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DER SPIEGEL 47/1979 vom 19.11.1979, Seite 119

"Gott ist der echte Kriegesmann"

Hitler-Verehrung und Kampf begeisterung protestantischer Theologen und Pfarrer 1937 bis 1940

Sie predigten nicht nur Gott, sondern auch "unser deutsches Blut", "unseren Führer" und "die Ausmerzung alles wesensfremden Einflusses". Daß viele protestantische Kirchenführer dem Nationalsozialismus anhingen, belegen Kirchentexte aus den Jahren 1937 bis 1940, die eine Projektgruppe der Universität Bochum unter Leitung des Theologieprofessors Günter Brakelmann jetzt als Buch herausgegeben hat**. Der SPIEGEL druckt Auszüge:

Mit dem gesamten deutschen Volke

feiert die Evangelische Kirche am 20. April in jubelnder Freude den fünfzigsten Geburtstag unseres Führers. In ihm hat Gott dem deutschen Volke einen wahren Wundermann geschenkt ... In tiefer und dankbarer Ergriffenheit erlebt das deutsche Volk, erlebt in ihm auch die deutsche evangelische Christenheit noch einmal die gewaltige Größe des Geschehens, das die mit Adolf Hitler anbrechende Stunde der Deutschen in sich faßt: Die Aufrüttelung aller völkischen Kräfte zu kampfes- und todesfreudigem Einsatz für Freiheit, Ehre und Macht des Vaterlandes ...

Daß die Ausmerzung alles wesensfremden Einflusses auf die geistige, sittliche und künstlerische Kultur unseres Volkes begleitet sei von einer immer tieferen Erschließung der Quellen, aus denen unser Volk geboren und seine Geschichte gespeist ist ... das sei unser

* Der katholische Abt Schadileiter (Mitte) und der evangelische Reichsbischof Müller (rechts) auf der Ehrentribüne des Reichsparteitages zu Nürnberg im Jahre 1933.

** Günter Brakelmann (Hg.): "Kirche im Krieg. Der deutsche Protestantismus am Beginn des II. Weltkriegs". Christian Kaiser Verlag, München; 336 Seiten; 28 Mark.

Begehren, unser Wille, unser Gelübde zum fünfzigsten Geburtstag des Führers.

Deutsche Evangelische Kirche am 14. April 1939.

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Allmächtiger Gott ... Wir bitten Dich von Herzen, nimm auch fernerhin unseren Führer in Deine treue Obhut; erhalte ihm Gesundheit und freudige Kraft und laß ihm sein Werk gelingen, wie Du es bisher sichtbar gefördert hast. Gib Gnade, daß sein ganzes Volk sich immerdar in Treue und Tapferkeit um ihn schare, daß unser Heer zu Lande, zu Wasser und in der Luft ihm allezeit freudig diene und in der Stunde der Not und Gefahr unser Vaterland siegreich schütze ...

Gebet des Geistlichen Vertrauensrates, des Sprachrohrs der Deutschen Evangelischen Kirche, vom 14. April 1939.

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Unser Führer 50 Jahre alt! Unser Führer! Was klingt nicht alles mit in diesem Wörtlein "unser"! Herzliches Vertrauen -- grenzenlose Dankbarkeit -- ehrfurchtsvolle Bewunderung -- heiße Liebe! ...

Unserem Volke ist mit diesem Manne ein ganz großes Geschenk geworden. Durch ihn ist aus einem kleindeutschen Staat eines Reiches Herrlichkeit geworden. Und das geschah ohne Krieg und Blutvergießen! Ein Wunder! "Das evangelische Deutschland", die offizielle Kirchenzeitung "für das Gesamtgebiet der Deutschen Evangelischen Kirchen", am 16. April 1939.

