1. Nachrichten
  2. Politik
  3. Deutschland
  4. Warnschuss für Söder: Deshalb waren Bayerns Ausgangssperren unrechtmäßig

Regierung hat "Maß verloren": Warnschuss für Söder: Deshalb waren Bayerns Ausgangssperren unrechtmäßig
  • E-Mail
  • Teilen
  • Mehr
  • Twitter
  • Drucken
  • Fehler melden
    Sie haben einen Fehler gefunden?
    Bitte markieren Sie die entsprechenden Wörter im Text. Mit nur zwei Klicks melden Sie den Fehler der Redaktion.
    In der Pflanze steckt keine Gentechnik
    Aber keine Sorge: Gentechnish verändert sind die
Recht leer: Die Münchner Fußgängerzone.
imago/Ralph Peters Recht leer: Die Münchner Fußgängerzone.
  • FOCUS-online-Redakteur

Das Urteil ging im Koalitions-Poker unter - dabei ist es eine deutliche Korrektur der Politik, für die sich CSU-Chef Söder als Hardliner feiert. FOCUS Online liegt das Urteil vor. Es zeigt ein bedenkliches Rechtsverständnis der bayerischen Landesregierung.

Dieses Urteil kann man als Mahnung nicht nur an Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder werten: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat die Corona-Ausgangsbeschränkungen vom Frühjahr 2020 in Bayern für unzulässig erklärt (Aktenzeichen 20 N 20.767). In dem Verfahren ging es um die bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 27. März 2020. Darin war in Paragraph 4, Absätze 2 und 3  festgelegt, dass das Haus "nur bei Vorliegen triftiger Gründe" verlassen werden durfte. Als Gründe waren dann beispielsweise die Berufsausübung, Einkäufe, Sport im Freien oder das Gassi gehen mit dem Hund definiert. Diese Absätze wurden durch das Urteil nun für ungültig erklärt.

Ausgangssperren waren schon 2020 unrechtmäßig

Die Ausgangssperren wurden Ende April 2020 zwar wieder aufgehoben. Doch ähnliche Maßnahmen hatte es dann im Frühjahr 2021 erneut gegeben im Rahmen der sogenannten "Bundesnotbremse". Klagen dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht wurden im Eilverfahren abgewiesen - endgültige Urteile dazu stehen aber noch aus . Die für die jüngsten Ausgangssperren nötigen Änderungen des Bundesinfektionsschutzgesetzes hatte der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit durchgewunken. Vehemente Verfechter der Ausgangssperren, immerhin eine Maßnahme, die es in dieser Form in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hatte, waren unter anderem der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sowie der SPD-Gesundheitsökonom Karl Lauterbach. Auch die Grünen hatten sich hinter die Regierung gestellt. Kritisiert worden waren die Ausgangssperren nur von einigen Oppositionspolitikern, vor allem aus der FDP.

GERMANY-POLITICS-PARTIES-CSU-RETREAT
CHRISTOF STACHE/AFP Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) Mitte Juli

Wie sich nun aber am Beispiel Bayerns herausstellt, waren bereits die ersten Ausgangssperren - zu einer Zeit also, als noch gar keine Impfungen als Schutz für Risikogruppen zur Verfügung standen - eine Verletzung der Grundrechte von Millionen Bürgerinnen und Bürgern.

Das steht in dem Urteil

In dem Urteil, das FOCUS Online vorliegt, gesteht das Gericht (in diesem Fall eine Richterin und zwei Richter) zunächst den Behörden einen "gerichtlich nicht vollständig überprüfbaren Beurteilungsspielraum" zu, betont dann aber, dass Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz verhältnismäßig sein müssen. Verhältnismäßig bedeutet in juristischem Sinne, dass eine Maßnahme unter anderen überhaupt erforderlich sein muss, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, und dass dieses Ziel nicht mit einem anderen, milderen Mittel ebenfalls erreicht werden kann. Das wären in diesem Fall zum Beispiel Kontaktbeschränkungen gewesen, so wie sie auch bundesweit galten.

Eine Anzeigetafel in Köln weist Ende April auf die Ausgangsbeschränkung zwischen 21:00 und 05:00 Uhr hin.
Oliver Berg/dpa Eine Anzeigetafel in Köln weist Ende April auf die Ausgangsbeschränkung zwischen 21:00 und 05:00 Uhr hin.

