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Die Nacht, in der er den Star besiegte

Inspiration durch Bernhard Russi: Locatelli kam die Idee mit der Rolle

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Der Satz fällt immer wieder: «Das hat sich wirklich alles so zugetragen!» Marc Locatelli wiederholt ihn nach fast jeder Pointe. Vielleicht müsste er den Satz im Vorspann seines Comics einfügen, so skurril sind gewisse Szenen im Werk, das den Illustrator die vergangenen zwei Jahre umgetrieben hat. «Die Nacht, in der ich Eddy Merckx bezwang» heisst es und ist sein erster Cartoon in Buchlänge.

Die fertig gezeichneten Bögen liegen auf einem Stapel in Locatellis Oerliker Atelier. Zur Veranschaulichung seiner ausgedehnten Zusammenfassung zupft er diese und jene Seite heraus. In diesen Tagen bringt er die letzten digitalen Retuschen an, am 1. September erscheint das Werk.

Locatelli liebt das Velo, seit er denken kann. Im Comic skizziert er auf einer Doppelseite sein Veloleben. Dieses beginnt im Moment, in dem er laufen kann, sprich aufs Dreirad wechselt. In der Jugend rückt das Velo dann zwischenzeitlich wegen Fussball und Skifahren etwas in den Hintergrund. Doch als der Skirennfahrer Locatelli in einer Illustrierten liest, wie Bernhard Russi im Sommer auf dem Rennvelo trainiert, weiss er, dass er das auch tun muss.

Die erste richtig grosse Velotour führt Locatelli mit 15 von Zürich nach Ascona. Unterwegs fällt er in Bellinzona wegen eines Hungerasts in Ohnmacht.

Hier trennen sich dann die sportlichen Wege der beiden: Locatelli realisiert, dass das Velo sein Ding ist. Die erste richtig grosse Velotour führt ihn mit 15 von Zürich nach Ascona, unterwegs fällt er in Bellinzona wegen eines Hungerasts in Ohnmacht. Seine Veloliebe bremst das nicht, bist heute nicht – 50 Jahre später.

An einer Bücherwand seines Ateliers lehnt Locatellis hellblaues Bahnvelo. Es steht winters immer da, zuletzt aber brauchte er es für die Skizzen zu seinem Comic. Nächstens wird er es in die Kabine auf der offenen Rennbahn zügeln, im Sommer dreht er im Betonoval einmal die Woche seine Runden. Da ist er auch seit 15 Jahren für die Kunstkabine verantwortlich, eine Minigalerie in einer ehemaligen Telefonkabine - ein künstlerischer Farbtupfer zwischen Sportlerschweiss und Bratwurstduft.

Lückenfüller unter Superstars

Die Geschichte, die Locatelli in seinem Comic erzählt, ereignete sich aber nicht auf der Rennbahn, sondern auf der anderen Strassenseite, im Hallenstadion, anlässlich der «Nacht der Superstars» am 10. Februar 1978. Zu diesem Bahnwettstreit waren die Grossen jener Zeit geladen - Merckx, Gimondi, Sercu, Moser, Thurau oder Gisiger. Und, als Lückenfüller in einem Rennen, der 24-jährige Elite-Fahrer Locatelli.

«Ich war stolz, hatte aber auch Schiss», erzählt er. Würde er mit den Stars mithalten können, sich nicht blamieren? Vorweg: Er konnte. Und übersprintete am Schluss gar Merckx. Da ist er sich sicher. Oder doch nicht? Die Auflösung liefert der Comic, genauso wie die Geschichte um Sylvie, die Schönheit aus dem Quartier, die Locatelli damals anhimmelte. Mit dem Fräulein und ihm wurde nie etwas. Sie wohnt heute im Kanton Graubünden und ist verheiratet - mit einem Skilehrer.

Rennrad als Skizzenvorlage: Marc Locatelli in seinem Atelier (Bild: Andrea Zahler)

Erzählt er die Geschichte seiner Nacht im Hallenstadion, weht da neben der Freude auch etwas Wehmut mit. Das Projekt kommt erst jetzt, 40 Jahre später, zum Abschluss. Locatelli hatte immer wieder an der Geschichte herumstudiert, sich aber nie dazu durchringen können, sie zeichnerisch umzusetzen. «Meine Angst war: Kann ich die Geschichte so erzählen, dass sie der Leser versteht und sie ihn packt?» Da war ihm nicht zuletzt «Tages-Anzeiger»-Karikaturist Felix Schaad eine Hilfe, der ihm als Coach zur Seite stand.

Trikots studieren statt trainieren

In seinen Zwanzigern setzte Locatelli voll auf den Radrennsport. Für den grossen Durchbruch fehlte ihm das Talent. Der Künstler in ihm drückte schon damals durch. «Das Velofahren - das Fahrerfeld, die Trikots, die ganze Ästhetik - fand ich visuell spannend», sagt Locatelli. Er solle sich besser aufs Training konzentrieren als daran herumstudieren, bekam er zu hören. Locatelli hatte eine Grafikerlehre absolviert, nach der Sportlerkarriere besuchte er eine der neu entstehenden Kunsthochschulen, machte sich mit 30 als Illustrator selbstständig und war es bis zur Pension um Januar. Pinsel und Stift will er aber auch künftig führen.

«Das Velofahren - das Fahrerfeld, die Trikots, die ganze Ästhetik - fand ich visuell spannend.»

Marc Locatelli, velophiler Illustrator

In seinem Berufsleben war er vor allem für die Illustration von Lehrbüchern verantwortlich. Ums Velo ging es in seinen Projekten nur selten. Dass er sich schliesslich an sein Herzensprojekt wagte, hatte mehrere Gründe. Einer war der Erfolg des von ihm initiierten Tour-de-Suisse-Comics, zu dem 2017 die ganze Schweizer Illustratorengilde Beiträge geliefert hatte.

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Am Werk: Der Illustrator kreiert seine Bilder (Video: Vimeo.com)

«Oder du verbrauchst dein Erbe»

Dazu kam der kecke Einwurf von David Basler, Edition-Moderne-Verleger und an Locatellis Geschichte interessiert. Deshalb diskutierten sie, wie das Projekt zu finanzieren wäre, und Basler sagte: «Oder du verbrauchst dein Erbe.» Da hat es bei Locatelli klick gemacht. Er hatte kurz zuvor von seinem Vater geerbt. Deshalb zeichnete er in den vergangenen zwei Jahren seinen Comic - und lebte vom geerbten Geld. «Das brauchte einen gewissen Mut», sagt Locatelli, «aber es waren die besten Jahres meines Berufslebens.»

Auf Wemakeit hat er für seinen Cartoon ein Crowdfunding lanciert. Dieses läuft gut, wird aber wohl auch im Idealfall kaum zwei Monatslöhne einspielen. «Das ganze Geld hole ich nicht wieder rein», sagt der Illustrator. Er wirkt nicht unglücklich dabei, sondern zufrieden mit diesen zwei Jahren als Zeichner, die er mit seiner eigenen Velogeschichte verbringen durfte.