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Drei Tage auf dem Comicfestival München 2019

In alter Comicgate-Tradition möchte ich hier einige subjektive Eindrücke des Comicfestivals 2019 schildern. Natürlich ist mir klar, dass ich viele Highlights und Panels nicht erlebt habe, denn weder habe ich den Zeichenkurs bei Katja Klengel mitgemacht noch eine Führung durch die Ausstellung zu „80 Jahre Batman“ mit Eduardo Risso. Auch Gudrun Penndorf habe ich nicht erlebt, nicht mal Giorgio Cavazzano bei seinem Künstlergespräch, obwohl er schon lange zu meinen liebsten Disney-Künstlern zählt. Der Andrang am Signierstand war bei ihm übrigens sehr groß. Ganz anders als vor einigen Jahren, als Cavazzano für Panini seinen Spiderman signierte, wo ihm keineswegs der Stand eingerannt wurde, kauften alle wie wild die luxuriöse Prachtausgabe seines Micky Maltese. Sicherlich eine seiner besten Disney-Adaptionen und sehr respektvoll gegenüber dem Originalmaterial, aber das Überformat ist schon Wahnsinn für einen Comic, der für das Taschenbuchformat konzipiert wurde.

Original-Artwork von Jock

Art by Dick Giordano

Art by Dave McKean

Ich selbst war nur von Mittwoch bis Freitag auf dem Festival, weshalb ich leider schon zur ICOM-Preisverleihung nicht mehr anwesend sein konnte, dennoch habe ich sehr viele Eindrücke und Erlebnisse während meiner Visite eingesammelt. Schon vor Bezug meiner Schlafgelegenheit am Mittwoch ging ich durch die Batman-Ausstellung im Amerikahaus. Eine sehr schöne Zusammenstellung von Originalzeichnungen vom Golden Age bis heute, thematisch gegliedert nach Aspekten wie Freunden und Feinden von Batman, dem Arkham Asylum und auch den Crossovers mit Fremdverlagen. Beeindruckend vor allem die großformatige Originalseite aus Dave McKeans Arkham Asylum sowie einige Original-Titelbilder der 1970er Jahre, aber auch die Gegenüberstellungen von gezeichneter Vorlage und gedrucktem Endergebnis waren schön arrangiert.

Danach habe ich mich zunächst abseits des Festivals in das System der München Citybikes hineingefummelt – und ich kann es nur empfehlen, sich das weitläufige Festival mit dem Fahrrad zu erfahren. Mittwochabends war ich dann im Jüdischen Museum bei der Performance zu Dave McKeans Black Dog: The Dreams of Paul Nash. Obwohl es zu Black Dog auch ein Buch gibt, erscheint mir die Multimedia-Performance die ideale Darbietung davon zu sein. Gemeinsam mit den Begleitmusikern Clare Haythornthwaite (McKeans Ehefrau, Geige) und Matthew Sharp (Cello und Gesang) spielte McKean zu den einzelnen Kapiteln eigene Kompositionen am Keyboard, die vom Stil her an Arrangements von Robert Wilson oder Tom Waits erinnern lassen und mir sehr gut gefielen. Es war eine seltene Gelegenheit, das Stück in dieser Form zu erleben und es gibt derzeit keine offiziellen Mitschnitte oder Aufnahmen davon. Es ist eben Kunst für den Augenblick, gemacht für denjenigen, der sich aufrafft und hingeht. Gerade deswegen wäre allerdings ein Felsenkeller oder ein altes Kino der bessere Vorführungsort gewesen. Es gelang mir zwar, die Umgebung auszublenden und mich darauf einzulassen, dennoch möchte ich anmerken, dass man gerade solche raren Perlen auf die richtige Weise inszenieren sollte. Die bestuhlte Präsentation in einem Teil des Foyers des jüdischen Museums fand ich etwas steril und akademisch. Dennoch ein gelungener, gut ausgesuchter Programmpunkt des Festivals.

Dave McKean mt kleiner Band im Jüdischen Museum München

Art by Katja Klengel

Donnerstag früh hatte ich dann – noch vor der offiziellen Eröffnung – die Gelegenheit, ein wenig mit Jimmy Liao zu plaudern. Danach bin ich durch die Ausstellungen gewandert, die in der Kongresshalle zu sehen waren. Hier dominierten die Asiaten mit Chen Uen, Jimmy Liao, 61chi und Sean Chuang, außerdem hatten Ana Miralles, Katja Klengel und Olivia Vieweg ebenfalls kleine Werkschauen; der größte Raum stand dem umfangreichen Werk von Matthias Schultheiss zur Verfügung. Dieses hat man in mehrere Themengebiete unterteilt: Humor, Gewalt, Zärtlichkeit, Mystik, Sex und Atmosphäre. Weitere Ausstellungen waren dem Petzi-Zeichner Thierry Capezzone gewidmet, dem Parodien-Zeichner Kiko da Silva sowie den Künstlern der Austrian Superheroes.

