Studie

Güter im Takt

Mehr als zwei Drittel des deutschen Außenhandels werden über die Seehäfen abgewickelt. Da diese Güter vor allem aus dem Binnenland kommen oder für dieses bestimmt sind, hängt der Güterumschlag in den Seehäfen von leistungsfähigen Verbindungen zwischen Binnenland und Seehäfen ab. Die Schiene ist dabei von zentraler Bedeutung und dominiert insbesondere auf längeren Distanzen. Heute besitzen die deutschen Seehäfen durch ihre guten Eisenbahnanbindungen einen Wettbewerbsvorteil. Für das Jahr 2030 prognostiziert das BMDV ein stark steigendes Güteraufkommen. Um dieses Volumen zuverlässig, effizient und nachhaltig transportieren zu können und die Wettbewerbsfähigkeit der Seehäfen zu erhalten, ist in wenigen Jahren eine Vielzahl von Maßnahmen, insbesondere in der Schieneninfrastruktur, zu bewältigen. 
Grundlage der Ausbaukonzeption des BMDV für das deutsche Schienennetz ist der „Zielfahrplan Deutschlandtakt“. Neben den bereits im „Vordringlichen Bedarf“ des Bedarfsplans für die Bundesschienenwege enthaltenen Schienen aus- und-neubaumaßnahmen rückten im August 2021 weitere 181 Schieneninfrastrukturprojekte in diese höchste Dringlichkeits-Kategorie des Bedarfsplans auf. Sie bilden die notwendige Voraussetzung für die Realisierung des „Zielfahrplans Deutschlandtakt“ (kurz D-Takt). Bezogen auf den Schienenpersonenverkehr ist im D-Takt eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen im Zeitraum 2019-2030 unterstellt (gemäß KoaV 03/2018). Mit Blick auf den Schienengüterverkehr wurde ein SGV-Zuwachs der Transportleistung um 43 % im Zeitraum 2010-2030 zugrunde gelegt (gemäß BVWP 2030). Neu beim D-Takt ist das Prinzip „erst der Fahrplan, dann der Aus- und Neubau des Schienennetzes“. Dazu wurde der BVWP 2030 um den Ansatz der fahrplanbasierten Infrastrukturentwicklung erweitert. 
Der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe e.V. und die IHK Nord haben ifok beauftragt, eine Evaluierung des Deutschlandtakts aus Sicht des Schienengüterverkehrs vorzunehmen. Primäre Projektziele waren die Validierung, inwieweit die Wachstumserwartungen des SGV im D-Takt abgebildet sind und die Bewertung der Hinlänglichkeit im D-Takt empfohlener Neu-/Ausbaumaßnahmen der Schieneninfrastruktur für den Schienengüterverkehr.
Den vollständigen Abschlussbericht können Sie hier als PDF herunterladen (nicht barrierefrei, PDF-Datei · 2050 KB).

