Zum Inhalt springen
Fotostrecke

"Lassen Sie uns ruhig sterben" - U-234 auf dem Weg nach Japan

Foto: Heritage Images/ Getty Images

Geheimmission zum Kriegsende Die mysteriöse letzte Fahrt von U-234

Der Krieg war vorbei, ein deutsches U-Boot steuerte weiter nach Japan. An Bord: Baupläne, 560 Kilo Uranoxid, zwei Japaner und ein altes Samurai-Schwert - Chronik einer Irrfahrt mit dramatischem Ausgang.

Was treiben die Japaner da?

Im März 1945 macht Unteroffizier Wolfgang Hirschfeld eine seltsame Beobachtung: Beim Verladen des U-Bootes von U-234 im Kieler Hafen sieht der Oberfunker zwei Japaner auf einer großen Kiste. Mit Tusche beschriften sie Päckchen, die Seeleute dann im Schiff verstauen. Hirschfeld erinnert sich später:

"Die Päckchen sind ca. 25 x 25 cm groß, in Packpapier eingeschlagen, verklebt und schwer wie Blei. Die Aufschrift lautet 'U 235'. Auf meine Frage, was die Päckchen enthalten, sagt der Japaner, der Tomonaga heißt: 'Ist Ladung von U-235. Fährt nicht mehr nach Japan'."

Hirschfeld forscht nach: U-235 hatte nie Kontakte zu Japan. Haben die Japaner ihn belogen?

Sein Misstrauen ist berechtigt, mit "U 235" ist kein U-Boot gemeint. Es ist die Abkürzung für Uran 235 - das spaltbare Uran-Isotop, aus dem sich Atomwaffen bauen ließen.

Hochrangige Passagiere, geheime Baupläne

Als das Kriegsende in Europa naht, will das NS-Regime noch dem verbündeten Japan helfen. Unter dem Kommando des "Marinesonderdienstes", zuständig für Geheimmissionen, wird der Minenleger U-234 zum Transporter umgebaut: Die Minenschächte werden zu Stauräumen, Zusatztanks sollen eine Reichweite von 18.000 Seemeilen und die Versorgung über neun Monate garantieren. U-234 bekommt einen Schnorchel für lange Unterwasserfahrten und modernste Radartechnik zum Schutz vor Luftangriffen.

Zudem fahren einige hochrangige Passagiere mit, etwa ein Luftwaffengeneral sowie Experten für Raketen-, Schiff- und Flugzeugbau, unter ihnen die japanischen Offiziere Hideo Tomonaga und Genzo Shoji. Verstaut werden laut Ladeliste Baupläne für Raketen und Flugzeuge wie den Düsenjäger Messerschmitt 262. Und 560 Kilogramm Uranoxid, aus dem sich etwa 500 Gramm kernwaffenfähiges Uran gewinnen lässt.

Doch verfügt Japan 1945 überhaupt über ein geheimes Atomwaffenprogramm, wie US-Historiker Robert Wilcox mutmaßt? Bewiesen ist das nicht. Ebenso spekulativ bleibt, ob U-234 eine komplett zerlegte Messerschmitt 262 und Bauteile der V2-Rakete auf seine mysteriöse Mission mitnimmt, wie häufig behauptet wird.

Das verbotene Tagebuch

Funker Wolfgang Hirschfeld hat auf U-Boot-Fahrten heimlich und verboten Tagebuch geführt. Seine U-234-Notizen beschlagnahmten nach dem Krieg die Amerikaner. Er rekonstruierte sie 1947 aus dem Gedächtnis und verarbeitete sie im Buch "Feindfahrten: Das Logbuch eines U-Bootfunkers".

Manches bleibt vage, anderes lässt sich nicht überprüfen. Und doch sind Hirschfelds Erinnerungen eine der Hauptquellen zu den Aktivitäten der beiden Japaner. Shoji ist demnach Spezialist für Flugzeugbau, Tomonaga U-Boot-Ingenieur. Er bringt sogar ein 300 Jahre altes Samurai-Schwert mit an Bord:

"(Das Schwert) wurde in Kiel während einer Zeremonie im Beisein von Botschafter Oshima für die Dauer der Fahrt in die Hand des Kommandanten (Johann-Heinrich Fehler) gegeben. Damit haben die Japaner ihr Leben in seine Hand gelegt; andere Waffen besitzen sie nicht."

