren leiten zu Betrügereien und Gemeinheiten an. Mit den oft kriminellen Tips treiben Verleger schwunghaften Handel. Die Justiz verfolgt die Geschäftemacher hartnäckig - meist erfolglos.
aus DER SPIEGEL 41/1993

Der Kölner Staatsanwalt Gerhard Both, 55, gilt als geduldiger Ermittler, als Mann mit langem Atem. Endlose Verfahren und zählebige Gesetzesbrecher nimmt der Experte für Wirtschaftskriminalität mit Gleichmut hin. Wenn aber der Name Norbert Ebert fällt, verläßt ihn die Gelassenheit.

Seit über zehn Jahren verfolgt Both den wohlbeleibten Geschäftsmann. Neunmal hat er dessen Haus im Kölner Nordosten durchsuchen und Beweismittel beschlagnahmen lassen, viermal hat er ihn angeklagt - erfolglos.

Den Staatsanwalt wurmt das besonders, seit er weiß, daß »der Ebert sich ausschüttet vor Vergnügen über meine Bemühungen, ihn dranzukriegen«.

Ebert, 40, der seinen Gegenspieler Both beinahe zärtlich »meinen Staatsanwalt« nennt, vertreibt Literatur besonderer Art. Neben harmlosen Schriften, etwa »Wie man erfolgreich Frauen verführt« ("Intensivkurs") und »In 4 Tagen gehorcht Ihr Hund«, bietet er präzise Anleitungen für Psychoterror und Ladendiebstahl, Computermißbrauch ("Wie man jahrelang für Tote weiterkassiert") und Wirtschaftskriminalität.

Der Verleger klärt auf, wie Politiker und Beamte bestochen werden - »aber richtig« - oder wie man Rollstuhlfahrern, mit Hilfe einer Nylonschnur, eine »jähe Fahrtunterbrechung mit Katapultfolgen« beschert. Im Ratgeber für Schuldner, Titel: »Gläubiger-Schock«, leitet der Autor zu einer vielversprechenden »Zermürbungstaktik mit Sachverstand« an. Und nach der Lektüre von »Strafrecht ade«, versichert Ebert, wisse der Leser, wie alle möglichen Gesetze »aus den Angeln« zu heben seien.

»Wollen Sie jeden hereinlegen, wann immer es Ihnen paßt?« wirbt der ewige Betriebswirtschaftsstudent auf Bestellformularen um Käufer: »Wollen Sie trotz Schulden wie ein König leben und die ganze Welt verarschen?«

Um derlei Wünschen nachzukommen, arbeitet Ebert, wie er sagt, mit »bedeutenden Fachautoren«. Die Verfasser der ehrwidrigen Literatur - Juristen, Steuerexperten oder Mediziner - bleiben im Hintergrund. Sie schreiben meist anonym oder unter Pseudonym.

Eberts Kunden sind vor allem an Tips interessiert, wie sie schnell zu Geld oder an ihr Erbe kommen oder Gesetze elegant umgehen können. Zum Beispiel, wie man sich einen Titel, einen Zweitpaß oder einen Führerschein erschwindeln, Kredite und Subventionen erschleichen oder seine Ehefrau bei der Scheidung über den Tisch ziehen kann.

Für den Staatsanwalt sind die penibel beschriebenen Tricks nicht selten eindeutige »Aufforderungen zu Straftaten« - darauf stehen bis zu fünf Jahren Haft.

Ein gutes Dutzend subversiver Autoren und rund hundert sogenannte Informationshändler beherrschen den Markt der schmutzigen Tricks. Ihre Publikationen verkaufen sie mit hohen Gewinnen. Geschätzter Jahresumsatz der Branche: 40 Millionen Mark.

Die Zunft versorgt ein weitgewobenes Netz an Interessenten. Kenner des Marktes wie Uwe Gruhle, Sprecher des Eichborn-Verlages, gehen von 400 000 potentiellen Käufern in der Bundesrepublik aus. Allein Verleger Ebert sammelte bislang in seiner Kartei die Namen von 121 500 Kunden.

Die Besteller, so Eberts Analyse, sind meist zwischen 20 und 45 Jahren alt, männlich, und geben für Ratschläge, wie sie Kontrahenten ausbooten oder terrorisieren können, im Schnitt 125 Mark aus.

Zu den Top ten der Untergrundautoren gehört Albert Matusch, 57, aus dem hessischen Schwalmstadt, ein harmlos wirkender Mann mit grauer Igelfrisur. Gegen den Juristen ermittelt die Staatsanwaltschaft seit mehr als zehn Jahren.