Der Kläger hatte argumentiert, dass die bayerischen Behörden keine Gründe vorgebracht hätten, weshalb die Ausgangssperren im März 2020 nötig gewesen seien - im Gegensatz zu anderen Bundesländern, wo es solche Maßnahmen zum damaligen Zeitpunkt nicht gab. Die bayerische Landesregierung argumentierte unter anderem, die Ausgangsbeschränkung sei alternativlos gewesen, um das Infektionsgeschehen durch die Reduzierung von sozialen Kontakten zu beeinflussen."Angesichts des dramatischen Infektionsgeschehens und der Gefahr für die Gesundheit einer Vielzahl von Menschen sowie die Gefahr des Zusammenbruchs des Gesundheitssystems, habe der Schutz des Lebens einer großen Anzahl von Personen deutlich schwerer gewogen als die Ausgangsbeschränkung bei Nichtvorliegen triftiger Gründe", zitiert das Urteil die Argumentation der Landesregierung.

Das sind jetzt die besten Reiseziele für einen spontanen Urlaub - und ihre Kosten

FOCUS online/Wochit Das sind jetzt die besten Reiseziele für einen spontanen Urlaub - und ihre Kosten

Formal und inhaltlich unwirksam

Der Verwaltungsgerichtshof folgte dieser Auffassung nicht. Zum einen sei die Ausgangsbeschränkung schon formal unwirksam gewesen, weil sie erst mit Wirkung vom 7. April 2020 ordnungsgemäß bekannt gemacht worden sei. Aber auch inhaltlich folgte das Gericht weitgehend den Argumenten des Klägers. Die bayerische Landesregierung habe gegen das "Übermaßverbot aus höherrangigem Recht" verstoßen. Das bedeutet vereinfacht gesagt: Wenn die Nachteile einer Maßnahme (in diesem Fall die Ausgangssperre) in keinem Verhältnis zum beabsichtigten Erfolg stehen (in diesem Fall die Reduzierung der Ansteckungen), dann darf der Staat diese Maßnahme nicht anordnen.

Drinnen Gefahr, draußen nicht: Das Robert-Koch-Institut benennt klar die Orte, an denen sich Menschen mit dem Coronavirus infizieren. Im Freien haben die Menschen fast nichts zu befürchten
RKI Drinnen Gefahr, draußen nicht: Das Robert-Koch-Institut benennt klar die Orte, an denen sich Menschen mit dem Coronavirus infizieren. Im Freien haben die Menschen fast nichts zu befürchten

Einschätzung des RKI maßgebliche Richtschnur

Die Richter betonen, dass die Corona-Pandemie nicht mit einer normalen Grippewelle vergleichbar sei und die Gefährlichkeit des Erregers der Exekutive prinzipiell einen großen Spielraum bei ihren Maßnahmen lasse. Es sei auch nicht zu erkennen, dass der Gesetzgeber - gestützt auf die fachliche Einschätzung des RKI - diesen Spielraum überschritten habe. Dann aber schränkt das Gericht ein: "Eine dogmatische Herleitung dieses Einschätzungsspielraums fand dort jedoch aufgrund der Natur des einstweiligen Rechtsschutzes überwiegend nicht statt. In der Regel wurde pauschal auf die staatliche Pflicht verwiesen, Leben und Gesundheit zu schützen (Art. 2 Abs. 2 GG)." Die Landesregierung habe die triftigen Gründe, die zum Verlassen der eigenen Wohnung berechtigten, "so eng gefasst, dass die Norm im Ergebnis gegen das Übermaßverbot verstößt".

Fragwürdiges Rechtsverständnis der Landesregierung

Markus Söders "Team Vorsicht" hätte also nicht anordnen dürfen, dass man sich allein oder mit Personen des eigenen Hausstands nicht in der Öffentlichkeit zu bewegen hat. Söder, der seinen Führungsstil während Corona mit immer schärferen Maßnahmen quasi als Markenzeichen der bayerischen Pandemie-Politik etablierte, bekommt in zwar sehr juristischer, aber doch deutlicher Sprache den Kopf gewaschen. In der Urteilsbegründung heißt es: "Sollte in dem Verweilen in der Öffentlichkeit eine Gefahr für die Bildung von Ansammlungen gesehen worden sein, weil sich um den Verweilenden sozusagen als Kristallisationspunkt Ansammlungen von Menschen bilden könnten, so unterstellt diese Sichtweise ein rechtswidriges Verhalten der Bürger und setzt dieses sogar voraus. Dass ein solches zu diesem Zeitpunkt in relevanter Anzahl anzunehmen gewesen wäre, ist nicht ersichtlich", so die Richter, "der vom Antragsgegner vertretene gedankliche Schluss, dass die restriktivere Maßnahme im Vergleich immer die 'besser geeignete' Maßnahme ist, ist dabei in dieser Allgemeinheit unzutreffend.(...) Es ist nicht ersichtlich, warum die Gefahr der Bildung von Ansammlungen eine landesweite Ausgangsbeschränkung rechtfertigen sollte, zumal diese Gefahr lediglich an stark frequentierten Lokalitäten bestanden haben dürfte. Hier wären auch regionale und örtliche Maßnahmen das mildere Mittel gewesen. Damit war jedenfalls die Angemessenheit der Maßnahme nicht mehr gegeben."

