Trend auf TikTok

Auf "Girl Math" folgt "Boy Math": Das hat es mit dem neuen Social-Media-Phänomen auf sich

"Girl Math" ist den meisten schon länger ein Begriff, "Boy Math" hebt das Ganze jetzt aufs nächste Level: Warum gerade alle über diese Trends auf TikTok und X reden.
Warum gerade alle über girl math und boy math reden
Valerie Winckler/Getty Images

"Girl Math" vs. "Boy Math": Das steckt hinter dem neusten Trend auf TikTok

Ich habe mir neulich einen Mantel gekauft, für den Herbst. Nicht dass ich nicht schon genug hätte, aber eben noch keinen braunkarierten (und der ist für cozy-"Gilmore Girls"-Fall-Vibes nun mal unerlässlich). Nun war der Mantel, nun ja, nicht ganz billig, besonders für eine Studentin. Jeden Tag rief ich mehrfach das entsprechende Lesezeichen auf der Seite des Onlineshops meines Vertrauens auf und rang mit mir: Sollte ich oder sollte ich nicht? Ich sollte, folgerte ich nach einer einfachen Rechnung: Ich würde den Mantel für mindestens drei Jahre tragen, möglicherweise von Oktober bis März. Außerdem war es ein leichteres Übergangsmodell und davon hatte ich sonst noch keinen (doch einen, aber der fusselt). Der auserkorene Mantel war farblich super zum Kombinieren geeignet, was mir die Möglichkeit gab, viele Teile meiner Garderobe wieder mehr anzuziehen, die sich dadurch dann auch mehr rechneten. Ferner war soeben das neue Gehalt aufs Konto geflattert und ich würde demnächst eine Woche bei meinen Eltern verbringen, dort also sämtliche Lebenshaltungskosten sparen. Zudem standen auch noch zwei Rückzahlungen vorheriger Online-Käufe ins Haus, die mir zusammen den Mantel fast zur Hälfte schon mal finanzieren würden. Summa summarum: er war praktisch umsonst und der Kauf absolut gerechtfertigt.

Und das, liebe Damen und Herren, ist "Girl Math".

Das steckt hinter "Girl Math"

Diese Art von Rechnung kennen sicherlich viele – nur war uns bis jetzt nicht bewusst, dass es dafür auch einen Namen gibt (und dass so viele andere Frauen diese Denkakrobatik ebenfalls anstellen). Bekannt wurde der Begriff durch die neuseeländische Radio-Show "Fletch, Vaughan & Hayley" des Senders ZM. Dort gibt es seit einiger Zeit das Format "Girl Math", bei dem die Moderator:innen Zuhörer:innen helfen, teure (modische) Anschaffungen zu rechtfertigen. Im August fand der Begriff dann seinen Weg ins Internet, der entsprechende Hashtag auf TikTok verzeichnet aktuell über 500 Millionen Views. "Girl Math" hat mit Algebra nicht viel zu tun, es ist viel mehr ein psychologischer Trick, mit dem man versucht, (hohe) Ausgaben vor sich selbst und der Welt zu verteidigen. Wir gaukeln uns vor, wie wenig etwa ein Kleidungsstück am Ende kostet, wenn wir bestimmte Faktoren in die Kaufentscheidung miteinbeziehen. Wenn ich den Kaffee bar statt mit Karte statt bezahle, ist er umsonst (denn der Kontostand bleibt ja gleich). Und wenn ich den neuen Maxirock nicht behalte, sondern zurückgebe? Habe ich damit Geld verdient.