Sein bedeutendstes Werk »Schach dem Staatsanwalt« fand die aufmerksamsten Leser unter den Fahndern. Auf 237 Seiten leitet Matusch Gesetzesbrecher an, wie sie die Zustellung von Gerichtsdokumenten abblocken, sich bei Vernehmungen herauswinden und bei Verhören dummstellen können.

Das Buch, von dem hessischen Schriftsetzermeister Erwin Eschenröder, 51, verlegt, wurde per Beschluß des Amtsgerichts Memmingen eingestampft.

Matusch blieb seinem Metier treu. Seine Empfehlungen für Betrüger und solche, die es werden wollen, beschreibt er etwa in seinem regelmäßig erscheinenden Informationsdienst »Trick-Magazin«. Beispielsweise rät er, um der Strafe für ein schweres Verbrechen zu entgehen, sich für eine minderschwere Tat verurteilen zu lassen, die angeblich zeitgleich verübt wurde. Oder: Zwei Brüder sollten behaupten, mit demselben Mädchen geschlafen zu haben, damit keiner für dessen Kind zahlen müsse.

Der Winkeladvokat, der den Anwaltsberuf offiziell nicht mehr ausübt: »Meine Ratschläge verstoßen zwar gegen das Standesrecht, sind aber legal. Eine Gesetzeslücke.«

Die Justiz ist gegen Matusch, Ebert & Konsorten ziemlich machtlos. Anzeigen von Verbraucherschützern wegen »Irreführung der Verbraucher« endeten bislang stets ohne Erfolg. »Diese Firmen«, hat Helga Zander-Hayat, 33, von der Düsseldorfer Verbraucherzentrale erkannt, »sind kaum greifbar.«

Die Szene entzieht sich geschickt dem Zugriff der Ermittler. Häufig wissen nicht einmal die Kunden, mit wem sie ihre Geschäfte machen.

Werbeprospekte für die Schriften gelangen per Post ins Haus. Nicht selten sind als Absender ein Phantasiename und ein ausländisches Postfach angegeben, vorzugsweise in London. Dort residiert etwa die Firma »Success Discount« in der »Falcon Road, GB-London SW 11 2 PQ«. Bestellt werden kann nur gegen Vorkassescheck, Bargeld oder Nachnahme. Hinter den Auslandsadressen stecken Dienstleistungsbüros, sogenannte Maildrops. Sie nehmen für Firmen und Privatleute, die nicht selbst in Erscheinung treten wollen, Post entgegen und leiten sie diskret an ihre Kunden weiter. Die Verkäufer wollen so nicht nur den Nachstellungen des Staatsanwaltes, sondern auch dem Finanzamt entgehen.

Mehr als 14 Jahre, in denen die Ermittler zahllosen Strafanzeigen nachgingen und über hundert Ermittlungsverfahren einleiteten, verfolgte die Justiz den aggressivsten Autor der deutschen Trick-Szene, Gerhard Kurtz, 58. Verurteilt wurde er am Ende lediglich wegen Urkundenfälschung und Mißbrauchs von Titeln - zu einem Jahr auf Bewährung und 2000 Mark Geldbuße.

Seine Karriere hatte Kurtz Ende der sechziger Jahre mit dem »Kurtz-Brief« gestartet, einem Ratgeber für »Geld, Börse, Steuer und Karriere«, der 4000 Abonnenten fand. Darin zog er über Bau- und Industrieunternehmen her, warnte vor angeblichen Pleitiers und vermeintlich krummen Geschäften.

Die Geschädigten ließen Kurtz um den ganzen Erdball verfolgen. Er floh »jeweils dahin, wo gerade niemand hinter mir her war«, von Campione nach Andorra, Gibraltar, Venezuela, Zürich und San Francisco. Meist mußte Kurtz das Gastland auf Druck deutscher Behörden schnell wieder verlassen.

Heute, neun Jahre später, lebt der gebürtige Hesse feudal in einer verwinkelten Villa im Norden der Kanaren-Insel Teneriffa, mit Blick aufs Meer.

Der »Meister«, wie ihn die Autoren daheim in Deutschland halb spöttisch, halb ehrfürchtig nennen, hat sich aus dem heißen Geschäft zurückgezogen. _(* Vor der Kurtz-Villa auf Teneriffa. ) Gleichwohl lebt er noch heute vom Verkauf seiner zahlreichen Geheimreports, die er über Hongkong, London und den Karlsruher Wolf-Verlag vertreibt.

