Früheres Urteil bestätigt :
Gendersprache vor Gericht

Hubert Spiegel
Ein Kommentar von Hubert Spiegel
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Will Audi mit geschlechtergerechten Sprachregelungen das lädiere Image aufpolieren?
Wer nicht gendern will, der lässt es. Aber muss er hinnehmen, dass andere es ihm gegenüber tun? Oder gibt es ein Recht, in Ruhe gelassen zu werden? Nein, das gibt es nicht, hat jetzt ein Oberlandesgericht behauptet.

Die Gegner der Genderpraxis haben eine Schlacht verloren. Ist jetzt Ruhe die erste Bürgerpflicht? Ein Manager von Volkswagen war vor einiger Zeit in Ingolstadt vor Gericht gezogen, weil er mit einem Leitfaden der Konzerntochter Audi für vermeintlich geschlechtergerechte Sprache nicht einverstanden war. In der konzerninternen Kommunikation mit Kollegen von Audi wollte er mit Formulierungen wie der folgenden in Zukunft nicht mehr belästigt werden: „Der_die BSM-Expert_in ist qualifizierte_r Fachexpert_in.“ Dass es sich dabei tatsächlich um eine stilistische Belästigung handelt, dürften vermutlich auch andere Mitarbeiter des Automobilherstellers so empfinden, und kein Gericht des Landes kann etwas anderes feststellen. Denn es liegt außerhalb seiner Kompetenz und Zuständigkeit.

Nachdem Napoleon 1806 in der Schlacht von Auerstedt und Jena die preußisch-sächsischen Truppen geschlagen hatte, verkündete Graf von der Schulenburg den Berlinern die Niederlage mit den Worten: „Der König hat eine Bataille verloren. Jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht.“ Die Mahnung wurde zum geflügelten Wort und zum Signum der einige Jahre später anbrechenden Epoche des Biedermeiers, eines Zeitalters der antidemokratischen Restauration, der Zensur, des Denunziantentums und der Beschneidung von Pressefreiheit und Bürgerrechten.

Ein sprachempfindlicher VW-Manager

Jetzt hat das Oberlandesgericht München die Klage des sprachempfindlichen VW-Managers endgültig abgewiesen und das frühere Urteil aus Ingolstadt bestätigt. Das dortige Landgericht hatte die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger sei zur aktiven Nutzung der Regelungen des Leitfadens schon deshalb nicht verpflichtet, weil sich der Leitfaden nur an Mitarbeiter von Audi richte. Dass er gleichwohl davon betroffen ist, habe er hinzunehmen: Es gebe für ihn kein Recht, „in Ruhe gelassen zu werden“. Ach, ist das so?

Die freiheitliche und demokratische Grundordnung Deutschlands wird freiheitlich genannt, weil sie das Individuum vor staatlicher Willkür bewahrt. Nur vor staatlicher? Unternehmensinterne Sprachregelungen, die aus ideologischen Gründen in Syntax und Semantik der Mitarbeiter eingreifen, sind Akte der Willkür. Wie sonst sollte man sie bezeichnen? Als notwendige erzieherische Maßnahmen des seinen Mitarbeitern in moralischer Hinsicht bekanntlich nicht unbedingt überlegenen Vorstands?

Man müsste einmal eines der nicht wegen Betrugsvorwürfen vor Gericht stehenden Vorstandsmitglieder von Audi dazu befragen. Wie auch immer, das Münchner Oberlandesgericht hat sein Urteil gefällt. Bricht nun womöglich das Biedermeier der Gendersprache an? Hoffentlich nicht. Denn sich belästigen zu lassen wäre dann vermutlich bald schon neue erste Bürgerpflicht.