Im Tauziehen um die Ausrichtung der Politik in der Währungsunion haben Deutschland und Italien oft entgegengesetzte Positionen eingenommen. Während die Deutschen auf eine harte Währung und Sparsamkeit bei den öffentlichen Finanzen pochten, bevorzugten die Italiener eine weichere Währung und hielten weniger von staatlicher Sparsamkeit. Doch dies war nicht immer so. Blickt man in der Geschichte zurück, scheint es, als ob beide Länder wie bei der Quadrille öfter mal die Positionen wechselten.
Die deutsche Erfahrung des Staatsbankrotts in der Hyperinflation von 1923 ist in unserem kollektiven Gedächtnis fest verankert. Weniger geläufig ist, dass Deutschland nach der Machtergreifung Hitlers von 1933 bis 1937 eine Wirtschaftspolitik betrieb, die man heute als „keynesianisch“ bezeichnen könnte.
Der Staat zahlte mit Mefo-Wechseln
Hjalmar Schacht, der bei der Währungsreform im November 1923 eine entscheidende Rolle spielte und von 1923 bis 1930 die Reichsbank leitete, wurde von Hitler 1933 erneut zum Reichsbankpräsidenten ernannt. Die Wirtschaft befand sich in der Depression, und das Geld war knapp.
Schacht nutzte eine untätige Privatfirma namens Metallforschungsgesellschaft (Mefo), um staatlich garantierte Wechsel, die sogenannten Mefo-Wechsel, auszustellen, mit denen der Staat den Kauf von Waren bezahlen konnte.
Die Lieferanten des Staates konnten die Mefo-Wechsel, die sie zur Zahlung erhielten, bei der Reichsbank gegen Bargeld eintauschen. Das Programm war eine frühe Version des heutigen „Quantitative Easing“, allerdings mit dem Unterschied, dass die Anhäufung von Staatsschulden in die Mefo ausgelagert wurde (sodass die offiziell ausgewiesenen Staatsschulden nicht stiegen).
Auch wurde die Ausgabe von Wechseln strikt an den Kauf von neuen Waren gebunden. Damit wollte Schacht das Entstehen einer die Warenproduktion übersteigenden Geldschöpfung verhindern, die 1923 zur Hyperinflation geführt hatte. Die Wirtschaft erholte sich, und 1938 drang Schacht auf das Ende des Mefo-Programms. Hitler war damit nicht einverstanden und entließ ihn.
Kurswechsel unter Mussolini
Auch Italien erlebte nach dem Ersten Weltkrieg turbulente Zeiten. Am Ende stand es zwar auf der Gewinnerseite, hatte aber einen gewaltigen Schuldenberg im Umfang von 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) angehäuft. Der Wechselkurs der Lira sackte ab, und die Inflation stieg.
Im Oktober 1922 übernahm Benito Mussolini, der 1919 die faschistische Bewegung gegründet hatte, die Regierung. Er verfügte einen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik zu dem, was man heute wohl „Austeritätspolitik“ nennen würde.
Die Staatsausgaben wurden verringert, Sozialausgaben gekappt und die Reallöhne mithilfe der faschistischen Gewerkschaften zwischen 1921 und 1929 um 20 Prozent gedrückt. Steuern auf Konsum wurden erhöht und auf Unternehmensgewinne verringert. Staatseigene Unternehmen wurden privatisiert.
Durch eine Hartwährungspolitik wurde der Kurs der Lira gegenüber dem britischen Pfund stabilisiert, getreu Mussolinis Versprechen: „Die Lira …wird verteidigt …, koste es, was es wolle.“ Das Ergebnis dieser Politik waren kontinuierliche Budgetüberschüsse des Staatshaushalts von 1923 bis 1934 und eine Halbierung der Staatsschuldenquote auf rund 90 Prozent bis 1940.
Erhard setzte auf regelorientierte „Ordnungspolitik“
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zum deutsch-italienischen Positionswechsel. Hyperinflation und kreative Geldpolitik, die zwar der Nachfragestimulierung dienen sollte, aber von den Nazis zur Finanzierung der Kriegsvorbereitungen genutzt wurde, hatten die proaktive Wirtschaftspolitik in Deutschland kompromittiert.
Unter Ludwig Erhard als Wirtschaftsminister verfolgte die Regierung eine regelorientierte „Ordnungspolitik“. Der Staat sollte den Rahmen setzen, in dem sich die Wirtschaft frei entfalten konnte, und die Bundesbank sollte von der Politik unabhängig für stabiles Geld sorgen.
In Italien sorgten der Wirtschaftsboom der Nachkriegszeit und die Anbindung des Wechselkurses der Lira an den Dollar im Bretton-Woods-Währungssystem bis Anfang der 1970er-Jahre für relativ stabile wirtschaftliche Verhältnisse. Von 1950 bis 1970 stieg die Staatsschuld von 30 auf 37 Prozent des BIP, und die Lira verlor gegenüber der D-Mark nur wenig an Wert.
Doch mit dem Kollaps des Bretton-Woods-Systems im Jahr 1973 ging der Anker für die Fiskal- und Geldpolitik verloren. Die Lira fiel gegenüber der D-Mark bis zum Ersatz durch den Euro um 82 Prozent, und die jährliche Inflationsrate betrug im Durchschnitt dieser Periode knapp zehn Prozent.
Mario Draghi soll es richten
Mit dem Eintritt in die Währungsunion hofften italienische Ökonomen, dass der Druck einer harten Währung die Verkrustungen der korporatistisch strukturierten Wirtschaft aufbrechen und die von eher kleinen Unternehmen dominierte Wirtschaft durch die Herausbildung größerer, international wettbewerbsfähiger Unternehmen modernisieren würde.
Doch die Beharrungskräfte der italienischen Wirtschaft und Gesellschaft widerstanden dem Druck des Euro. Der Zusammenprall der Kräfte erzeugte Kollateralschäden in Form einer Stagnation der Wirtschaft und aus dem Ruder laufender Staatsverschuldung.
Premierminister Mario Draghi soll das nun richten. Aber eine Politik der „Austerität“ ist nicht zu erwarten, stünde sie doch zu stark unter der dunklen Wolke des Faschismus. Da trifft es sich gut, dass Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Olaf Scholz vom Erbe Ludwig Erhards abgerückt sind.
Gegen die Vergemeinschaftung künftiger Staatsschulden im EU-Aufbauplan und die gemeinsame monetäre Finanzierung von Altschulden durch die Europäische Zentralbank haben sie nichts einzuwenden. In der Quadrille steht man ja auch mal nebeneinander.
Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute und Professor an der Universität Witten/Herdecke
„Alles auf Aktien“ ist der tägliche Börsen-Shot aus der WELT-Wirtschaftsredaktion. Jeden Morgen ab 7 Uhr mit den Finanzjournalisten Moritz Seyffarth und Holger Zschäpitz. Für Börsenkenner und -einsteiger. Abonnieren Sie den Podcast bei Spotify, Apple Podcast, Amazon Music und Deezer. Oder direkt per RSS-Feed.