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Dem Führer des deutschen Volkes entbieten zu seinem fünfzigsten Geburtstag die im Reichsbund der deutschen evangelischen Pfarrervereine zusammengeschlossenen 16 000 evangelischen Geistlichen ehrerbietigen Glückwunsch. Am heutigen Tag vereinen wir uns mit allen unseren Gemeinden in dem Gefühl demütigen Dankes vor dem lebendigen Gott, daß er uns zur rechten Stunde den Führer geschenkt und durch ihn den Weg des deutschen Volkes aus der Tiefe der Ohnmacht und der Schmach in machtvollem Aufschwung zur leuchtenden Höhe Großdeutschlands gelenkt hat. Es bleibt auch in Zukunft unser und unserer Gemeinden allsonntägliches Gebet, Gott wolle uns den Führer erhalten, ihn schützen und segnen und das Werk seiner Hände fördern.

Grußwort der Deutschen Pfarrervereine am 18. April 1939.

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Ein Haupt hast du dem Volk gesandt,/ und trotz der Feinde Toben / in Gnaden unser Vaterland / geeint und hoch erhoben; / mit Frieden hast du uns bedacht, / den Führer uns bestellt zur Wacht/ zu deines Namens Ehre.

Wir danken dir mit Herz und Mund,/ du Retter aus Gefahren, / und flehn aus tiefster Seele Grund, / du wolltest uns bewahren, / Herr aller Herrn, dem keiner gleich, / den Führer und das Deutsche Reich / zu deines· Namens Ehre...

Evangelisches Feldgesangbuch.

Wie hat dich Gott so überreich, / du seltener Mann, gesegnet! / Wie ist er dir mit seiner Huld / so wunderbar begegnet!

Er legte es in deine Hand, / ein neues Reich zu schaffen: / "Großdeutschland", unser Vaterland, / nicht mit Gewalt der Waffen.

Und wenn der Feind jetzt wutentbrannt / den Krieg uns aufgezwungen, / blitzartig und mit starker Hand / hast du den Sieg errungen.

Im Westen hältst du treue Wacht / durch tapfere Soldaten! / Und wenn es donnert, blitzt und kracht, / der Herr läßt dir?s geraten.

Er geb? dir weiter Sieg auf Sieg / in diesem heißen Ringen. / Du, deutscher Adler, machtvoll flieg, / auch England zu bezwingen.

Herr, über unserm Führer halt / der Allmacht starke Hände, / daß er mit

* Mit 47 Paaren, die alle Mitglieder der NSDAP waren, 1933 in der Berliner Lazarus-Kirche.

Weisheit und mit Kraft / sein großes Werk vollende!

"Evangelisches Kirchen- und Volksblatt" der Badischen Landeskirche vom 21. April 1940.

*

In der kommenden Auseinandersetzung der Völker müssen die gesamten physischen, psychischen und moralischen Kräfte der Nation in einem solchen Umfang mobilisiert und aktiviert werden, wie das noch nie zuvor der Fall gewesen ist. Die Rede vom "totalen Krieg" ist zu einer allgemeinen Erkenntnis in der Welt geworden. Alles Leben und alle Kraft in einem Volk muß im Kriegsfall zum Heerbann aufgeboten werden ...

Nun schenkt aber christlicher Glaube, wenn er nicht bloß Dogma und Rekenntnis, sondern auch Tat ist, opferwillige Bereitschaft zum Dienst mit dem Herzen und der Hand, unzerbrechliche Treue und eisernen Mut, Überwindung von Selbstsucht und Eigennutz, Kraft zum Dasein für die Anderen und den Nächsten in echter Liebe und wahrem Dienst. Also streicht christliche Frömmigkeit nicht die völkische Lebendigkeit aus, Wehrhaftigkeit, Opferbereitschaft, Gemeinnutz, tapferen Einsatz für die Nation, sondern heiligt sie zu Dienst, Opfer, Hingabe, Selbstüberwindung um Gottes willen ...