Vorgehen und Prämissen der Gutachtenerstellung

Die Infrastrukturmaßnahmen des 3. Gutachterentwurfs zum Deutschlandtakt gemäß Kapitel 7.6 des Abschlussberichts werden in unseren Betrachtungen grundsätzlich als realisiert unterstellt („Infrastruktur-Szenario Deutschlandtakt“).
Basierend auf den Nachfrageprognosen des Deutschlandtakts, der Nachfragevorschau der Seehäfen sowie Abstimmungen mit Branchenexperten aus den Bereichen Häfen und Hafendienstleister, Eisenbahninfrastruktur, Logistikdienstleister und SpeditEuroe und Eisenbahnverkehrsunternehmen wurde eine Nachfrageprognose für den Schienengüterverkehr (SGV) abgeleitet, die es erlaubt, zum Jahr 2040 einen Marktanteil der Schiene von 25% zu erreichen.
Referenzpunkt für das Zugangebot im Schienengüterverkehr ist der Abschlussbericht zum Deutschlandtakt. Dieses Angebot wurde gespiegelt an den aktuellen Zugzahlen im Seehafenhinterlandverkehr und basierend auf der Nachfrageprognose für 2040 passende Zugtrassen je Korridor am Tag und in der Nacht ermittelt.
Grundlage für die Verteilung der Transportvolumina auf Zugtrassen sind Annahmen zu Zuglänge, -gewicht und -auslastung. In einem „Basisszenario“ wurden hierfür aktuelle Kenngrößen der Branche zugrunde 
gelegt. Ein weiteres Szenario umfasst Produktivitätssteigerungen im SGV durch höhere Zuglängen und -gewichte als heute in Deutschland üblich („Produktivitätsszenario“).
Infrastrukturell wurde neben dem „Infrastruktur-Szenario Deutschlandtakt“ auch ein Szenario gebildet, das die im D-Takt aufgeführten Infrastrukturvorhaben für „Flexitrassen“ abbildet („Flexitrassen-Szenario“).
Die Angebots- und Infrastrukturszenarien wurden auf Passfähigkeit von Zugangebot und Schieneninfrastruktur untersucht. Die identifizierten Engpassbereiche je Infrastruktur- und Angebots-Szenario wurden einer Plausibilisierung durch Branchenexperten hinsichtlich ihrer Kritikalität und Auflösbarkeit unterzogen.
Zur Auflösung identifizierter Engpässe wurden abschließend infrastrukturelle, prozessuale und organisatorische Handlungsempfehlungen sowie indikativ bewertete Infrastrukturmaßnahmen bzw. Maßnahmenbündel erarbeitet.

Die Ergebnisse im Überblick

Die im Gutachten zum Deutschlandtakt (D-Takt) entwickelten Infrastrukturmaßnahmen (181 Maßnahmen) ermöglichen die engpassfreie Bewältigung des gemäß BVWP 2030 unterstellten Volumenwachstums im Schienenpersonengüterverkehr (SGV) auf circa 156 Milliarden tkm p.a. bis 2030.
Darüberhinausgehendes Wachstum auf circa 200 Milliarden tkm p.a., was dem im Masterplan Schienengüterverkehr postulierten Marktanteil des SGV von 25% entspräche, führt zu Infrastrukturengpässen. Diese sind insbesondere in den heute bereits stark ausgelasteten Knoten Hamburg, Bremen und Berlin sowie auf den klassischen Güterverkehrskorridoren (z.B. Oberrheinschiene, Achse Würzburg – Nürnberg – Passau) verortet.
Die Realisierung der im D-Takt zusätzlich vorgeschlagenen, aber weder bewerteten noch im Bedarfsplan aufgenommenen „Flexitrassen“-Infrastruktur würden die Überlastungen deutlich reduzieren. Allerdings verbleiben Engpässe insbesondere im Seehafenhinterlandverkehr auf der Achse Hamburg – Stendal und südlich von Bremen.
Die Jahre 2030+ als aktueller Realisierungszeitpunkt des D-Takts sind sowohl für die Umsetzung erforderlicher Infrastrukturmaßnahmen als auch die Erreichung des angestrebten Volumens bzw. Marktanteils des SGV ist nicht realistisch. Die Gründe liegen insbesondere in drei bislang ungelösten Herausforderungen:
  • Erheblicher Zusatzbedarf an finanziellen Mitteln im hohen zweistelligen Milliardenbereich
  • Unzureichende Zeitfenster zum Bauen, weil parallel der Betrieb weiterläuft
  • Fachkräftemangel der Bauindustrie, der in dieser Zeitspanne kaum behebbar ist.

