Kubaner stimmen ab.

Neues Familienrecht in Kuba Ein bisschen Demokratie

Stand: 26.09.2022 21:36 Uhr

Es war ein seltener Moment von Bürgerbeteiligung: Die Bevölkerung Kubas hat für das neue Familienrecht und die Ehe für Alle gestimmt. Doch dahinter steckt nicht so viel Demokratie, wie die Regierung glauben machen will.

Von Markus Plate, ARD-Studio Mexiko-Stadt

Für die kommunistische Partei- und Staatsführung ist dieses demokratische Experiment also geglückt, auch wenn es ein Drittel Nein-Stimmen gab. Das neue Familienrecht Kubas öffnet die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, es reformiert das Adoptionsrecht, legalisiert Leihmutterschaft und künstliche Befruchtung, stärkt die Rechte von Frauen, älteren Menschen und Pflegenden, und erhöht den Schutz vor häuslicher Gewalt. Es trägt auch der Tatsache Rechnung, dass in vielen Familien vier Generationen unter einem Dach leben, füreinander sorgen und sich die Kinderbetreuung teilen.

Kubas Präsident und Parteichef Miguel Díaz-Canel hatte sich persönlich für die Reform des Familienrechts eingesetzt und wertete das Ergebnis so:

Das war ein Sieg für Kuba. Ein Sieg der Liebe. Es war auch ein Sieg der demokratischen Beteiligung am sozialistischen Aufbau. Die Verabschiedung des Familiengesetzes ist ein Akt der Gerechtigkeit, es ist die Begleichung einer Schuld gegenüber mehreren Generationen von Kubanern, deren Familienprojekte seit Jahren auf dieses Gesetz gewartet haben. Von heute an werden wir eine bessere, vollständigere, demokratischere und gerechtere Nation sein.

Gleichgeschlechtliche Ehe ein Streitpunkt

Gerade gegen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare hatten sich nicht nur evangelikale Gemeinschaften und die katholische Kirche gewehrt. Besonders älteren Kommunisten passt die Homoehe auch heute nicht ins revolutionäre Weltbild. Vor drei Jahren war das Thema bei der Ausarbeitung der neuen Verfassung deswegen noch ausgeklammert worden.

Tausende Diskussionsveranstaltungen und Nachbarschaftstreffen hatte die Regierung in den vergangenen Monaten organisiert, über die zahllose Änderungsvorschläge eingeflossen waren. Staats- und Parteimedien hatten über Wochen für ein "Ja" im Referendum getrommelt.

"Nein"-Stimmen als Abreibung für das Regime

Viele freuen sich nun, auch Sam Olazábal,  Feministin und LGBT-Aktivistin in Havanna. Für die junge Frau sind die Fortschritte gerade im Eherecht eine echte Errungenschaft. Dass viele Regimekritiker in Kuba und im Ausland für ein "Nein" - als Abstimmung über das Regime an sich - geworben hatten, stört Sam:

Wir müssen daran denken, dass dieses Gesetz nicht nur eine Errungenschaft der Regierung ist, sondern auch der LGBT-Bewegung, und aller, die für Verbesserungen gekämpft haben. Zumindest für diejenigen, die wirklich die Zeit und das Engagement aufgebracht haben, das Gesetz zu lesen und für Verbesserungen zu kämpfen, und die sich nicht von den Falschmeldungen der einen oder anderen Seite mitreißen ließen, ist heute glaube ich ein glücklicher Tag.

Frauen- und Kinderrechte werden gestärkt

Auch mit der Verheiratung Minderjähriger ist mit dem neuen Gesetz Schluss. Bisher konnten vor allem Mädchen von ihren Eltern mit oft älteren Männern verheiratet werden. Und die Vorrangstellung des Mannes in Familienangelegenheiten gehört nun der Vergangenheit an, Frauen- und Kinderrechte werden gestärkt.

Allerdings fehlen auch wichtige Elemente, so eine Kritik, die auch Sam teilt. Transpersonen kommen zum Beispiel im neuen Familienrecht weiterhin nicht vor. Und so demokratisch, wie Präsident Díaz-Canel den Gesetzgebungsprozess verkaufen will, ist Kuba natürlich nicht. Im Juli vor einem Jahr hatte die Regierung Massenkundgebungen für Öffnung und Wandel brutal niedergeschlagen.

Demokratisches Herangehen als Taktik

Die Ausarbeitung und Annahme des neuen Familienrechts partizipativ und demokratisch zu gestalten, hat nach Einschätzung von Sam Olazábal taktische Gründe.

Wir haben heute mehr als 500 politische Gefangene. Unter diesen Umständen wollte die Regierung zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, nach dem Motto: Wir begleichen unsere historische Schuld mit der LGBT-Bewegung, zum anderen vermitteln wir eine Idee von Demokratie. Uns als Bewegung blieb da nichts anderes übrig, als das Gesetz zu unterstützen, um wenigstens ein paar Fortschritte im Bereich der Menschenrechte zu erreichen.

Das demokratische Experiment - für Kubas Staats- und Parteiführung ist es geglückt. Die politische Teilhabe wird durch das neue Familienrecht nicht verbessert. Und ob die Liebe, von der Präsident Díaz-Canel spricht, auch den Hunderten politischen Gefangenen zuteil wird, bleibt auch nach dem Erfolg beim Referendum fraglich.

Markus Plate, ARD Mexiko, 27.09.2022 05:31 Uhr