Es gehört zur Wehrhaftigkeit, zur Vorbereitung auf den Ernstfall eines Krieges, zur seelischen Widerstandskraft einer Nation, daß eine Kirche jederzeit die Jugend zur Treue gegen Staat und Volk als eine von Gott gewollte heilige Pflicht, in seinem Schöpferwillen begründet, erzieht und daß ein Volk auch im Frieden die entscheidenden seelischen Kräfte der Religion, und das heißt für uns des christlichen Glaubens, nicht brachliegen läßt, damit eine harte Zeit auch ein frommes und starkes Geschlecht treffe.

Werner Schütz, Professor für Praktische Theologie an der Universität Bonn, in "Soldatentum und Christentum", einer zum Buch erweiterten Antrittsvorlesung aus dem Jahre 1937.

*

Indes, es ist nicht so, daß für ein Volk nur dann Notwehr vorliegt, wenn der Feind in das Land eindringt. Jedes Volk hat das Recht zu leben, und zwar zu leben und nicht zu vegetieren. Andere Völker aber können einem Volke, auch ohne in sein Land einzudringen, so zusetzen, daß ihm der Lebensatem ausgeht, seine Blüte verdorrt, sein Saft vertrocknet, sein Stamm abzusterben droht! Da kann es nun ein gerechter Krieg sein, wenn in solcher Lage ein Volk aufschreit: "Ich kann nicht ansehen meiner Kinder Sterben" -- und zum Schwerte greift, um seinen Kindern Brot zu schaffen.

Nicht nur einen einzelnen Menschen, auch ein ganzes Volk kann man erdrosseln. Auch ein Volk kann man an seine Kehle packen und würgen, bis es zusammenbricht. Schon das ist Erdrosselung eines Volkes, wenn man ihm keinen Lebensraum gönnt, sondern es auf engstem Raum zusammendrängt, bis es erstickt.

Viel leichter als die verantwortlichen Führer eines Volkes hat es in der Frage nach Recht oder Unrecht eines Krieges der einzelne. Wenn das Vaterland zum Kriege ruft, hat er nur die eine schlichte Pflicht, dem Rufe zu folgen. Ob Recht oder Unrecht, müssen die Regierenden wissen. Der einzelne Untertan kann das zumeist gar nicht beurteilen oder gar entscheiden. Ihm bleibt mit Sicherheit nur die Pflicht des Gehorsams. Pfarrer Otto Borchert in "Der Krieg mit gutem Gewissen", 1938.

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Das Blut, das uns in Deutschland zusammenbindet, ist Wirklichkeit nicht nur im biologischen, sondern auch im mythischen Sinne, und eben darum ist es leibhaftiges und unausweichliches Schicksal ... Wir wissen aber, daß wir kraft unseres Blutes und in unserem Volk ein eigenes Schicksal haben, daß die Ewigkeit unser deutsches Blut bei Namen auf die Bahn der Geschichte gerufen hat, und daß wir als deutsches Volk den Weg in das Unerforschliche anzutreten haben. Im Eid des Mannes auf die Fahne verschwören wir uns unserem deutschen Volk zur Treue.

Ein Mann braucht nicht mehr zu wissen, als daß dieser Schwur unverbrüchlich gilt, und daß die Ewigkeit ihn bei seinem Eid behaften wird. Niemand verschwört sich einer Berechenbarkeit, wenn er auf die Fahne schwört. Wir verschwören uns dem Dunkel. Nicht das Glück wacht über unserem Eid, sondern der unerforschliche und verborgene Gott!

Hans Schomerus in "Vom Ethos des Ernstfalles", 1939 (2. Auflage). Schomerus war Leiter des Elite-Predigerseminars in Wittenberg, später Offizier, nach dem Krieg Leiter der Evangelischen Akademie in Herrenalb und Mitbegründer der Wochenzeitung "Christ und Welt".

