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Waren die Muslime die größten Sklavenhalter?

Freier Autor Geschichte
Ueberfall durch Sklavenjaeger / Buffetti - Slave hunters raid village / Buffetti - Ueberfall durch Sklavenjaeger / Buffetti - Slave hunters raid village / Buffetti -
Waren Muslime die übleren Sklavenhalter? Der Historiker Egon Flaig ist davon überzeugt
Quelle: picture-alliance / akg-images/akg
In seinem Buch "Weltgeschichte der Sklaverei" stellt der Historiker Egon Flaig die These auf, dass islamische Länder die Sklaverei noch übler betrieben als christliche Eroberer. Auch wenn Flaigs Argumente zu schwach sind, ist die ihm entgegenschlagende Empörung in ihrem Ton unangebracht.

Die Versuchsanordnung wirkt vertraut: Ein Professor veröffentlicht in einer Tageszeitung ein Traktat, das ein anderer Professor in einer Wochenzeitung zum Skandal erklärt – und schon ist der Historikerstreit da. In diesem Fall heißt der eine Akteur Egon Flaig und ist Althistoriker an der Universität Rostock. 2006 trat er in der „Frankfurter Allgemeinen“ mit der These hervor, der Islam sei keine Religion wie andere, sondern strebe, gestützt auf das Wort Allahs, vor allem nach der gewaltsam zu erringenden Weltherrschaft.

Wer daher der Vorstellung von einer „islamischen Toleranz“ anhänge, „verbreitet Märchen“. Jetzt legt Flaig mit einer „Weltgeschichte der Sklaverei“ nach und erklärt die Welt des Islam zum „größten und langlebigsten sklavistischen System“ der Geschichte. Flankiert wurde das Erscheinen des Buches von einem Porträt, das Flaig als öffentlichen Intellektuellen rühmte, der den westlichen Universalismus scharf gegen Feigheit, Gesundbeterei und Werte-Relativismus verteidige.

Unter der Überschrift „Wie der Althistoriker Egon Flaig gegen den Islam zu Felde zieht“ erklärte daraufhin Andreas Eckert, Afrika-Historiker der Berliner Humboldt-Universität, den Band in der „Zeit“ zu einem „Schwarzbuch des Islam“, das skrupellos mit Pauschalaussagen operiere.

„Je weiter sich Flaigs Darstellung der Neuzeit nähert, desto steiler werden seine Thesen.“ Am Ende provoziere er Fassungslosigkeit. Das erinnert an die Tonlage, die 1986 den Historikerstreit über die Verbindungen zwischen Nationalsozialismus und Stalinismus prägte.

Der Berliner Historiker Ernst Nolte hatte mit seiner These vom Weltbürgerkrieg und seinem Ausbruch in der Novemberrevolution vorgelegt, Jürgen Habermas hatte ihm daraufhin vorgeworfen, die Einmaligkeit des nationalsozialistischen Völkermords zu leugnen.

Gewendet auf den aktuellen Fall: Zwar hat auch der globale Sklavereidiskurs mit dem Holocaust gemein, dass seine historisch-moralische Verurteilung außer Frage steht. Aber Flaig ist nicht Nolte, Eckert nicht Habermas, und die Sklaverei ist aus deutscher Perspektive eben doch eine reichlich ferne Angelegenheit.

Deren Geschichte hat Deutschland zwar im 20. Jahrhundert mit der Sklavenarbeit in den Konzentrationslagern um ein monströses Kapitel bereichert. Aber als Aspekt von Kolonialismus und Protokapitalismus spielte der atlantische Sklavenhandel hierzulande kaum eine Rolle.

Eckert, der schon am Beispiel des von ihm Genozid genannten Herero-Kriegs in Deutsch-Südwestafrika gegen diese vermeintliche Ignoranz zu Felde gezogen ist, meint daher offenbar, griffig-schlichte Argumente gegen den Kollegen liefern zu müssen: Bei der Größenordnung des Transsahara-Handels mit Sklaven fehlten die Literaturhinweise, bemängelt Eckert. Flaig deute „die koloniale Eroberung Afrikas gar als humanitäre Intervention“. Eckert zitiert sarkastisch dessen Vorstellung, „afrikanische Intellektuelle bildeten eine Einheitsfront einträglichen Leugnens, um der westlichen Kultur die Schuld an der Sklaverei zu geben“.

Das klingt mehr nach Diffamierung denn nach Argumentation. Denn Flaig ist Historiker genug, um seine Zahlen durchaus mit Literatur zu untermauern – gegenüber rund elf Millionen Menschen, die von Afrika aus nach Amerika verkauft wurden, hält er es allerdings mit der umstrittenen Maximalschätzung, die von 17 Millionen Verschleppten in die Kernländer des Islams ausgeht.

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Dass „die einheimische Sklaverei in Afrika und Asien allmählich von den Kolonialmächten zerstört“ wurde, kann man schon bei dem großen Übersee-Historiker Jürgen Osterhammel nachlesen. Und um die komplizierte Frontlage in der aktuellen Sklaverei-Debatte zu skizzieren, bräuchte man, wie der schwelende Streit in Frankreich und jüngst erst Wolf Lepenies gezeigt haben, ein ganzes Buch.