Corona-Fälle in Bayern: Schulen spielen kaum eine Rolle
CODAG LMU München Corona-Fälle in Bayern: Schulen spielen kaum eine Rolle

Lauterbachs Behauptungen nicht belegt

Das Gericht widerspricht damit letztlich auch den Argumenten, die im Frühjahr 2021 im Rahmen der "Bundesnotbremse" für die Ausgangssperren herangezogen wurden. Besonders hervorgetan hat sich dabei neben Markus Söder der SPD-Gesundheitsökonom Karl Lauterbach. Am 5. Mai sagte Lauterbach - der Ambitionen auf einen Ministerposten in der künftigen Bundesregierung hat - in einem Interview mit dem ZDF, nachdem das Bundesverfassungsgericht Eilanträge zur Bundesnotbremse abgelehnt hatte: "Ich bin sehr erleichtert, in der Tat, weil diese Ausgangsbeschränkung funktioniert. Sie wird derzeit dringend benötigt. Wir haben sie eingeführt im Glauben, dass sie wirken würde. Das zeigt sich jetzt. Und wenn das Bundesverfassungsgericht den Eilanträgen hier stattgegeben hätte, wäre das tatsächlich, muss man sagen, eine mittlere Katastrophe für unsere Politik im Moment gewesen."

Abgesehen davon, dass die rechtliche Würdigung der Maßnahme zumindest am Beispiel Bayerns ganz anders ausgefallen ist als die Lauterbachs, waren diese Behauptungen auch sachlich fragwürdig. Das zeigt sich an einer Studie der LMU-Universität München zum Lockdown . Im Mai 2021 erklärte die LMU: "Bei den R-Werten, wie sie vom Robert-Koch-Institut täglich bestimmt werden, ergibt sich seit September kein unmittelbarer Zusammenhang mit den getroffenen Maßnahmen - weder mit dem Lockdown-Light am 2. November und der Verschärfung am 16. Dezember 2020, noch mit der 'Bundesnotbremse', die Ende April 2021 beschlossen wurde. (...) Ab Mitte April fällt der R-Wert erneut. Der Abfall ist auch hier schon vor der 'Bundesnotbremse' erkennbar, so dass die ergriffenen Maßnahmen den Verlauf des Infektionsgeschehens durchaus positiv beeinflusst haben könnten, jedoch nicht allein ursächlich für den Rückgang verantwortlich sind", so die LMU-Studie. Mit anderen Worten: Die Behauptung, Ausgangssperren hätten "die dritte Welle gebrochen", ist nicht haltbar.

Letztes Wort noch nicht gesprochen

Die Entscheidung aus Bayern hat zunächst noch keine bundesweite Bedeutung - sie könnte sie aber noch bekommen. Das Verwaltunsgericht hat nämlich die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Erwartet werden in den kommenden Woche  und Monaten auch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, unter anderem zur Rechtmäßigkeit von Schulschließungen während der Pandemie.

Das könnte Sie zum Thema Gesundheit interessieren:

Party auf Mallorca? Clubs und Discos machen wieder auf

spot on news Party auf Mallorca? Clubs und Discos machen wieder auf
Zum Thema
Lockdowns verfassungswidrig? Gutachten kritisiert die Inzidenz-Gläubigkeit

Dokument liegt FOCUS Online vor

Lockdowns verfassungswidrig? Gutachten kritisiert die Inzidenz-Gläubigkeit

Zahlreiche Seiten geschwärzt: Wie es zu der Lockdown-Strategie der Bundesregierung kam

Mailwechsel des Innenministeriums

Zahlreiche Seiten geschwärzt: Wie es zu der Lockdown-Strategie der Bundesregierung kam

Lockdown-Urteil! Richter stellt Verfassungsmäßigkeit von Verboten infrage

Streit um Corona-Entschädigung

Lockdown-Urteil! Richter stellt Verfassungsmäßigkeit von Verboten infrage

Sie waren einige Zeit inaktiv, Ihr zuletzt gelesener Artikel wurde hier für Sie gemerkt.
Zurück zum Artikel Zur Startseite
Lesen Sie auch