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#girlmath ist eine Unsinnslogik (aber eine, die, zumindest für kurze Zeit, Frauen von überallher online in einen fröhlichen Austausch über ihre persönlichen "Girl Math"-Erfahrungen brachte). Ein humoristischer Social-Media-Trend, mit einem zugegebenermaßen schlecht gewählten, paternalistischen Namen, dessen Ironie den Anwendenden durchaus bewusst ist. Das hielt aber offenbar manche Männer trotzdem nicht davon ab, den Hashtag auch aufzugreifen, nicht zu verstehen und dann halbgare Tweets über ihre Auffassung von "Girl Math" in die Welt zu setzen. Oder darin gleich die vermeintliche Unzulänglichkeit von Frauen in mathematischen und finanziellen Angelegenheiten bestätigt zu sehen. Und deshalb gibt es jetzt "Boy Math".

Was ist "Boy Math"?

Laut der auf Internetphänomene spezialisierten Website "Know your Meme" existiert der Slang-Begriff "Boy Math" schon (mindestens) seit Mitte August. Viral ging er aber erst in den letzten paar Tagen, 28 Millionen Aufrufe zählt der Hashtag auf TikTok momentan. Es ist die Antwort auf "Girl Math" – aber eben auch (hauptsächlich) von Frauen. Und die kennen keine Gnade.

"Boy Math" hat noch weniger mit Mathe zu tun als "Girl Math". Tatsächlich geht es dabei meist überhaupt nicht mehr um Zahlen. Stattdessen listen Frauen online peinliche, heuchlerische oder seltsame Logiken und Eigenheiten auf, die Männer ihrer Meinung nach an den Tag legen. Und einige davon haben deutlich mehr Gravitas als die Witze über irrationales Geldmanagement – es geht dabei unter anderem um toxische Maskulinität, Beziehungsprobleme, Scheidungen und Unterhaltszahlungen.

#boymath manifestiert sich in Dating-App-Faux-Pas und in Fuckboy-Verhalten. Stereotypen männlicher Verhaltensweisen werden mit dieser neuen "Formel" erklärt: Etwa wie man damit auf wundersame Weise ein paar Zentimeter zur eigenen Größe hinzufügen kann.

#boymath-Tweets: Einige Highlights

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Im Gegensatz zu "Girl Math", werden mit "Boy Math" auch ernsthaftere Themen und wahrhaft problematisches Verhalten angesprochen:

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Auch in die US-Politk ist der Begriff eingezogen: Die demokratische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez nutzte die Gelegenheit, um gegen den republikanischen Mehrheitsführer und Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, zu sticheln. In ihrem Tweet spielt sie auf den drohenden Government-Shutdown in den USA an, da McCarthy es nicht schaffe, seine Fraktion im aktuellen Haushaltsstreit unter einen Hut zu bekommen. Und auf den Fakt, dass er im Januar erst nach 15 Wahlgängen seine Sprecher-Rolle bekam – nachdem er dem rechtsradikalen Flügel seiner Fraktion erhebliche Zugeständnisse gemacht hatte.

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Fazit? Die Dinge nicht ganz ernst nehmen

Im Netz scheint der "Girl Math"-"Boy Math"-Battle eine klare Gewinnseite zu verzeichnen: "The men on Twitter are literally getting cooked right now and I'm living for it" ("Die Männer auf Twitter werden buchstäblich gegrillt und ich liebe es"), schreibt eine TikTok-Userin über ihre Eindrücke.

Wichtig bei der ganzen Angelegenheit: den Humor nicht vergessen. "Girl Math" versus "Boy Math" ist ein Beweis dafür, dass man manchmal die Dinge einfach nicht so ernst nehmen sollte. Ein lustiger Trend (solange er niemandem ernsthaft schadet) darf einfach mal ein Trend sein. Ohne direkt eine Grundsatzdiskussion loszutreten. Hätten einige Männer sich aus "Girl Math" rausgehalten und den Frauen einfach mal ihre fünf Sekunden Spaß gelassen, sähen sie sich heute vielleicht nicht auf Twitter mit ihren eigenen Verfehlungen konfrontiert. Ich werde die, teils sehr smarten, "Boy Math"-Tweets jedenfalls mit Vergnügen weiter verfolgen. Und dabei in meinem neuen Herbstmantel einfach fabelhaft aussehen.