Empfehlungen des Gutachtens Güter im Takt

Im Rahmen der Überprüfung des BVWP sollte die Auslegung von Nachfrage, Angebot und Infrastruktur auf den Zielhorizont 2040 erfolgen. In der Prognose sollte die SGV-Verkehrsleistung von circa 200 Milliarden tkm zum Erreichen des SGV-Marktanteils von 25% vollständig berücksichtigt werden. 
In Ergänzung zu den bereits im Bedarfsplan enthaltenen Maßnahmen haben sich die im D-Takt aufgeführten Infrastrukturvorhaben für die sogenannten Flexitrassen als wirksam zur Engpassauflösung erwiesen. Diese sollten im BVWP untersucht und bei geeignetem Nutzen-Kosten-Verhältnis in den Bedarfsplan aufgenommen werden. Das Investitionsvolumen hierfür wird auf circa 10 Milliarden Euro geschätzt. 
Des Weiteren empfehlen wir ein ergänzendes Maßnahmenpaket im Umfang von 17 Milliarden Euro zur Auflösung weitere Kapazitätsengpässe, zur Stärkung der Resilienz und Verbesserung der Qualität der deutschen Seehafenhinterlandverkehre.
Zur engpassfreien Bewältigung der prognostizierten Transportleistung des SGV von 200 Milliarden tkm beläuft sich der Mittelbedarf für die Realisierung der Infrastrukturmaßnahmen des D-Takts, den Flexitrassen sowie ergänzenden Kapazitäts- und Resilienz-Maßnahmen auf circa 160 Milliarden Euro bis 2040.
Über die bisher im Bundeshaushalt vorgesehenen Gelder hinaus sind weitere Mittel für die Stärkung der Schiene notwendig. Neben der Streckeninfrastruktur sollten auch Terminals, örtliche Anlagen und auch Optionen zur Digitalisierung in die Bundesförderung zur Stärkung des Schienenverkehrs einbezogen werden, um einen optimalen Mix aus kapazitiver Wirkung und zeitlicher Realisierbarkeit für das eingesetzte Fördervolumen zu erhalten. 
Die Mittelverteilung sollte sich dabei am Beitrag zur Mengensteigerung im SGV, dem Beitrag zur Emissionsreduktion im Mobilitätssektor und der zeitlichen Wirksamkeit orientieren (Optimierung des Einsatzpunktes von Strecken-, Terminal-, Anlagen- und Digitalisierungsmaßnahmen, etc.).
Begrenzte finanzielle Spielräume, knappe Bauzeitfenster der DB Netz, um laufenden Betrieb mit Infrastrukturinstandhaltung und Erweiterung zu vereinen sowie Ressourcenengpässe der Bauindustrie mit Blick auf kritische Gewerke erfordern, Kapazitätssteigerungspotenziale jenseits der Infrastrukturerweiterung zu erschließen.
Möglichkeiten, die vorhandene Terminalinfrastruktur über den Wochengang besser auszulasten sollten in Kombination mit technologischen und prozessualen Optimierungen der Branche zur Erhöhung der durchschnittlichen Zuglänge und des -gewichts angegangen werden, insbesondere da für deren Umsetzung verhältnismäßig geringe Aufwände und kürzere Vorlaufzeiten bestehen.
 
Dazu sind eine umfassende Analyse und Gesamtkonzeption der Supply Chain erforderlich, um die Synchronisierung zwischen SGV-Nachfrage, Trassenkapazitäten und Kapazität der angrenzenden Infrastruktur sicherzustellen.
Einen geeigneten organisatorischen Rahmen dazu würde eine Branchenplattform „Zukunft des SGV“- beispielsweise unter Führung des BMDV - bieten.
Neben der intensiven Mitarbeit in o.g. Plattform ist künftig die intensivere Beteiligung und organisier te Einbringung der Brancheninteressen in Ausgestaltung und Operationalisierung D-Takts im Rahmen des BVWP angeraten.
Überlegenswert wäre auch eine engere Begleitung der aktuellen Infrastrukturentwicklung seitens Sektor-Vertretern insbesondere gegenüber der DB Netz AG, um die Wahrung der Interessen der Hafenwirtschaft 
im Schienenverkehr abzusichern.