Der Rausch braucht eine neue Logik – Seite 1

Politiker reduzieren Probleme gern auf einfache Formeln, für Drogen lautet sie ungefähr so: Illegale Drogen sind schädlich, aber nicht so wie legale Drogen. Die sind zwar auch schädlich, aber ja legal. Weshalb sie naturgemäß nicht so schnell so sehr schaden können wie illegale Drogen. Letztere müssen also verboten bleiben. Und gehören bekämpft. Alles klar?

Selbst Abstinenzler dürfte dieses logische Kunstwerk überfordern, aber über vier Jahrzehnte hinweg hat es die globale Drogenpolitik bestimmt – und würde es nach internationalem Recht auch weiter tun. Allmählich lösen sich jedoch die ersten Länder vom Konsens der Prohibition: Noch in diesem Jahr will Uruguay den Konsum, Handel und Anbau von Cannabis umfassend legalisieren. In den US-Bundesstaaten Colorado und Washington ist der Kauf, Besitz und Konsum bestimmter Mengen Marihuana und Haschisch bereits erlaubt. Kalifornien könnte im nächsten Jahr folgen.

In keinem Fall steht dahinter die Kapitulation vor der Droge. Sondern die Einsicht, dass sich Drogen nicht durch Krieg bekämpfen lassen. Der hat eine sachliche Debatte über psychotrope Substanzen viel zu lange verhindert. Was er aber nicht verhindert hat, sind die Drogen selbst: Virginia und Maryland, beides Bundesstaaten mit strengen Drogengesetzen, leiden derzeit unter einer beispiellosen Heroinwelle mit vielen Toten. In Europa berichten die Behörden regelhaft von neuen Substanzen, die noch gar nicht verboten sind, weil sie niemand kennt. Auch die Spürhunde der Drogenfahnder nicht. Anfang Februar starb einer der bekanntesten Schauspieler Amerikas, Philip Seymour Hoffman, an einer Überdosis Heroin. Die Welt war entsetzt. Und tatsächlich: überrascht.

Es ist, als hätte sich seit den Kindern vom Bahnhof Zoo nichts geändert. Noch immer gibt es Drogenhandel, Drogenkriminalität, Drogentote und den Konsum von verbotenen Stoffen, noch immer soll das alles in einem nebulös wirkenden Teil der Gesellschaft stattfinden – im Untergrund, in Randgruppen. Oder eben in Hollywood. Aber sind Drogen nicht tatsächlich viel weiter verbreitet?

Staatliche Zahlenwerke wie der Deutsche Suchtbericht stellen jedenfalls keine auffälligen Trends in der Einnahme illegaler Substanzen fest. Was sich jenseits polizeilicher Strafverfolgung und therapeutischer Hilfesuche in ganz normalen Wohnungen oder gut besuchten Clubs abspielt, entzieht sich den offiziellen Statistiken. In Großbritannien allerdings hat erst eine unabhängige Erhebung im Internet, der Global Drug Survey, Hinweise darauf geliefert, welche Drogen vor allem von jüngeren Menschen konsumiert werden, wenn sie ausgehen, tanzen und sich mit Freunden amüsieren.

Keine Sucht, sondern Genuss befriedigen

Die Ergebnisse des jüngsten Survey, an dem 2012 mehr als 22.000 Personen aus dem englischsprachigen Raum teilnahmen, bieten ernüchternde Einblicke: Demnach hatten nicht nur fast 80 Prozent der befragten Briten in den vergangenen zwölf Monaten Spaß mit Cannabis. 67 Prozent der Clubgänger konsumierten auch MDMA, also Ecstasy, als Pulver, Pille oder Crystal zum Rauchen. Mehr als 40 Prozent koksten. Selbst LSD, ein vermeintlich antiquierter Stoff, verschaffte jedem sechsten Partygänger einen bunten Abend. Mit der gleichen Frequenz wurden Pilze genossen. Auch Ketamin, Koffeintabletten, Amphetamine und Lachgas waren beliebt.      

Ganz gleich welche Droge, für die meisten ging es nach eigener Aussage nicht darum, eine Sucht zu befriedigen. Sondern um den Genuss – im Bewusstsein der möglichen Folgen. In einem Index konnten die Teilnehmer die Vor- und Nachteile der verschiedenen Substanzen bewerten. Alkohol schnitt dabei mit Abstand am schlechtesten ab.