Die ganze Aufregung dient also wohl dem Ziel, eine zentrale Aussage Flaigs kleinzureden: Die Sklaverei sei bis in die Gegenwart hinein ein integraler Bestandteil muslimischer Gesellschaften. Demnach ging bereits mit dem Aufbau des arabischen Weltreichs die Jagd nach Menschen einher.

Von Spanien bis Zentralasien, von Nordafrika bis tief in die Savannen hinein wurde mit Menschen gehandelt, Türken und anderen Nomaden, Slawen, Christen und – vor allem – Schwarzen. Erst diese leistungsfähige und erprobte Infrastruktur ermöglichte es den Portugiesen und später Niederländern, Engländern und Franzosen, in Afrika den menschlichen Nachschub für ihre Plantagenwirtschaft in der Neuen Welt zu erwerben.

Der sogenannte Dreieckshandel, mit dem Zucker nach Europa und Stoffe und andere Manufakturgüter nach Afrika transportiert wurden, hatte eine Entsprechung im muslimischen Transkontinentalverkehr im Indischen Ozean, der dem Monsunwechsel folgte.

Muslimische Sklaverei rückt in den Fokus

Während jedoch die meisten Darstellungen der nachantiken Sklaverei nur flüchtig auf die muslimische Welt eingehen, nimmt sie bei Flaig den Hauptteil ein. Das aber rückt ein Phänomen in den Fokus, „das man noch nicht als überschaubares System beschrieben hat“ (Jürgen Osterhammel), wohl weniger, weil das als mögliche Relativierung des abendländischen Sklavenhandels unter Generalverdacht steht, sondern weil es über die Kraft der wenigen Islamforscher geht.

Doch gerade weil es bei Flaigs Thema nicht so sehr um Deutung, sondern um Darstellung einer weitgehend unbekannten Geschichte geht, wäre ein differenzierter Umgang mit dem Stoff angemessener gewesen. Statt jeden Fund, jede Beobachtung seiner These vom erobernden Islam einzufügen, wäre dabei zum Beispiel herausgekommen, dass die Rayas, die christlichen Untertanen im Osmanischen Reich, zwar der „Knabenlese“ unterworfen waren, gleichwohl aber über Rechte verfügten, die ihnen eine gewisse Partizipation und Integration ermöglichten. Als Beweis für allgegenwärtige islamische Weltherrschaftsambitionen taugt die Sozialverfassung der Osmanen eben nicht.

Oder Flaigs apodiktische Feststellung, bei den „Eliten der afrikanischen Raubstaaten“ habe es sich keineswegs um Kollaborateure mit den Weißen gehandelt, sondern um ebenbürtige Partner, die den Europäern ihre Marktbedingungen diktieren konnten. Immer? Überall? Statt vom theoretischen Modell ausgehend zu einer klaren Schwarz-Weiß-Erklärung zu gelangen, würden vergleichende Beobachtungen wohl eher diverse Grauwerte der europäisch-afrikanischen Zusammenarbeit zu Tage fördern.

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Oder das Phänomen der Kriegersklaven. Seit der Abbasiden-Kalif al Mutasim sich um 900 in Samarkand eine turkstämmige Sklavengarde zusammenkaufte, prägt diese Einrichtung islamische Herrschaften. Für Flaig ist sie daher die Triebfeder islamischen Sklavenhandels schlechthin. Denn nur mit loyalen, ihren Heimatländern entfremdeten Truppen konnten muslimische Fürsten ihre Throne sichern. Damit wurde die Sklaverei zum zentralen Herrschaftsinstrument, zu dessen Erhalt vor allem in Afrika Regime entstanden, die sich ausschließlich auf Menschenjagd gründeten.

Herren wurden später in Harem verbannt

Aber: Ob ägyptische Mamluken, osmanische Janitscharen, iranische Königsknappen oder die sich aus Schwarzen rekrutierende Garde der Delhi-Sultane, deren Zahl mit bis zu 180.000 angegeben wird – all diesen hochspezialisierten Elitekämpfern war gemein, dass sie nach wenigen Generationen selbst nach der Macht griffen und ihre Herren in den Harem verbannten.

Schon als die Kreuzfahrer in der Levante auftauchten, hatten die Araber ihre führenden Positionen an zumeist turkstämmige Dynasten verloren. Dass trotz aller schlechten Erfahrungen immer wieder auf das Institut der Kriegersklaven zurückgegriffen wurde, könnte vielmehr auf die erheblichen Strukturprobleme muslimischer Herrschaften hinweisen, denen es im Gegensatz zu ihren Kollegen im Okzident nie gelang, ausreichende Ressourcen zu erschließen, um ihr Primat gegenüber den Militärs dauerhaft durchzusetzen.

Die Sklaverei in der islamischen Welt ist komplizierter, als Flaig es uns glauben macht. Ein Skandal ist sein Buch deswegen noch lange nicht. Das Wort passt wohl eher auf das Desiderat, das der Rostocker Althistoriker ausgemacht hat, bevor er sich an die Arbeit machte. Denn bevor man sich voller Toleranz daranmacht, den Islam zu verstehen und zu akzeptieren, sollte man ihn erst einmal kennenlernen. Auch seinen Umgang mit der Sklaverei.

Egon Flaig: „Weltgeschichte der Sklaverei“ (C. H. Beck, München, 238 S., 12,95 €)

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