Fotostrecke

"Lassen Sie uns ruhig sterben" - U-234 auf dem Weg nach Japan

Foto: Heritage Images/ Getty Images

Hirschfeld berichtet über das Chaos widersprüchlicher Funkmeldungen, als das U-Boot im April 1945 zur Reparatur im besetzten norwegischen Hafen Kristiansand liegt. "U 234 noch nicht auslaufen. Befehl abwarten. Führerhauptquartier." Soll Luftwaffenchef Göring noch an Bord, wie spekuliert wird? Marinechef Dönitz entscheidet: U-234 solle "nach eigenem Ermessen sofort auslaufen".

Am 15. April 1945 beginnt die erste und einzige Feindfahrt. Denn das Boot vom Typ XB, 90 Meter lang und 2100 Tonnen schwer, kam wegen eines Schadens nach einem Luftangriff noch nie zum Einsatz.

Die ersten Tage taucht das U-Boot fast ständig. Die Alliierten werfen Sonar-Bojen ab, damit ihre Flugzeuge Wasserbomben gezielter abwerfen können. Doch U-234 bleibt unbemerkt. Nur einmal, in Schnorcheltiefe tauchend, rammt es in pechschwarzer Nacht fast einen Frachter, wie Hirschfeld schreibt:

"Wir kommen gerade noch unter dem Dampfer hinweg. Jeden Augenblick fürchten wir, dass er uns hochsaugt und mit den Schrauben den Turm abrasiert."

"Noch heißt die Parole Japan"

Das ist Kriegsalltag. Die Spannungen an Bord nehmen zu, als der Krieg auf sein Finale zusteuert. Am 4. Mai 1945 - Hitler ist bereits tot - befiehlt die Nachfolgeregierung unter Großadmiral Dönitz das Ende des U-Boot-Krieges.

U-234 aber pflügt weiter durch den Atlantik. Die Kommunikation wird schwieriger, die Alliierten haben den Marine-Langwellensender "Goliath" bei Magdeburg erobert. Fortan ist die Besatzung auf Meldungen über Kurzwelle angewiesen.

8. Mai 1945: Deutschland hat kapituliert. U-Boote dürfen nicht mehr verschlüsselt funken. U-234 solle "weiterlaufen oder nach Bergen" in Norwegen zurückkehren, lautet nach Hirschfelds Erinnerungen ein dennoch verschlüsseltes Funktelegramm. Kapitän Fehler aber will nicht umkehren.

"Noch heißt die Parole Japan. Aber dann nehmen wir eine Parole von Reuter auf, die besagt, dass Japan die Beziehung zu Deutschland abgebrochen hat. Somit ist unsere Fahrt eigentlich sinnlos geworden. Dönitz fordert die U-Boote dringend auf, zu kapitulieren."

Über Funk hören die Männer bald Anordnungen, die sie als demütigend empfinden. Flakmunition soll über Bord geworfen, Torpedos sollen unbrauchbar gemacht werden. Eine schwarze Flagge am Seerohr ist das Zeichen zur Kapitulation - als wären die Seeleute Piraten. Fehler zögert. Sind die Meldungen eine alliierte Kriegslist?

"Machen sie uns fertig?"

11. Mai: Der Krieg in Europa ist seit drei Tagen vorbei, doch an Bord ist man sich da nicht so sicher. "Machen sie uns fertig, wenn wir mit dieser Flagge kommen?", fragt sich nicht nur Hirschfeld.

"Seit unserem Auslaufen haben wir nichts mehr gemeldet. Niemand kann wissen, ob wir überhaupt noch existieren. (...)Was hält uns eigentlich davon ab, um Kap Hoorn zu fahren und uns in der Südsee auf einer Insel zu verstecken?"