Drogen sind keine Auswüchse einer kriminellen Gossenwelt

Sind im britischen Nightlife also nur noch Zugedröhnte unterwegs? Sicher müssen solche Zahlen mit Vorsicht genossen werden: Das Independent Scientific Committee on Drugs hat vor allem die Medien davor gewarnt, über die Ergebnisse von Internetumfragen zu Drogen unkommentiert zu berichten. Schon allein, weil online nicht zwingend ehrliche Antworten gegeben werden. Es gebe zudem Belege für einen Nachahmereffekt. Dennoch kommen solche Erhebungen der Wahrheit wohl insofern nahe, als dass sie Drogen nicht als Auswüchse einer kriminellen Gossenwelt spiegeln. Sondern als kulturelles Phänomen, das wesentlich verbreiteter ist, als bislang auch nur vermutet. Zumindest in Großbritannien. 

Wie es damit in Deutschland aussieht, darüber soll der aktuelle Global Drug Survey Auskunft geben, zu dem auch ZEIT ONLINE aufgerufen hatte. Im April 2014 werden die Ergebnisse veröffentlicht. Allein in Deutschland haben sich mehr als 20.000 Menschen an der Befragung beteiligt, so viele wie in keinem anderen Land.

Ganz gleich, was dabei herauskommt: Gerade in Deutschland fällt das Umdenken schwer. "Trotz der wachsenden Zweifel werden wir hier sobald keine Entscheidungen zur Entkriminalisierung oder Regulierung von Drogen erleben", sagt Heino Stöver von der Fachhochschule in Frankfurt am Main. Der Sozialwissenschaftler berät die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen und befasst sich seit drei Jahrzehnten mit Drogen. Im vergangenen Jahr hat er für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung ein ausführliches Gutachten über mögliche neue Wege in der Drogenpolitik erstellt.

Drogenpolitik gehört auf wissenschaftliches Fundament

Eine schrittweise Regulierung von Cannabis hin zu einer legalisierten Abgabe an Erwachsene brächte demnach die größten Vorteile – und zwar nicht nur für die Konsumenten. Wie andere internationale Experten hält Stöver es für wahrscheinlich, dass sich andere Problematiken, etwa mit Alkohol oder Heroin, auf diese Weise sogar mildern ließen. Nötig sei allerdings, die Drogenpolitik endlich auch auf ein wissenschaftliches Fundament zu stellen.

Doch während sich viele hochrangige Suchtspezialisten, Psychiater und Neurologen etwa in Großbritannien längst von der moralisierenden Prohibitionskultur der Politik emanzipiert haben, Veränderung fordern und evidenzbasierte, also dem Kenntnisstand entsprechende Informationen über Drogen bereitstellen, lassen sich die wissenschaftlichen Experten in Deutschland noch nicht recht auf solche Schritte ein. "Das trauen sich die wenigsten, vor allem aus Angst, als unseriös verurteilt zu werden", sagt Stöver. "Die Widerstände gegen ein Ende der Prohibition sind noch zu groß."

Es sind stattdessen Polizeigewerkschaften und Strafrechtler, die sich für die überfälligen Reformen einsetzen und im ersten Schritt eine Entkriminalisierung fordern – teilweise tun sie das schon länger als die Global Commission on Drug Policy, die den Krieg gegen die Drogen vor drei Jahren für gescheitert erklärte. Die deutsche Regierung hängt dennoch weiter an der einfachen Formel, und sei sie noch so logikbefreit. Lange kann es nicht mehr so bleiben.

ZEIT ONLINE hat seine Leser gefragt: Nehmen Sie Drogen?  Mehr als 22.000 Menschen in Deutschland haben sich an der Online-Umfrage Global Drug Survey 2014  beteiligt. Daraus ist der ZEIT-ONLINE-Drogenbericht entstanden.

Alle Hintergründe, Grafiken und Ergebnisse zum ZEIT-ONLINE-Drogenbericht 2014 © ZEIT ONLINE

Nie zuvor haben mehr Deutsche so detailliert beschrieben, was sie rauchen, schnupfen, trinken und einwerfen. Hier finden Sie alle Ergebnisse der Umfrage sowie weitere Grafiken und Artikel zu Drogen in Deutschland.

Update: Der Global Drug Survey 2015 hat begonnen. Nehmen Sie bis zum 20. Dezember 2014 an der weltweit größten Umfrage zum Drogenkonsum teil und helfen Sie mit, Drogenkonsum sicherer zu machen (Lesen Sie hier mehr).

Die Ergebnisse werden wir Ihnen im Sommer 2015 exklusiv auf ZEIT ONLINE vorstellen. Folgen Sie der Umfrage auch auf Twitter via #GDS2015 und @GlobalDrugSurvy. Berichte und Hintergründe zum Thema auf ZEIT ONLINE finden Sie hier.