Comicreihe "Ralph Azham“

Eine Ente zwischen Gut und Böse

06:24 Minuten
Eine Comicfigur mit blauen Haaren steht mit Schwert in der Hand auf einem Hügel.
Cover des Comics "Ralph Azan 12: Loslassen". © Reprodukt/Lewis Trondheim
Von Christian Gasser · 24.04.2020
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In "Ralph Azham" erzählt der Comicautor Lewis Trondheim die Geschichte einer schmächtigen Ente in einem merkwürdigen Mittelalter. Mit Band 12 endet nun das Fantasyepos, das sein Genre zugleich parodiert und zelebriert.
"Die Faszination für Fantasy ist einfach zu erklären", findet Comicautor Lewis Trondheim: "Der Mensch hat seit Urzeiten das tiefe Bedürfnis nach Geschichten. Je fantastischer eine Geschichte ist, desto besser erlaubt sie dem Zuhörer, der Realität zu entfliehen und damit seine eigene Sterblichkeit zu vergessen. In Geschichten mit Drachen und Superkräften verlängert sich das kindliche Staunen im Erwachsenen, und wenn es einem Autor gelingt, dieses Staunen am Leben zu erhalten, umso besser."

Eine schmächtige Ente als Antiheld

"Ralph Azham" hat alles, was ein echtes Fantasyepos braucht – allerdings unterläuft Lewis Trondheim viele Stereotypen des Genres. So ist die Hauptfigur, Ralph Azham, kein Respekt einflößender Recke, sondern eine schmächtige, antropomorphe Ente mit blauem Schnabel und blauen Haaren – ein Antiheld, ursprünglich von allen verachtet, der im Lauf der Abenteuer mehr und mehr besondere Fähigkeiten und Superkräfte entwickelt und schließlich den bösen König stürzt und die Macht an sich reißt.
In dem Comic unterhalten sich zwei Enten über einen aufgespürten Mörder.
Bilder aus dem Comic "Ralph Azham 12: Loslassen".© Reprodukt/Lewis Trondheim
Und doch weiß man nie so recht, ob man diesen Antihelden sympathisch finden soll oder nicht – zu penetrant ist sein pubertärer Humor, zu fragwürdig sind gewisse seiner Handlungen. Ralph Azham sei eigentlich ein kleiner Depp, findet Lewis Trondheim:
"Aufgrund einer falschen Prophezeiung wird Ralph zum Auserwählten ausgerufen und muss sich plötzlich mit Dingen herumschlagen, die ihn total überfordern. Dabei bliebe er am liebsten in Ruhe zuhause. Während seiner Abenteuer entwickelt er eine etwas eigenwillige Moral, die ihn des Öfteren auf die dunkle Seite zieht. Er ist sich dessen bewusst – es ist aber gar nicht so einfach, sich von der Macht nicht korrumpieren zu lassen."

"Pappmaschee-Bösewichter sind uninteressant"

Ralph Azham ist also eine vielschichtige Figur. Aber nicht nur in ihm liegen Gut und Böse nahe beieinander: Entgegen den Gepflogenheiten des Genres sind die Grenzen überall fließend.
"Die Welt ist nicht nur weiß und schwarz, sondern besteht aus vielen Grautönen. Das gilt auch für meine ,bösen’ Figuren: Sie sind nicht einfach böse, weil ich einen Bösewicht brauche; sie haben ihre eigene Geschichte. Sonst hat man zweidimensionale Pappmaschee-Bösewichter, und das ist uninteressant. Meine Welt besteht also aus dunkelgrauen Bösewichtern und hellgrauen Guten, und gewisse Figuren hüpfen dann und wann von der einen auf die andere Seite."
Ein Mann sitzt an einem Bücherstand.
Der französische Comicautor Lewis Trondheim.© imago images / Hans Lucas
Am offensichtlichsten unterscheidet der Humor "Ralph Azham" von den meisten Fantasyepen: Ralphs Abenteuer in diesem fantastischen Mittelalter sind gespickt mit Situationskomik, Wortspielen, bunten Monstern, merkwürdigen Wesen, mysteriösen Zauberkünsten. Das wirkt stellenweise parodistisch, doch ist es vielmehr der Versuch, ein Fantasyepos anders zu erzählen, letztlich menschlicher und damit auch – trotz der antropomorphen Tier- und Fabelwesen – realistischer. Die Humorlosigkeit der klassischen Heroic-Fantasy hat Trondheim schon immer gestört:
"Fantasy ist gerne sehr hochtrabend. In ,Der Herr der Ringe’ gibt es gerade einmal zwei Witze, und beide gehen auf Kosten von Zwergen. Jeder halbwegs gescheite Mensch weiß aber, dass Menschen nicht nur aus großen Gefühlen und Phrasen bestehen, aus Stolz und Kämpfen. Wir müssen dann und wann auch etwas zu lachen haben. Nur eine subtile Mischung aus diesen Elementen macht eine Geschichte interessant."

Eine Saga über den Umgang mit Macht

Zwölf Bände lang kämpfte und floh Ralph Azham. Er wurde übers Ohr gehauen und trickste und log selber skrupellos, er fand Gefährten und verlor sie wieder, er entwickelte übernatürliche Fähigkeiten und setzte sie nicht immer sauber ein – und wurde dabei immer mächtiger und immer gefürchteter. In diesem Epos war und ist alles möglich, außer Langeweile.
Nun ist die Saga um Ralph Azham, den Schweinehüter, der Herrscher wurde, zu Ende. Für Lewis Trondheim ist "Ralph Azham" nicht einfach eine weitere Serie in seinem immensen Werk – "Ralph Azham" liegt ihm ganz besonders am Herzen:
"‚Ralph Azham‘ ist eine irrwitzige Saga mit einem ernsthaften Subtext: Der Umgang mit der Macht. Dieses Thema, die Macht, ist in meiner Arbeit zentral, weil sie auch in unserem Leben zentral ist. Wir haben zwar nicht alles Superkräfte wie Ralph Azham, aber wir werden alle erwachsen und üben gewisse Macht über uns selber und unsere Umgebung aus. Setzen wir diese Macht gut ein? Sind wir in der Lage, uns weiterzuentwickeln? Diese Fragen ziehen sich unterschwellig durch meine Arbeit. Aber ich will sie nicht zu offen ansprechen. Ich will schließlich weder Moralisieren noch Belehren."

Lewis Trondheim: "Ralph Azham 12: Loslassen"
Reprodukt, Berlin 2020
48 Seiten, 13 Euro

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