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Seit dem gestrigen Tage steht unser deutsches Volk im Kampf für das Land seiner Väter, damit deutsches Blut zu deutschem Blut heimkehren darf. Die Deutsche Evangelische Kirche stand immer in treuer Verbundenheit zum Schicksal des deutschen Volkes. Zu den Waffen aus Stahl hat sich unüberwindliche Kräfte aus dem Werte Gottes gereicht: Die Zuversicht des Glaubens, daß unser Volk und jedes einzelne in Gottes Hand steht, und die Kraft des Gebetes, die uns in guten und bösen Tagen stark macht. So vereinigen wir uns auch in dieser Stunde mit unserem Volk in der Fürbitte für Führer und Reich, für die gesamte Wehrmacht und alle, die in der Heimat ihren Dienst für das Vaterland tun ... Der Geistliche Vertrauensrat der Deutschen Evangelischen Kirche am 2. September 1939.

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Herr, unser Gott! Vater unseres Herrn Jesu Christi! ... Segne Du unseren Kampf für die Ehre, für die Freiheit, für den Lebensraum des deutschen Volkes und sein Brot. Segne Du unsere Wehrmacht auf dem Lande, zu Wasser und in der Luft. Segne allen Einsatz und alle Arbeit im deutschen Land, segne und schütze Du unseren

* 1934 durch Reichsbischof Müller in der Gustav Adolf-Kirche zu Berlin-Charlottenburg.

Führer, wie Du ihn bisher bewahrt und gesegnet hast, und laß es ihm gelingen, daß er uns einen wahrhaftigen und gerechten Frieden gewinne, uns und den Völkern Europas zum Segen und Dir zur Ehre ...

Fürbittengebet des Geistlichen Vertrauensrates aus dem Jahre 1939.

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In tiefer Demut und Dankbarkeit beugen wir uns am heutigen Erntedankfest vor der Güte und Freundlichkeit unseres Gottes: Wieder hat er Flur und Feld gesegnet, daß wir eine reiche Ernte in den Scheunen bergen durften; wieder hat er seine Verheißung an uns wahr gemacht, daß er uns Speise geben wird zu seiner Zeit. Aber der Gott, der die Geschicke der Völker lenkt, hat unser deutsches Volk in diesem Jahr noch mit einer anderen, nicht weniger reichen Ernte gesegnet. Der Kampf auf den polnischen Schlachtfeldern ist, wie unsere Heeresberichte in diesen Tagen mit Stolz feststellen konnten, beendet, unsere deutschen Brüder und Schwestern in Polen sind von allen Schrecken und Bedrängnissen Leibes und der Seele erlöst, die sie lange Jahre hindurch und besonders in den letzten Monaten ertragen mußten. Wie könnten wir Gott dafür genugsam danken!...

Und mit dem Dank gegen Gott verbinden wir den Dank gegen alle, die in wenigen Wochen eine solche gewaltige Wende heraufgeführt haben: gegen den Führer und seine Generale, gegen unsere tapferen Soldaten auf dem Lande, zu Wasser und in der Luft, die freudig ihr Leben für das Vaterland eingesetzt haben.

Wir loben Dich droben, Du Lenker der Schlachten, und flehen, mögst stehen uns fernerhin bei.

Der Geistliche Vertrauensrat zum Erntedankfest 1939.

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Großdeutschland ruft zum Dienst! Es ruft jedermann, alt und jung, Mann und Weib -- es ruft auch uns ...

Es ist Kampf. Im Kampf verstummt jeder Mißklang im eigenen Lager. Jetzt stehen wir alle in einer Reihe und tragen alle dieselbe Rüstung: "Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?" Gott segne uns in dieser Verbundenheit des Glaubens zu Dienst und Kampf für unser deutsches Volk und Vaterland! Kirchenrat Friedrich Klingler, Reichsbundesführer der deutschen evangelischen Pfarrervereine am 8. September 1939.

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Heller noch als sonst klingt jetzt die hehre, herbe Botschaft der Pflicht. Es geht nicht um unser kleines Leben und wahrlich nicht um unser bürgerliches Behagen, sondern um tapferes Opfer. Vor allen irdischen Gütern sind Volk und Vaterland die höchsten, die einzigen, die von den Männern das Leben, von den Frauen das Opfer ihrer Geliebtesten heischen dürfen ...