Olivia-Vieweg-Ausstellung

Ein unbekanntes Panel aus einem Manga-Projekt von Matthias Schultheiss

Ulrich Schröder beim Skizzieren

Und dann öffneten sich die Hallen und die Besucher kamen. Den Wahnsinn mit dem Anstellen bei Künstlern habe ich weitestgehend vermieden, einzig Cavazzano hätte mich gereizt, doch da hier kein einfaches Durchkommen zu erwarten war, habe ich stattdessen ein kleines Mitbringsel in Form eines Gundel-Gaukeley-Sketches bei Ulrich Schröder ergattert. Sehr schön. An der Trachtman-Exklusivbox mit Don-Rosa-Design bin ich ebenfalls nicht vorbeigekommen, dafür ist die Kombi einfach zu geil: Ein beigelegter Munuera-Druck, ein Don-Rosa-Druck, ein Chris-Kloiber-Bierdeckel, das Sonderheft mit Don-Rosa-Cover und eine wunderschön designte Blechbox, in die ich auch noch meine anderen Trachtman-Hefte stecken kann. Chris Kloibers Gaudi-Superheld wird ja auch mit jeder Ausgabe besser und besser. Gerade die letzte Nummer, in der Kloiber auch noch gleich ein Schafkopf-Tutorial auf sagenhaft lustige Weise einflicht, ist wirklich noch mal eine Steigerung zu den vorhergegangenen Heften. Kloiber nimmt das Regionale durchaus ernst. Für mich der derzeit lustigste deutsche Superheld, inzwischen sogar vor Jörg Buttgereits Captain Berlin.

Von links nach rechts: Paul Gravett (britischer Comic-Experte), Peter Wiedehage (Dolmetscher), Aho Huang (taiwanesischer Comic-Experte), Sean Chuang und 61chi (beide Künstler aus Taiwan)

Was Panels und Diskussionsrunden angeht, habe ich mich angesichts der kurzen Zeit, die mir nur zur Verfügung stand, komplett in das Thema „Comics aus Taiwan“ gestürzt. In Taiwan, so konnte ich erfahren, waren japanische Manga der ursprüngliche Bezugspunkt, doch haben sich die Vorlieben in den letzten Jahren eher auf Internet-Comics verlagert sowie im haptischen Bereich auf die drei Gebiete Fanzines, Graphic Novels und Zines, wobei man unter Zines vor allem die kleinen, selbstverlegten Comics versteht. Der Begriff „Graphic Novels“ ließ mich aufhorchen, denn gerade hierzulande haben wir ja mehr oder weniger die Sprachordnung etabliert, dass Graphic Novels nur ein Kunstbegriff sei, verwendet von Leuten, die eine anerzogene Distanz zu Comics haben. Aber Graphic Novel ist eben doch auch noch etwas anderes. Das Problem ist nach wie vor, dass jeder seine persönliche Vorstellung davon hat, was Comics bzw. Graphic Novels sind. Man kann sich nun natürlich auch in Zukunft Gedanken über die Definitionen machen, man kann aber auch stattdessen mehr Comics (und Graphic Novels) lesen. Ob in Taiwan ebenfalls so viel darüber diskutiert wird?

Artwork von 61chi

Artwork von Sean Chuang

Den Rest des Tages habe ich damit verbracht, mit wechselnder Besetzung den Biergarten am Kongresszentrum aufzusuchen, für mich immer auch einer der schönsten Plätze des Comicfestivals. Aber tags darauf stand schon das nächste Interview an. Bereits um 9 Uhr in der Früh hatte ich am Hotel der Taiwan-Delegation zu sein, um 61chi treffen zu können. 61chi wird übrigens Loi-Chi gesprochen, denn ihr Name und das Zahlwort für 61 sind homophon, also gleichklingend, ein sprachliches Phänomen, das im Chinesischen häufig anzutreffen ist.

Christian Muschweck, Dolmetscher Peter Wiedehage und Künstlerin 61chi im Gespräch

Apropos Name und Zahlwörter. Dieses Jahr bot sich mir endlich die Gelegenheit, Lisa Neun kennenzulernen, die derzeit auf Promo-Tour für ihr Erlangener Comicmuseum ist. Die erste Ausstellung soll rein virtuell im Internet stattfinden, entsprechend hat man mit digitalen Comics das geeignete Thema gewählt. Aber natürlich ist man auch auf der Suche nach tatsächlichen Räumen und dabei guter Dinge, dass sich in nächster Zeit etwas bewegen könnte. Zum Comicsalon nächstes Jahr wissen wir sicher mehr.

Die Kunst von Ana Miralles

Wie eingangs erwähnt, musste ich Freitags bereits am frühen Nachmittag wieder nach Hause, bevor die ICOM-Preisverleihung stattfand. Obwohl ich nicht persönlich anwesend sein konnte, sollen hier doch die Preisträger und Preisträgerinnen kurz genannt werden:

Bester Independent Comic: „Don’t touch it!“ von Timo Grubing (Zwerchfell) [Comicgate-Rezension]

Charly-Eiselt-Preis für die beste Publikation eines Newcomers: „Kramer“ von Natalie Ostermaier (Zwerchfell) [Comicgate-Rezension]

Bester Kurzcomic: „Willy the Kid – Alles im grünen Bereich“ von Raul und Rautie
(Edition Panel)

Herausragendes Szenario: „Sonntage“ von Franz Suess (Kabinett)

Herausragendes Artwork: „Das verfluchte Elixier“ von Veronika Gruhl (Zwerchfell)

Sonderpreis der Jury für eine bemerkenswerte Comicpublikation: „Di Abenteuer fom Hartmut“ von Haggi (Gringo Comics)

Sonderpreis der Jury für eine besondere Leistung oder Publikation: Die Webseite www.ddr-comics.de von Guido Weißhahn

Lobende Erwähnungen

„Leporello Bibliographie Nr. 1: Günter Hain“ von Michael Hebestreit (Hrsg.), Selbstverlag

„Panel – tenaxious comix“ von Christian „Max“ Vähling u.a. (Edition Panel)

„Der Brunnen“ von Sandra Untenberger (Eigenverlag)

„Kauboi und Kaktus – Hell is‘ im Wunderland“ von Christian Schmiedbauer, www.kauboiundkaktus.de

Die Jury bestand aus Andreas Alt (Augsburg), Sandra Nußer (Friedrichshafen), Adroth Rian (Waiblingen), Dirk Seliger (Föritz).

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