Zum Inhalt springen
Ferda Ataman

Politisch korrekter Knollendiskurs Almanis - oder wie nennen wir Kartoffeln?

Ferda Ataman
Eine Kolumne von Ferda Ataman
Wie bezeichnet man eigentlich Deutsche ohne Migrationshintergrund? Und warum reagieren Ureinheimische so empfindlich, wenn sie "Kartoffel" genannt werden?
Foto:

iStockphoto/ Getty Images

"Immer dieses ihr und wir, muss man das so betonen?" Diesen Satz höre ich in letzter Zeit oft - interessanterweise von weißen Deutschen, nachdem ich sie als "weiße Deutsche" bezeichnet habe. "Hautfarbe und Herkunft spielen für mich keine Rolle", erklären sie. Guter Punkt. Nur warum fällt ihnen das nicht ein, wenn sie Leute mit Zuschreibungen wie "Russlanddeutsche" oder "Deutschtürken" versehen? Wer diese Begriffe verwendet, müsste sich selbst konsequenterweise auch als Deutschdeutsche(r) bezeichnen. Aber die meisten finden, sie selbst seien einfach nur Deutsche. 

Offenbar tun sich viele Germanennachfahren schwer damit, eine Fremdzuschreibung für ihre eigene Gruppe anzunehmen - etwas, das "ausländischen Mitbürgern", "Migranten" und "Personen mit Migrationshintergrund" am laufenden Band zugemutet wird. Die Anderen werden ständig nach Wurzeln, Religionen und Stämmen sortiert. Aber wenn Deutsche ohne Migrationshintergrund in eine Gruppe eingeordnet werden, reagieren viele empfindlich . Sehr empfindlich sogar.

"Ich will nicht als weiße Deutsche bezeichnet werden, das ist auch Rassismus", schreiben mir Leute auf Twitter. Das ist inhaltlich Quatsch  und relativiert strukturelle Benachteiligung . Aber selbst Zeitgenossen, die sich als weltoffen und liberal sehen, mutieren mitunter zu dünnhäutigen Emodeutschen, wenn sie als Weiße*r, Alman oder Kartoffel bezeichnet werden. Erstaunlich viele werten das als beleidigende Diskriminierung. Warum nur?

An den Begriffen selbst kann es eigentlich nicht liegen. "Alman" ist das türkische Wort für Deutsche*r und Kartoffel ein international beliebtes Gemüse. Nimmt man noch Biodeutsche und die altmodischen Krauts und Piefkes dazu, sind die Nachfahren der Teutonen vermutlich mit den harmlosesten und niedlichsten "Schimpfwörtern" versehen, die ein Volk bekommen kann.

Schließlich wären Zuschreibungen wie Spargelfresser, Leberwurst oder Weißbrot kulinarisch und semantisch genauso naheliegend. Oder politisch fieser und ironischer: Deutsche mit Nationalsozialismusgeschichte oder germanische Ureinwohner oder Monokulturdeutsche - in logischer Anlehnung an die Begriffe, die man den "Anderen" gibt. Aber nach zwei Weltkriegen will vielleicht niemand mehr Deutsche provozieren. Jedenfalls: Harmloser kann man es mit Fremdzuschreibungen kaum treffen.

Trotzdem meldete sich vor zehn Jahren die damalige Familienministerin Kristina Schröder und erklärte, wenn nichtbiodeutsche Kinder andere Kinder auf dem Schulhof "deutsche Kartoffel" nennen, sei das Deutschenfeindlichkeit und ein bundespolitisch ernst zu nehmendes Thema. Spätestens seit damals steht die Knolle unter einem diskursiven Diskriminierungsverdacht. Zu unrecht, wie ich finde. Natürlich ist es völlig inakzeptabel, wenn Kinder so gemobbt werden. Aber es werden auch Schüler*innen als "Jude", "Türke" oder "schwul" beschimpft und wir schreiben die Begriffe nicht gleich ab.

Es zählt, was andere sagen

Außerdem geht es nur um Alltagssprache. Niemand würde in einem amtlichen Papier oder Parteiprogramm "Almanis" schreiben oder bei der Polizei "kriminelle Kartoffel" vermerken. Anders bei den Fremdzuschreibungen, die Millionen von Menschen ungefragt zu Nafris, Flücht-"lingen", Migranten  oder Muslimen erklären: sie sind oft amtlich und finden sich in Studien, Statistiken und den Medien wieder.

Ich würde auch gern anmerken, dass ich Deutsche kenne, die sich selbst als Kartoffel oder Alman bezeichnen. Nicht nur privat, auch öffentlich, wie Sina und Marius vom extrem beliebten Instagram-Account "Alman Memes"  oder im aktuellen Werbespot von Edeka "Mach auch du Geschäfte mit Kartoffeln" , der für Ausbildungsplätze wirbt. Manche nennen sich doch selber so - dieses Argument kommt oft in Debatten über das N-Wort oder die "Zigeunersoße". Aber es geht hier nicht darum, wie man sich selbst bezeichnet, sondern um Fremdzuschreibungen.

Anzeige
Ataman, Ferda

Ich bin von hier. Hört auf zu fragen!

Verlag: S. FISCHER
Seitenzahl: 208
Für 13,00 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

07.05.2024 18.29 Uhr

Keine Gewähr

Produktbesprechungen erfolgen rein redaktionell und unabhängig. Über die sogenannten Affiliate-Links oben erhalten wir beim Kauf in der Regel eine Provision vom Händler. Mehr Informationen dazu hier

Und wer schon ein Nachtschattengewächs als kränkende Zuschreibung empfindet, müsste eigentlich sofort verstehen, dass bei kolonialgeschichtlichen und anderen historischen Schimpfwörtern eine rote Linie überschritten wird. Trotzdem sind bei Kartoffel und Alman vor allem diejenigen schnell beleidigt, die sich sonst über die politisch korrekte "Moralkeule" beklagen. 

Bei der Empörung über "Kartoffeldeutsche" geht es also um etwas anderes. Es geht um den inneren Widerstand, sich mit sich selbst und den eigene Privilegien zu beschäftigen . Und es geht um Macht: manche wollen einfach nicht die Deutungshoheit abgeben. Wer in Deutschland wen als was bezeichnen darf, soll immer noch die "Mehrheitsgesellschaft" bestimmen, also die weißen Deutschen.

Doch so läuft das nicht mehr. In einer Einwanderungsgesellschaft kann nicht eine Gruppe allein bestimmen, wie alle bezeichnet werden. Das Suppengemüse redet im Knollendiskurs jetzt mit und nennt die Kartoffeln auch mal Alman(i)s oder Biodeutsche. Sollte eines Tages endlich die "Zigeunersoße" aus den Regalen verschwinden und ein Kartoffeldeutschendip reinkommen, können wir darüber nachdenken, ob wir lieber alle auf Zuschreibungen verzichten. Wegen politischer Korrektheit und so.