Klagen heißt, anderen Lasten auflegen und sie entmutigen. Tragen heißt, anderen Lasten abnehmen und sie ermutigen. Die Kraft dazu findet der Beter bei seinem Herrn.

Darum: Beter an die Front! Hinter dem Führer und seinen Mitarbeitern, hinter dem Heere, hinter der Kampf- und Leidensgemeinschaft des deutschen Volkes muß die stille Schar der unbekannten Beter in unablässiger Treue stehen. Du bist gerufen! ... "Der Hochweg", eine von strenggläubigen, missionarisch orientierten Protestanten herausgegebene Zeitschrift, 1939.

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Entweder sind wir gesunde Keimzellen in unserem Volk, die gute Kräfte in das Ganze hineinleben, oder wir werden Träger zersetzender Einflüsse. Das gilt überall: daheim, bei der Arbeit, im Verkehr -- auch in unseren Briefen ins Feld -- beim Anstehen der Hausfrauen, oder wo immer wir sind. Mehr als je gilt es jetzt, tief zu leben -- und das heißt vor Gott leben!

Ihr deutschen Frauen habt den schwersten Teil der Last zu tragen, die uns allen auferlegt ist; denn der kleinen Nöte in der Hauswirtschaft, der Verdrießlichkeiten und Reibereien alltäglicher Art werden nicht wenige sein. Und das Kleine zermürbt leichter als die großen Pflichten. Darum tut das Kleine aus großen Beweggründen! Dient! Helft anderen, wieder fröhlich an ihr mühsames Tagewerk zu gehen! Der Hochweg, 1939.

Es geziemt uns als Christen, daß wir nicht gering vom Kriege denken. Der Krieg ist nicht nur Strafgericht Gottes, er ist nicht nur Erschütterung und Zerstörung. Sondern er ist eine andere Ordnung unseres Lebens, in der Gott von uns die Bewährung fordert, wie in jeder Ordnung des Lebens.

Evangelisch predigen kann heute nur der, der mit seinem Volke an der Front steht. Evangelisch predigen kann nur der, der weiß, welche Entscheidungen für unseres Volkes Seele auf der innersten Front fallen. Die Entscheidung über das innere Schicksal des Abendlandes fällt heute auf den Schlachtfeldern und -- unter unseren Kanzeln ...

"Glaube und Volk in der Entscheidung", eine von dem Theologen Schomerus herausgegebene Zeitschrift, 1939.

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Liebe Gemeindeglieder! Nun ist es doch geschehen, was wir so lange gefürchtet hatten: Ein neuer Krieg ist über uns gekommen. Vor 25 Jahren ist der Weltkrieg ausgebrochen. Noch sind uns seine Schrecken in lebhafter Erinnerung. Ich trage noch Granatsplitter im Körper, und anderen wird es ähnlich gehen ...

Woher kommt es nun aber, daß die Welt so von Kriegen geschüttelt wird, wie ein kranker Körper von Fieber? Das kommt von unserer Sünde! Fieber, Krankheit sind Zeichen dafür, daß im Körper etwas nicht in Ordnung ist. Unser Verhältnis zu Gott ist durch den Sündenfall in Unordnung gekommen. Das ist das erste, was uns der Herr durch den Krieg sagen will ...

Wir denken an die Macht des Antichristentums und der Abgötterei, an die Verödung der Gottesdienste und Abendmahlstische, an den Mangel an Bibelkenntnis und Gebetskraft, an die ganze Entchristlichung, die auch in unserem Volk reißend schnell fortgeschritten ist.

Pfarrer Friedrich Karl Otto Flemming, Berlin, Anfang September 1939.

*

Soldatenleben ist Kameradschaft. Soldaten teilen miteinander Freude und Leid; Soldat sein, d. h. Mann für Mann in einer verschworenen Schicksalsgemeinschaft stehen auf Treue und Glauben, die auch im Trommelfeuer und Stahlgewitter der Schlachten dauert und vor der Todesgrenze nicht zurückschreckt: "Bleib du im ew?gen Leben, mein guter Kamerad!" Denn "Deutschland muß leben, auch wenn wir sterben müssen!"