Zuweilen tauchen sie in Anzeigen seriöser Zeitungen wie der Frankfurter Allgemeinen oder in der Mitgliedszeitschrift des Bundes Deutscher Steuerzahler auf. Text: »Millionär per Post - Wie auch Sie mit einem Mail-Order-Geschäft Ihre erste Million machen.«

Zu den Bestsellern von Kurtz gehören außerdem eine »Fernscheidung ab 150 Mark« sowie die Antwort auf die Frage, wie man »trotz heimatlichem Fahrverbot im Ausland einen neuen Lappen ergattert«. Den Käufern verschafft der Autor kurzweilige Unterhaltung. In »Mit dem eigenen Verein zu Reichtum und Erfolg« etwa macht er mit der bombensicheren Geschäftsidee des »Spendensammelvereins« vertraut: _____« Ob Sie hungernden Kindern in Äthiopien, Boat People » _____« im Chinesischen Meer, nach Genesung schmachtenden Müttern » _____« oder von Krebs bedrohten Mitbürgern zu helfen vorgeben - » _____« mit keiner anderen Vereinsmasche lassen sich so vielen » _____« Gutgläubigen so nachhaltig die Brieftaschen leeren. Auch » _____« wenn Sie null Ahnung von der Dritten Welt haben und » _____« nichts weniger beabsichtigen, als sich dort Aussatz oder » _____« den Messerstich eines Tupamaro zu holen, können Sie » _____« sofort groß ins Geschäft mit dem Mitleid für kleine » _____« Negerlein oder Schlitzäugige einsteigen. »

Ohne es zu ahnen, sind Hunderttausende von Bundesbürgern in Adressenkarteien von Untergrundautoren und ihren Verlegern gespeichert und werden regelmäßig verschachert. Pro Kunde und einmaliger Nutzung erhält der Karteibesitzer durchschnittlich 20 Pfennige. Dem Besteller, der sich einmal zum Kauf entschließt, flattern deshalb meist noch Jahre später die Offerten ähnlicher Anbieter ins Haus.

Seriös zu bleiben und zugleich reich zu werden, wie der ehemalige Steuerinspektor Franz Konz, 67, gelingt den wenigsten aus dem Klub der liederlichen Dichter. »Onkel Konz«, wie sich der Rächer der vom Fiskus Ausgeplünderten gern nennt, machte mit seinen »1000 ganz legalen Steuertricks« ganz legal Millionen. Das Werk wurde bisher 3,6millionenmal verkauft.

Doch auch Konz stand schon vor Gericht und saß sogar im Gefängnis - unter anderem wegen Beleidigung von Finanzbeamten und Aufforderung zur Steuerhinterziehung.

Nach seiner Kündigung im Finanzamt hatte der junge Kölner Beamte vor über 30 Jahren zunächst harmlose Werke wie die »Lohnsteuerermäßigungsmöglichkeiten der Geistlichkeit« geschrieben. Das überraschend erfolgreiche Buch klärte katholische Pfarrer auf, wie sie für ihre Haushälterinnen Höchstbeträge von der Steuer absetzen können.

Empfindlich reagierten die Ex-Kollegen jedoch, als Konz 1958 mit dem Slogan »Soll man eine Bombe ins Finanzamt werfen?« für sein Werk »Steuertips« warb. Das Buch wurde beschlagnahmt, und die Steuerfahndung machte Konz einen unfreundlichen Besuch.

Seine Erfahrungen mit den Ermittlern legte der verärgerte Konz in einem weiteren Werk nieder: »Wie schütze ich mich gegen Steuerfahndung und Betriebsprüfung?«

Wieder erstatteten die Kollegen von einst Anzeige. Konz hatte Steuerfahnder mit »Eunuchen« verglichen und geschrieben: »Ihre widerwärtige Beschäftigung hat charakterlich abgefärbt.«

Von dem Schmähwerk, das insgesamt dreimal beschlagnahmt wurde, will der Erfolgsautor im November eine überarbeitete Fassung vorlegen*. Konz geht davon aus, »daß der Staat sich das auch diesmal nicht gefallen lassen wird«. Die Neuauflage will er daher gründlich von Anwälten vorprüfen lassen.

Ähnliches kann der Kölner Staatsanwalt Both seinem Alt-Klienten Norbert Ebert nur wärmstens empfehlen. »Ich bin«, sagt der Staatsanwalt drohend, »noch zehn Jahre im Amt.« Y _(* »Tips und Tricks für Betriebsprüfung ) _(und Steuerfahndung«. Wirtschaftsverlag ) _(Langen-Müller, 1993, München; 736 ) _(Seiten; 68 Mark. )

Kontrahenten Ebert, Both: »Zermürbungstaktik mit Sachverstand«

Bestsellerautor Konz »Bombe ins Finanzamt werfen?«

Untergrundautor Matusch »Verstoß gegen Standesrecht«

Untergrundautor Kurtz, Ehefrau*: »Fernscheidung ab 150 Mark«

* Vor der Kurtz-Villa auf Teneriffa.* »Tips und Tricks für Betriebsprüfung und Steuerfahndung«.Wirtschaftsverlag Langen-Müller, 1993, München; 736 Seiten; 68 Mark.

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