Essay zum Weltfrauentag

Wer ist eine Frau?

Sind trans Frauen Frauen? Darüber wird derzeit teils erbittert gestritten – in persönlichen Essays, auf Social Media, in Büchern und Zeitungen; in Deutschland, in Großbritannien oder den USA.

Sind trans Frauen Frauen? Darüber wird derzeit teils erbittert gestritten – in persönlichen Essays, auf Social Media, in Büchern und Zeitungen; in Deutschland, in Großbritannien oder den USA.

Wer ist eine Frau? Sind trans Frauen Frauen? Darüber wird derzeit teils erbittert gestritten – in persönlichen Essays, auf Social Media, in Büchern und Zeitungen, in Deutschland, in Großbritannien oder den USA. Die Frage, wer sich Frau nennen darf, wer als eine solche gezählt und anerkannt werden soll, entzweit Feministinnen, sie mobilisiert Konservative, Rechte und Prominente wie „Harry-Potter“-Autorin J. K. Rowling.

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Auf der einen Seite stehen Menschen, die sagen: Eine Frau ist, wer sich selbst als solche definiert. Es ist die Logik, die hinter den Ampelplänen zur geschlechtlichen Selbstbestimmung steht. Es ist die Logik, die es der Grünen-Abgeordneten Tessa Ganserer ermöglicht, als Frau im Bundestag zu arbeiten, auch wenn sie ihren Vornamen und ihr Geschlecht nach dem derzeit geltenden Transsexuellengesetz nicht offiziell geändert hat. Auf der anderen Seite stehen die, bei denen das massiven Widerstand auslöst. Menschen, wie Rowling, die davon überzeugt sind, dass „Frausein“ etwas ist, dass man sich nicht „wie ein Kostüm“ anziehen könne. Dass es ein verbindendes Element gibt, das etwa einer trans Frau fehlt. Die Frage ist nur: Was soll das sein?

Keine einfachen Antworten in der Biologie

Einfache Antworten hat man lange Zeit in der Biologie gewähnt – und viele tun das auch noch heute. Die Zeitschrift „Emma“ kritisiert beispielsweise in einem Artikel, dass „wer Frau und wer Mann ist“ nicht mehr auf „objektiv feststellbaren, körperlich-biologischen Merkmalen beruhen“ solle. Alice Schwarzer selbst spricht in ihrem Buch „Transsexualität. Was ist eine Frau? Was ist ein Mann?“ von einer „fundamentalen Leugnung“ des biologischen Geschlechts. Doch die Wahrheit ist: Die Biologie ist viel komplizierter, als sich das die meisten vorstellen.

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„Unsere Gesellschaft und unser Gesundheitssystem gehen zum großen Teil davon aus, dass wenn bei der Geburt ein äußeres Genital vorhanden ist, etwa eine Vulva, dass das dann ein Mädchen ist“, sagt Timo Nieder, Sexualforscher am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, wo er die Spezialambulanz für sexuelle Gesundheit und Transgender-Versorgung leitet. Auch in der Schule haben viele gelernt, dass es klare, biologische Unterschiede gibt: Eine Frau ist, wer zwei X-Chromosomen hat – oder nicht? Inzwischen weiß man jedoch beispielsweise: Es gibt Männer mit XX-Chromosomen und Frauen mit XY-Chromosomen. Relevant für die Geschlechtsentwicklung ist auch nicht nur ein bestimmtes Gen, sondern eine Vielzahl verschiedener Faktoren, die nicht nur als Embryo, sondern auch später, etwa in der Pubertät, noch wichtig sind.

Wie entsteht Geschlechtsidentität?

Oft läuft dieser Prozess so eindeutig ab, wie sich die meisten Menschen das vorstellen: Am „Ende“ steht dann zum Beispiel eine Frau, mit Brüsten, mit Vulva, die sich auch als solche fühlt und begreift. Aber das ist eben nicht immer so. Für weite Teile der Wissenschaft gilt als Konsens, so Nieder: Das menschliche, biologische Geschlecht ist nicht binär, ist nicht in jedem Einzelfall ganz klar entweder Mann oder Frau. Das zeigt sich an intergeschlechtlichen Menschen, bei denen etwa das äußere Genital mehrdeutig ist. Es zeigt sich aber auch am Beispiel von trans Menschen, die sich mit dem bei ihrer Geburt festgelegten Geschlecht nicht oder nicht ganz identifizieren.

Schwarzer geht davon aus, dass trans Menschen einen „seelischen Konflikt“ austragen. Die Gründe für Transgender sind, dieser Logik folgend, nicht in der Biologie zu suchen, sondern in der Gesellschaft. Aus Sicht von Schwarzer ist etwa deren Druck auf Frauen und Mädchen so groß, dass der „Zeitgeist“ jungen Mädchen suggeriere, „die Flucht ins Mannsein sei die Lösung: gegen die Einengung und Zumutung des Frauseins in einer patriarchalen Welt“.

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Wissenschaftlich betrachtet, müssen wir sagen: Wir sind nicht sicher, wie so etwas wie Geschlechtsidentität entsteht.

