„Wieso erfahre ich erst jetzt davon?!“ Caradus explodierte förmlich vor Zorn und das ließ er den Boten, der die Nachricht übermittelt hatte, spüren. Er kanalisierte seinen Zorn und ließ ihn in Form von blauen Flammen aus seinem Zepter schießen, welche den Boten bei lebendigen Leib in einen Haufen Asche verwandelten, bevor dieser einen Laut des Schmerzes hervorbringen konnte.
Caradus schnaufte und ließ sich auf seinen Thron senken. Eine verdammte Prophezeiung, und ich erfahre erst jetzt davon? Diese verdammten Druiden.
Ungeduldig tippte der Dunkelelf mit den Fingerspitzen auf seine Lehne. Dabei schaute er mit zusammengekniffenen Augen auf die Asche des Boten.
Er wusste, dass der sich beeilt hatte. Die Reise zu den vier Weisen war weder einfach noch kurz, doch es war gerade niemand anderes da, an dem er seinen Zorn hätte auslassen können.
Dabei war sein Plan so gut vorangeschritten! Er stand mit einem genervten Grunzen auf und trat an das große Fenster. Sein Thronsaal befand ich am höchsten Punkt des Turmes. So konnte er, wann immer er wollte, auf seine Armeen und die Vorbereitungen auf die Invasion hinabschauen.
Meine Armee ist beinahe bereit, die Invasion kann fast beginnen. Und jetzt eine Prophezeiung.
Fieberhaft überlegte er, was er tun konnte. Er musste diese Vorhersagung aufhalten, sonst würde sein ganzer Plan scheitern.
Was hatte der Bote gesagt? Ein junger Prinz würde das Ende meiner Regentschaft einläuten, bevor sie überhaupt beginnen würde. Er stockte kurz in seiner Überlegung. Dann bleibt mir nur eine Wahl!
Er wirbelte herum und stieß das Ende seines Zepters auf den harten, schwarzen Obsidianboden. Ein Rumpeln erklang im großen Saal, während sich eine Öffnung inmitten des Raumes auftat und eine Schale mit einem Durchmesser von ungefähr dreizehn Fuß aufstieg.
Caradus trat an die Schale heran und betrachtete sein scharfes, langes Gesicht, welches ich im flüssigen Quecksilber spiegelte. Er hob eine Hand über das Becken und murmelte eine Formel in einer alten, elfischen Sprache. Das Quecksilber geriet in Bewegung und begann, leichte Wellen zu schlagen.
Zeig mir meinen Feind, dachte er angestrengt, während er die Formel immer und immer wieder rezitierte, bis sich das Gesicht eines Menschenjungen in der Schale zeigte.
Ein Laut des Triumphs entfuhr dem Dunkelelfen. „Dieser da soll mein Untergang sein?“, lachte er spöttisch, während er das Gesicht des Knaben betrachtete. „Dieser lächerliche Wicht weiß doch nicht nicht einmal, was ein Herrscher überhaupt ist!“
Mit einer Handbewegung und etwas magischer Kraft befahl er dem Quecksilber, sich zu erheben. Die silbrige Flüssigkeit blubberte und erhob sich in der Mitte der Schale, veränderte seine Farbe und zeigte dem Dunkelelfen ein lebensechtes Abbild des Jungen.
„Schau an, schau an“, flüsterte er, während er sich das Abbild anschaute. Doch nicht das Aussehen des Jungen interessierte ihn, sondern das, was in dem Menschen schlummerte. Denn dort, wo das Herz des Knaben schlug, schimmerte tatsächlich Magie.
Caradus sah eine strahlend weiße Kugel dort schweben. Noch ist die Magie des Jungen versiegelt. Dann bleibt mir noch eine Chance, die Vorhersagung abzuwenden.
Eilig wandte er sich von der Schale ab und ging zu einem Schrank, der voller Gläser stand, in denen die verschiedensten Flüssigkeiten und Zutaten für seine Alchemie lagerten.
Wo bist du? Komm, zeig dich. Er suchte jede Schrankzeile ab, bis er das gesuchte Objekt gefunden hatte.
Der Dunkelelf nahm das Glas heraus, sammelte etwas Magie und ließ den Inhalt in einer kleinen, magischen Blase aus dem Behältnis schweben.
Seine Augen fixierten den Wurm, der sich in der Blase wandte und versuchte, aus ihr auszubrechen.
Das ist der Moment, auf den du gewartet hast, kleiner Freund.
Vorsichtig trat er wieder an das Becken, in dessen Mitte noch immer das Abbild des jungen Knaben schwebte.
Mit diesem Wurm bin ich in der Lage, die Magie des Menschen zu vernichten, bevor sie erwachen kann.
Caradus atmete tief ein und ließ die Blase mit dem Wurm zum Abbild des Jungen schweben.
In dem Moment, als die Blase das Quecksilber berührte, ertönte ein lauter Knall. Magie wurde freigesetzt und fegte durch den gesamten Thronsaal, ließ Vitrinen und Glasscheiben zersplittern und verstreute überall Pergament und andere lose Gegenstände. Caradus wäre beinahe durch den Raum geschleudert worden, hätte er nicht reflexartig einen Schutzzauber gewoben, der ihn vor der fremden Magie schützte.
