„Liebesgrüße aus Havanna“

Eine verfallene Dampflok ist ein Werk aus Ricardo G. Elías‘ Fotoserie „Getrocknetes Gold“, das in den Rüsselsheimer Opelvillen zu sehen ist. Foto: Stiftung Opelvillen
© Stiftung Opelvillen

Ein Volk auf der Suche nach Struktur, nach Halt, nach einer verlässlichen Zukunft. „Liebesgrüße aus Havanna“ lautet der Titel einer Schau in den Rüsselsheimer...

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RÜSSELSHEIM. Ein Volk auf der Suche nach Struktur, nach Halt, nach einer verlässlichen Zukunft. „Liebesgrüße aus Havanna“ lautet der Titel einer Schau in den Rüsselsheimer Opelvillen, die intensiv eine unbekannte Welt eröffnet. Gezeigt wird zeitgenössische Kunst aus Kuba, fast ausnahmslos direkt aus den Ateliers der Produzenten stammend. Einen von Galerien gestützten Handel gibt es auf der Insel nicht.

Im April 2019 hatte Kuratorin Beate Kemfert für einen Kongress drei Tage lang die Karibikinsel besucht. „Ich war geschockt von der Lage im Land“, erinnert sie sich. Und: „Ich kannte keinen Künstler, ich kann niemand.“ Trotzdem war sie nicht unvorbereitet angereist: Der Sammler Robert Funcke hatte sie gebrieft und einen Kontakt mit Tonel, einer Schlüsselfigur der kubanischen Szene, hergestellt. Dieser hatte 1990 eine erste Kuba-Ausstellung in die Düsseldorfer Kunsthalle gebracht, die unverzüglich zu großen Teilen vom Großsammler-Ehepaar Ludwig aufgekauft wurde.

Die Episode zeigt die ganze Spannung, unter der das Land bis heute leidet. 1989 hatte Fidel Castro die „Sonderperiode in Friedenszeiten“ als Reaktion auf den wirtschaftlichen Niedergang nach dem Niedergang vieler sozialistischer Bruderstaaten ausgerufen. Juan Carlos Alom reagierte darauf mit einer Foto-Serie, die seine berühmte Bemerkung begleitete, 1989 markiere „Ende und Anfang im Leben aller Kubaner“.

Die Ausstellung versammelt rund 120 Arbeiten von 20 Künstlerinnen und Künstlern. Sie bedienen sich klassischer Techniken wie Zeichnungen, Ölmalerei oder Fotografien, gleichwohl prägen die Schau auch viele Videos, die symbolhaft und erzählerisch die Lage im Land reflektieren.

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Der wirtschaftliche und politische Wandel eröffnet den Rundgang. Hier bestimmen bekannte Kuba-Klischees das Bild: Ricardo G. Elias‘ Foto-Serie „Getrocknetes Gold“ zeigt verfallene Industrieanlagen, Adrián Fernández‘ vergrößert historische Briefmarken mit Darstellungen revolutionärer Umbrüche, Glenda Leóns Vodeo „Umkehrung“ dokumentiert das Abschaben der Farbschicht einer 100-Sollar-Note, deren Staubreste dann schließlich geschnupft werden.

Einen anderen Blickwinkel nimmt die junge Generation ein, der die Castro-Ära fremd ist. Sie begleitet eine Öffnung der Gesellschaft, stellt neue Fragen, die sich oftmals aus der zunehmenden Globalisierung des Landes ergeben. Sie erörtern Religion und Spiritualität, der persönlichen Herkunft oder spüren den Befindlichkeiten des eigenen Körpers nach.

Für die Opelvillen führen diese „Liebesgrüße aus Havanna“ deren Auseinandersetzung mit „Kontinuitäten und Zäsuren“ fort, wie sie schon häufig bearbeitet wurden. Kemfert verweist auf die Ähnlichkeiten zwischen den Lebenswirklichkeiten in Kuba und der DDR, die nicht nur in ihrer sozialistischen Vergangenheit fußen, sondern – vor allem – auch in der nachfolgenden Umbruchsituation.

Begleitet wird die Schau von einer Zeitung, die anstelle eines Kataloges jedem Besucher am Eingang kostenlos ausgehändigt wird.

Von Stephan A. Dudek