Timo Nieder,

UKE Hamburg

Nieder hält jedoch auch das für viel zu vereinfacht: „Viele trans Menschen haben auch massive Probleme mit ihrem Körper“, sagt er. Auch gibt es durchaus Hinweise auf biologische Mechanismen: Zwillingsstudien deuten darauf hin, dass Transgender von einem genetischen Faktor beeinflusst sein könnten. Das heißt aber nicht, dass es bloß ein paar Gene sind, die jemanden etwa zur trans Frau machen. Und: Bei vielen trans Menschen spiele sehr wohl auch die gesellschaftliche Erwartung, die an das Geschlecht gestellt werde und die als limitierend empfunden werde, eine sehr wichtige Rolle, sagt Nieder. All diese Faktoren – Körper, Erleben, Verhalten – verschränkten sich miteinander. „Wissenschaftlich betrachtet müssen wir sagen: Wir sind nicht sicher, wie so etwas wie Geschlechtsidentität entsteht.“ Die Frage sei vielmehr, findet Nieder, warum die biologischen Faktoren so viel wichtiger sein sollten als die Psyche oder das soziale Leben, wenn es um das Geschlecht geht.

Gibt es ein „wesentliches, weibliches Prinzip“?

In einem Essay behauptet „Harry-Potter“-Autorin J. K. Rowling, die Aussage, „biologische Frauen würden keine gemeinsamen Erfahrungen machen“, sei „zutiefst misogyn und rückwärtsgewandt“. Die „Leugnung der Bedeutung des biologischen Geschlechts“ solle die Vorstellung „aushöhlen“, dass Frauen eine „eigene biologisch begründete Realität“ haben. Doch diese „eine“ Realität gibt es nicht. Auch nicht für Frauen, die sich selbst nicht als trans, nonbinär oder divers bezeichnen würden. „Die Menge der Menschen, die sagen: ‚So eindeutig Frau oder Mann war ich nie, aber das ist schon okay, so bin ich halt‘, ist viel größer, als die meisten denken“, sagt Nieder. Die Gruppe der Transgender sei so gesehen nur die Spitze des Eisbergs.

Unabhängig davon, wie viele Menschen dies tatsächlich so für sich unterschreiben würden, für wie viele Frauen dies gilt: Hat es eine einzige, gemeinsame Erfahrung des Frauseins jemals gegeben? Die Feministin Laurie Penny stellt das infrage: „Es gibt in der Tat keine universelle Erfahrung der Weiblichkeit, kein wesentliches weibliches Prinzip“, schreibt sie in einem Essay. Eine schwarze Frau mache andere Erfahrungen als eine weiße. Für eine reiche, privilegierte Frau bedeutet „Frausein“ etwas anderes, sie erlebt eine andere Realität als eine arme Frau. Niemand würde ernsthaft behaupten, dass diese Frauen keine Frauen sind. Warum also kann die Erfahrung, die eine trans Frau macht, nicht Teil der vielfältigen Erfahrungen dessen sein, was es bedeutet, als Frau in dieser Gesellschaft zu leben?

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Im Sport wird bereits nach Antworten gesucht

Doch gegenüber trans Frauen gibt es ein spezielles Unbehagen, ja eine regelrechte Angst und Phobie. Was glaubt man zu riskieren, wenn man trans Frauen als Frauen anerkennt, aufnimmt, schützt? Warum behauptet Schwarzer, „auch erwachsene Frauen sind bedroht“? Eine der häufigsten Befürchtungen, die in diesem Kontext geäußert wird, lautet: Wenn „jeder“ sich künftig „Frau“ nennen darf, wie erhalten wir dann geschützte Frauenräume, wie Umkleiden, Frauenhäuser oder Toiletten? Unabhängig davon, dass man trans Menschen – die zudem selbst massiv unter Gewalt leiden – nicht unter Generalverdacht stellen kann: Kann man es einer Gesellschaft nicht zutrauen, hier Lösungen zu finden, die die Interessen der einen nicht gegen die der anderen ausspielt?

Die entsprechenden Diskussionen, dieses Ausloten, hat auch längst begonnen – zum Beispiel im Sport. Trans Frauen, die erst nach der Pubertät mit einer Hormonbehandlung begonnen haben, haben – besonders in den ersten Monaten – einen körperlichen Vorteil gegenüber anderen Frauen. Das zeigen Studien, die unter anderem auch von trans Frauen durchgeführt wurden. Sportverbände weltweit müssen sich nun fragen, wie sie mit diesen Erkenntnissen umgehen. Welche Regeln haben Sinn? Ist es beispielsweise gerechtfertigt, trans Frauen künftig erst nach drei Jahren Hormontherapie zu Wettkämpfen von Athletinnen zuzulassen? An welche Maßstäbe, etwa an welche Testosteronwerte, könnte man eine Starterlaubnis knüpfen? Das sind keine leichten Fragen, aber man kann darauf immer bessere Antworten geben. Trans Frauen pauschal auszuschließen, weil das „unfair“ gegenüber anderen Frauen sei – das fällt hinter die wissenschaftliche, aber auch die gesellschaftliche Realität zurück.

Trans Frauen, trans Männer oder auch nonbinäre Menschen – sie alle sind in den vergangenen Jahren viel sichtbarer geworden. Immer mehr Menschen verstehen, dass Geschlecht und Geschlechtsidentität nicht für jeden das Gleiche bedeutet. Das macht manchen Hoffnung und anderen Angst. Das wird von Konservativen und Rechten für ihren ganz eigenen Kulturkampf ausgenutzt. Das wird und ist eine Herausforderung für uns als Gesellschaft. Zu einfach darf man es sich dabei aber nicht machen.

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