Die Ungleichheit der verfügbaren Einkommen in Deutschland hat einen historischen Höchststand erreicht. Als dies die Hans-Böckler-Stiftung vor Kurzem in einer Analyse zeigte, wurde sie dafür von einigen heftig kritisiert: Der Anstieg der Ungleichheit sei ein Artefakt verschiedener Umstände und vor allem der Zuwanderung von Geflüchteten geschuldet; dieser Umstand würde verschleiern, dass es in Deutschland, seitdem die Wirtschaft wieder boomt, allen Einkommensgruppen deutlich besser geht.

Wie berechtigt ist diese Kritik? Schauen wir uns die einzelnen Argumente einmal genauer an, zeigt sich, dass die Einwände größtenteils unbegründet sind und vor allem der Anstieg des Armutsrisikos ein massives Problem darstellt – nicht nur für die betroffenen Menschen, sondern für die Gesellschaft als Ganzes.

Der Einwand, dass der Anstieg der Ungleichheit von verfügbaren Haushaltseinkommen lediglich das Resultat der Zuwanderung von Geflüchteten sei, ist nicht nur falsch, sondern auch zynisch. Auch ohne Geflüchtete ist die Ungleichheit gestiegen, wie die Grafik der Hans-Böckler-Stiftung basierend auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels zeigt. Und wie zynisch ist es zu behaupten, ein Anstieg der Ungleichheit sei nur deswegen weniger problematisch, weil es "nur" bestimmte Gruppen betrifft?

Die Erwerbsquote ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen

Bei der Verteilung geht es grundsätzlich um die Frage, wie der Kuchen, also die Leistung der gesamten Gesellschaft auf ihre Mitglieder verteilt wird. Und sollte nicht jeder Mensch, unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft, Bildungsgrad oder Wohnort in unserer liberalen Demokratie gleich viel zählen und das gleiche Gewicht haben? Unser Grundgesetz lässt daran keine Zweifel zu.

Viele Kritiker haben den Anstieg der Ungleichheit bis zum Jahr 2005 und nach 2010 vor allem damit begründet, dass mehr Frauen erwerbstätig sind, dabei aber häufig geringere Löhne und Einkommen erzielen als Männer. Natürlich ist es wichtig zu verstehen, wie sich Ungleichheit zusammensetzt und verändert. Nur so können Ursachen und Lösungsmöglichkeiten identifiziert werden. Der Punkt bleibt jedoch, dass ein Anstieg der Ungleichheit nicht weniger problematisch ist, "nur" weil bestimmte Gruppen stärker davon betroffen sind als andere.

Ein zweiter Einwand in der Debatte ist, dass der Anstieg der Einkommensungleichheit in Deutschland nicht überraschend sei, da Geflüchtete und andere Migranten nun mal viel häufiger (zumindest anfänglich) nicht berufstätig seien. Je kleiner also der Anteil der arbeitenden Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung ist, desto höher sei tendenziell auch die Ungleichheit der Haushaltseinkommen. Aber auch dieses Argument lässt sich faktisch nicht untermauern: Tatsächlich ist die Erwerbsquote in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland deutlich gestiegen, vor allem weil viele Frauen und auch ältere Menschen zunehmend berufstätig sind, aber auch weil viele Migranten im berufsfähigen Alter nach Deutschland kommen und hier arbeiten, vor allem aus dem europäischen Ausland. Nach dieser Logik müsste also die Ungleichheit der Haushaltseinkommen eher gefallen sein.

Argumentiert wird weiterhin, dass die hohe und gestiegene Ungleichheit kein Problem sei, da ja viele Menschen in den untersten Einkommensgruppen lediglich temporär wenig verdienten und dann bald den Aufstieg schafften. Eine Auszubildende oder eine Studentin mag wenig Einkommen haben, sie habe aber gute Aussichten, mit der ersten Anstellung ein besseres Einkommen zu erzielen und somit den Aufstieg zu schaffen. Dieses Beispiel ist zwar richtig, aber auch irreführend.