Kapitän Fehler aber ist jetzt überzeugt, dass die Meldungen echt sind, auch weil ein deutsches U-Boot sie per Funk bestätigt hat. Was bringt es, sich zu verstecken und dafür später als Kriegsverbrecher abgeurteilt zu werden? Die Japaner protestieren. Sie versichern, die Deutschen würden in Japan nicht interniert werden. Doch Fehler will kapitulieren.

Am 13. Mai 1945 ruft Hirschfeld die Station im kanadischen Halifax. Die Antwort auf Deutsch: "U-234, geben Sie Standort." Die Mannschaft färbt ein Bettlaken schwarz, befestigt es am Seerohr, lässt Flak und Torpedos aber gefechtsbereit. Sie will kämpfen, sollte das eine Falle sein.

Todeskampf in der Koje

Derweil wird dem Kapitän gemeldet, dass die beiden Japaner in ihrer Koje liegen, bewusstlos und röchelnd. Zuvor hatten sie sich verabschiedet, ohne dass jemand es richtig deutete. Tomonaga hatte laut Hirschfeld seine Schweizer Uhren verschenkt. Offenbar haben sie eine Überdosis des Schlafmittels Luminal genommen und lassen sich auch durch "starkes Rütteln" nicht aufwecken, so Funker Hirschfeld. In einem Seesack ein Abschiedsbrief:

"Lassen Sie uns ruhig sterben. Bestatten Sie unsere Leichen auf hoher See."

Weiter bitten die Japaner, dass man ihr Gepäck mit geheimen Unterlagen im Meer versenkt.

Zugleich läuft eine Nervenschlacht um die Kapitulation. U-234 befindet sich im Atlantik genau zwischen den Zonen der Alliierten. Kapitän Fehler will nicht in Gefangenschaft der Kanadier und Briten geraten. Also nimmt er Kurs auf US-Gewässer. Halifax schickt ein Flugzeug und verlangt eine Kurskorrektur. Hirschfeld muss eine falsche Position melden, um Zeit zu gewinnen.

Der US-Zerstörer "Sutton" fängt den Funkverkehr ab und kontaktiert U-234. Nun erst, so Hirschfeld, werden die Japaner bestattet.

"Jetzt geht alles ganz schnell. Die Leichen werden in Hängematten verschnürt, die an Deck mit Grundgewichten versehen werden. Dann kommt der Befehl: 'Beide Maschinen Stopp!' Zehn Minuten Schweigen auf der Brücke und im Boot. Das Samurai-Schwert wird Tomonaga beigegeben."

Die Spur des deutschen Urans

Wenig später ist der Krieg auch für U-234 vorbei. Am 19. Mai läuft die "Sutton" mit dem eroberten U-Boot in der Marinebasis Portsmouth ein. Hirschfeld und einige Offiziere werden zunächst im Gefängnis interniert, dann sollen sie den Amerikanern an Bord des U-Boots technische Details erläutern. Was die Beschriftung "U 235" auf den Paketen bedeutet, wird Hirschfeld angeblich erst klar, als die Amerikaner mit Geigerzählern durch das Boot laufen.

Am 6. August 1945 werfen die USA die Atombombe "Little Boy" über Hiroshima ab, drei Tage später die zweite ("Fat Man") auf Nagasaki. Bis heute hält sich die Frage, ob ein kleiner Teil des angereicherten Urans dieser Bombe von U-234 stammt - haben die Deutschen ungewollt den Abwurf beschleunigt?

Die meisten Experten halten das heute zwar für denkbar, aber sehr unwahrscheinlich. Zwar gelangte das deutsche Uranoxid in eine US-Kernforschungsanlage, die daraus womöglich spaltbares Uran 235 gewann. Doch ob dieses Material unmittelbar für das streng geheime Atomwaffenprogramm genutzt wurde, lässt sich nicht belegen. Zeitlich wäre es knapp gewesen.

Den Kriegsverlauf hat U-234 sicher nicht geändert. Die Amerikaner hatten ohnehin mehr als genug Material, um den Krieg im fernen Asien per Atombombe zu beenden. Zwei Jahre danach versenkten sie U-234 bei einer Militärübung vor der Küste Massachusetts.