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Selbstmordgedanken Brandt hatte schon den Abschiedsbrief geschrieben

Willy Brandt stand 1974 offenbar kurz vor dem Selbstmord. Er habe sich im Amt überfordert gefühlt, fand ein Erlanger Historiker jetzt heraus.

Hamburg - Offiziell hatte Brandt Mutmaßungen über solche Pläne als "Geschwätz" bezeichnet. Der "Stern" zitiert nun aber den Brandt-Biografen Gregor Schöllgen mit den Worten, Brandt habe "auch einen Abschiedsbrief an die Familie zu Papier gebracht, ihn dann aber doch wieder zerrissen". Der Erlanger Historiker stützt sich nach eigenen Angaben auf private Aufzeichnungen Brandts aus dessen Nachlass. Schöllgens Buch soll im September erscheinen.

Die Enttarnung des DDR-Spions Günter Guillaume war den Recherchen zufolge jedoch nicht der Auslöser für die Selbstmordabsichten. Auch die drohende Enthüllung angeblicher Affären Brandts sei nicht der Grund gewesen. Den Ausschlag gegeben habe sein ihn "überforderndes Amt". Dafür spricht laut Schöllgen, dass der damals 61-Jährige neben dem offiziellen Rücktrittsschreiben vom Mai 1974 noch einen zweiten, bislang unbekannten Brief an den damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann verfasst hat. Er wolle zwar in der Politik bleiben, "aber die jetzige Last muss ich loswerden", heißt es darin.

Der 1913 geborene Willy Brandt war Bundeskanzler von 1969 bis 1974. In dieser Zeit wurde er von seinem Referenten Guillaume ausspioniert. Nachdem der DDR-Spion enttarnt worden war, trat Brandt als Kanzler zurück. Er wolle die Verantwortung übernehmen "für Fahrlässigkeiten" im Zusammenhang mit der Affäre, schrieb er in seinem Abschiedsbrief. Brandt starb 1992 mit 78 Jahren an Krebs.

Schöllgen berichtet auch über ein letztes Gespräch, das der bereits todkranke Brandt in seinem Haus in Unkel am Rhein mit dem damaligen Kanzler Helmut Kohl geführt hat. Dabei habe Brandt dem CDU-Politiker "seine Wünsche für die Trauerfeier" benannt. Zu dem Gespräch habe sich der Todgeweihte mit der Begründung, "Ich bleibe nicht im Bett, wenn mein Bundeskanzler kommt", ins Wohnzimmer begeben. Kohl sagte Schöllgen, er habe Brandt "bewundert".

Gregor Schöllgen: "Willy Brandt. Eine Biographie". Propyläen Verlag, Berlin; 350 Seiten; 48,90 Mark. Erscheinungsdatum: September.