Deine Väter wußten: Der Soldat vertraut auf Gott! Er kennt ihn als den allmächtigen Schöpfer, als den Herrn der Geschichte, der den Kriegen steuert in aller Welt, Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt. Ihn ruft der "christliche Wehrmann" in seinem Gewissen zum Zeugen an, wenn er den Eid auf die Fahne schwört: "Wer auf die preußische Fahne schwört, hat nichts mehr, das ihm selber gehört." Wer diesen "heiligen Eid" bricht, fahnenflüchtig wird, oder gar sein Vaterland verrät, der versündigt sich wider den großen, verborgenen, allmächtigen Gott!

Der Soldat gehorcht! Er weiß, was Disziplin ist: Beherrschung, Unterordnung des Willens, grundsätzliches Vertrauen auf die Führung, ohne Widerspruch und Murren ...

Bist du Soldat, dann wisse: Mit deinem ganzen Leben und mit deinem ganzen Herzen gehörst du dir nicht mehr selbst! Die Würde des Volkes und die Hoheit des Staates haben einen Rechtsanspruch auf des Soldaten ganze Treue ... Und das Gewissen des christlichen Wehrmannes darf frei und getrost sein. Denn Gott hat uns ein Ehrenwort gegeben, eine unverbrüchliche Zusage "Fürchte dich nicht! Ich bin bei dir!"

Deutschland weiß sich von Gott gerufen, die Geschichte Europas neu zu gestalten. "Der Führer rief, und alle, alle kamen!" ...

Das Bekenntnis der Väter ruft dich, Kamerad:

Dein Zweck allein / Sei Gottes Ehr? / Auf dem es wag, / Dich redlich wehr! / Gott ist der echte Kriegesmannn / Der deine Feinde schlagen kann ... Evangelische Front-Broschüre "Die Tugenden des christlichen Soldaten".

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Wir sind, um nur einiges zu nennen, sehr hartherzig gewesen. Wir alle müssen uns anklagen, daß wir unbewegten Herzens viel Not um uns haben geschehen lassen, die uns jetzt selbst droht. Daß wir unbewegten Herzens und nur mit dem Gedanken an unseren und unseres Volkes Nutzen gesehen haben, wie anderen Völkern das geschah, was uns nun droht, daß wir selber nur gefragt haben, was es nützt, und nicht gefragt haben, was Gott segnen will und kann.

Wir sind feige gewesen und haben unser eigenes Leben retten wollen. Und Gott lehrt uns nun aufs deutlichste, daß kein Mensch sein Leben sichern kann, daß es gut ist, auf ihn zu vertrauen und nicht sich selbst durch unrechtes Tun und durch Unterlassen dessen, was geboten ist, sichern zu wollen ...

Wir haben teilgenommen an dem ganzen Haß und dem gegenseitigen Verurteilen, wie es auf dieser Erde herrscht im Leben des einzelnen und im Leben der Völker. Wir waren bereit, Unrecht mit Unrecht zu vergelten, und sahen nur auf das eigene Recht und die eigenen Vorzüge, während uns Recht und Ehre des anderen gleichgültig waren.

Nun wird uns die Frucht offenbart, die daraus entstehen muß. Wehe, wenn wir nur vor der Frucht erschrecken und nicht vor der Ursache, die wir selber sind ...

Pfarrer Helmut Gollwitzer in der Berlin-Dahlemer Kirche am 3. September 1939 als Nachfolger des seit 1937 im KZ inhaftierten Pfarrers Martin Niemöller. Gollwitzer gehörte zu jener Minderheit evangelischer Pfarrer, die den Mut hatten, sich mehr oder weniger unverhohlen vom Hitler-Regime zu distanzieren.

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Version 1.7.2.0 (DB: dokn)