„Nein!“ Caradus schrie einen gesamten Zorn hinaus, der noch in den Fernen Bergen als wütendes Donnergrollen wahrgenommen wurde. „Wie ist das möglich? Wie kann das sein?“
Immer wieder ließ der Dunkelelf sein blaues Feuer auf das Quecksilberabbild des Jungen los, doch eine andere Magie schien den Menschen zu schützen.
„Die Druiden!“, entfuhr es dem Dunkelelfen mit einem Stöhnen. „Sie haben ihn bereits gefunden!“
Caradus Zorn verflog sofort. Er wusste, dass es nichts bringen würde, weiter Magie auf den Menschen loszulassen. Die Druiden mussten vor ihm von der Prophezeiung erfahren haben und hatten den Jungen bereits ausfindig gemacht. Nun schützten sie ihn.
Und ich habe mich mit meinem Angriff vielleicht auch noch verraten.
Die Druiden mussten gespürt haben, dass Caradus versucht hatte, ihren Schutzschild zu durchbrechen. Also war ihnen nun bekannt, dass auch der Dunkelelf von der Vorhersagung wusste.
Während er über das Becken gebeugt in seinem Thronsaal stand, voller Wut im Bauch, kamen die Mynoks aus ihren Löchern gekrochen und begannen damit, das Chaos aufzuräumen, welches die magische Explosion hinterlassen hatte.
„Seid froh, dass ich euch so ein einfaches Leben geschenkt habe“, knurrte er bitter, während er eines der Wesen, die einem Fleischsack mit vier Armen und Beinen ähnelten, vom Boden aufhob. „Nur für eine Aufgabe entworfen und treu bis zum Ende, nicht wahr?“
Er grinste und warf das Wesen gegen das Abbild des Knaben.
Mit einem erschrockenen Quietschen tauchte der Mynock in das flüssige Quecksilber ein, nur um am anderen Ende als eine Art groteske Quecksilberstatue wieder auszutreten und mit einem Poltern über den Boden zu rutschen.
Die restlichen Mynoks beachteten ihn gar nicht. Sie kannten keine Freunde, keine Familie. Sie existierten, um dem Meister zu dienen.
Doch genau das brachte Caradus auf eine Idee.
„Eradin!“, rief er so laut er konnte, und seine Stimme hallte durch den gesamten Turm.
Beinahe sofort öffnete sich die Tür zum Thronsaal. Ein junger Mann betrat den Raum lautlos wie ein Schatten. Er trug eine schwarze Tunika, eine ebenso schwarze Hose und seine Füße steckten in schwarzen Stiefeln. Seine langen, schwarzen Haare fielen ihm ins Gesicht, doch er konnte hervorragend sehen. Caradus hatte mit ein paar Veränderungen dafür gesorgt.
„Ihr habt gerufen, Meister?“, säuselte der Mann und fiel vor Caradus auf die Knie.
Der Dunkelelf lächelte. Er hatte nie was mit Menschen anfangen können, doch dieser hatte ihm und seinen Bedürfnissen zugesagt. Und mit den magischen Veränderungen entpuppte Eradin sich als der perfekte Diener.
„Ja, das habe ich“, sagte Caradus und streichelte dem jungen Mann mit seinen langen Fingern über eine Wange. „Ich habe einen Auftrag für dich.“
Die Augen des Menschen blitzten für einen kurzen Moment auf. Eradin steckte wie immer voller Tatendrang. „Wie kann ich Euch dienen?“
„Erhebe dich“, befahl Caradus und trat einen Schritt zurück, während der junge Mann sich vor seinem Meister erhob. Dann legte er ihm eine Hand auf den Rücken und führte ihn an das Becken mit dem Quecksilber. „Dieser Knabe versucht mich und meine Pläne zu sabotieren. Ich will, dass du sein Leben beendest.“
„Wie Ihr wünscht, Meister“.
„Aber pass auf, er wird von Druiden beschützt. Sei schnell, aber unauffällig. Tarne dich, freunde dich mit dem Burschen an. Und schlage zu, wenn die Zeit reif ist. Hüte dich vor den Druiden.“
„Und wenn ich einem Druiden begegne?“
„Töte ihn, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Ansonsten halte dich fern von ihnen.“ Caradus trat einen Schritt zurück. „Zeig mir, wie du aussiehst.“
Eradin begutachtete den Jungen, seine wachsamen Augen studierten jedes Merkmal. Dann begann er sich zu verwandeln.
Einen kurzen Moment später schaute der Dunkelelf auf einen Menschenjungen, der ungefähr im selben Alter war wie der Prinz. Das dunkelbraune Haar stand im scharfen Kontrast zu den meeresblauen, unschuldig dreinschauenden Augen und den schmalen Lippen, die ein ebenso unschuldiges Lächeln zeigten.
„Dein Name?“ fragte Caradus mit erhobener Stimme.
„Astrael“, antwortet der Junge mit einer glockenklaren Stimme.
„Du weißt, was du zu tun hast, Astrael.“ Caradus führte eine Geste mit seiner Hand aus, welche ein Zepter aufblitzen ließ. Ein Wirbel aus schwarzer Magie entstand um den Jungen und schien ihn zu verschlucken. Kurz darauf waren der Junge sowie der Wirbel verschwunden.
Caradus setzte sich auf seinen Thron. Seine Wut war verflogen und durch eine angenehme Zuversicht ersetzt worden.
Und nun wird es Zeit, die letzten Schritte meiner Machtübernahme einzuleiten.
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