Der Streit um politische Gesten der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der WM in Katar erreicht fünf Tage nach dem Ausscheiden die Politik. Die Bundestagsfraktion der Union hat eine offizielle Anfrage an die Bundesregierung gestellt: „Hat die Bundesregierung im Vorfeld, während oder im Nachgang der Besuche von Bundesinnenministerin Nancy Faeser in Katar 2022 eine Kommunikationsagentur zwecks medialer Begleitung oder Beratung beauftragt, und wenn ja, welche und zu welchen Kosten?“
Spekulationen über eine Verflechtung von Politik und Fußball wurden durch einen ARD-Bericht befeuert. Demnach sei zu „Beratungen um ein Signal gegen Diskriminierung in einem Land, in dem homosexuelle Handlungen ein Straftatbestand sind“, auch Raphael Brinkert hinzugezogen worden. Brinkert ist Mitbegründer von „BrinkertLück Creatives“, einer Agentur, die den SPD-Bundestagswahlkampf begleitete und zuletzt mit einem Auftrag aus dem SPD-geführten Gesundheitsministerium für eine Impfkampagne Schlagzeilen machte.
Beim Auftaktspiel der Nationalmannschaft gegen Japan (1:2) war Brinkert in Doha im Stadion. Da sich bei diesem Spiel auch die nach Katar gereiste Innenministerin Nancy Faeser (SPD) mit der „One Love“-Binde auf der Tribüne zeigte, entstand im Netz die Spekulation, die Geste der Politikerin und der Sportler seien unter Beteiligung des Werbers koordiniert worden.
Im Gespräch mit WELT weist Brinkert jedoch jede Einflussnahme zurück: „Mit der Mund-zu-Geste und deren Entscheidungsfindung im Team haben wir als Agentur und ich als Person genauso wenig zu tun, wie mit der europäischen Gemeinschaftsidee der ‚One Love‘-Binde. Richtig ist, dass wir seit vielen Jahren über viele Projekte hinweg vertrauensvoll und vertraulich mit und für den DFB arbeiten. Unsere Ansprechpartner sind dabei die Kollegen von Marketing und Kommunikation, nicht die des Team-Managements der Nationalmannschaft vor Ort bei einem Turnier oder bei den Länderspielen. Dass die Innenministerin auf der Tribüne die ‚One Love-Binde‘ trug, hat mich genauso überrascht wie die Fans im Stadion oder am TV. Es gab und gibt bis heute keinen Kontakt mit ihr oder ihrem Team.“
Die Herz-Geste wurde verworfen
Tatsächlich ist inzwischen bekannt, dass nicht alle Spieler am Tag vor dem Spiel gegen Japan überzeugt waren, dass man ein Zeichen setzen müsse. Zuvor hatte der Weltverband Fifa sieben Fußballverbänden untersagt, die „One Love“-Kapitänsbinde zu tragen.
Viele Spieler, so ist es zu hören, wollten den Fokus einzig auf das Spiel legen. Dennoch, ein Kreis von sieben Führungsspielern um Kapitän Manuel Neuer und Leon Goretzka, der von Brinkert in PR-Fragen beraten wird, diskutierte. Eine Idee soll gewesen sein, vor dem Spiel gegen Japan beim Teamfoto mit der Herz-Geste zu posieren – mit jener Geste von Leon Goretzka aus dem letzten Vorrundenspiel gegen Ungarn bei der EM 2021. Nach seinem Tor zum 2:2-Endstand hatte der Mittelfeldspieler des FC Bayern ein Herz mit beiden Händen geformt und es in Richtung des ungarischen Fanblocks gezeigt. Im Nachgang der Partie twitterte der 26-Jährige damals das Jubelfoto mit den Worten „Spread Love“ (Verbreitet Liebe) und Regenbogenfahnen-Emoji.
Auch der DFB äußerte sich auf Anfrage von WELT zur Causa. Der Verband teilte mit: „Die Entscheidung zur Verwendung der Mund-zu-Geste stammt aus dem Kreis der Mannschaft. Es gab dazu vorab weder mit dem Ministerium des Innern, noch mit Agenturen einen inhaltlichen Austausch. Auch nicht mit der Agentur BrinkertLück, die nach einer öffentlichen Ausschreibung und einem transparenten Vergabeverfahren eine der Lead-Agenturen des DFB ist.“