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Studie belegt Kaufkraftverluste in der Grundsicherung

Eine neue Studie beziffert erhebliche Kaufkraftverluste für Grundsicherungsbeziehende durch die Inflation. Dr. Irene Becker hat im Auftrag des DGB analysiert, ob und in welcher Höhe Leistungsberechtigte durch unzureichende Anpassungen der Regelbedarfe seit 2018 reale Einbußen hinnehmen mussten. Insbesondere in den Jahren 2021 und 2022 hinken die Anpassungen der für Grundsicherungsbeziehende relevanten Preisentwicklung hinterher. Die Kaufkraftverluste werden auch durch die Entlastungspakete nicht kompensiert.

Irene Becker untersucht in ihrer Expertise die Auswirkungen der Inflation auf Grundsicherungsbeziehende. Die Ergebnisse betreffen Leistungsberechtigte nach dem SGB II (Hartz IV), aber auch Menschen, die von der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Sozialhilfe oder auch dem Asylbewerberleistungsgesetz leben müssen. Für all diese Gruppen belegt Irene Becker, dass sie insbesondere in den beiden Jahren 2021 und 2022 einen erheblichen Kaufkraftverlust verkraften mussten.

Methodisch untersucht Irene Becker, inwieweit die tatsächlichen Leistungen in den vergangenen Jahren ausgereicht haben, um die aktuellen Preissteigerungen bei den regelbedarfsrelevanten Gütern und Diensten zu kompensieren. Dies betrifft insbesondere die massive Erhöhungen der Lebensmittelpreise und der Stromkosten. Das zentrale Problem der Regelbedarfsanpassungen: der gesetzlich bislang geregelte Mechanismus bezieht sich auf Veränderungen in der Vergangenheit und ist nicht in der Lage zeitnah auf die dynamischen Veränderungen der Preise zu reagieren. Dies hat der Paritätische in der Vergangenheit auch kritisiert. Eine rechtliche Bewertung durch Prof. Anne Lenze im Auftrag des Paritätischen kam schon vor über einem Jahr zu dem Ergebnis, dass die Anpassung zum 1. Januar 2022 mit unter einem Prozent deutlich unterhalb der aktuellen Preisentwicklung liegt. Damit drohe eine verfassungswidrige Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums.

Irene Becker liefert nunmehr zu dieser Einschätzung die empirischen Belege. Sie fasst die Befunde wie folgt zusammen: "Für 2021 resultieren noch moderate inflationsbedingte Defizite bei Grundsicherungsbeziehenden - von beispielsweise knapp 170 Euro bei Alleinlebenden, gut 580 Euro bei Paaren mit zwei Kindern im Alter von 14 bis unter 18 Jahren. In 2022 summieren sich die inflationsbedingten Verluste (...) aber auf fast das Dreifache (...) Bei Alleinlebenden sind es etwa -470 Euro, bei der beispielhaften Paarfamilie mit zwei Kindern ungefähr -1.600 Euro. Bei aufstockenden Grundsicherungsbeziehenden mit Anspruch auf die EEP ("Energiepreispauschale" - die EEP in Höhe von einmalig 300 Euro haben Erwerbstätige und Rentner*innen erhalten, nicht aber Grundsicherungsbeziehende, die weder Erwerbseinkommen hatten noch Rentenleistungen bezogen, Anm. A.A.) fallen die Minusbeträge zwar mäßiger aus, sie sind aber dennoch beträchtlich und signalisieren eine erhebliche Unterschreitung des soziokulturellen Existenzminiums. Die verfassungsrechtliche Vorgabe, dass das soziokulturelle Existenzminimum auch im Falle von plötzlichen Preissteigerungen immer gedeckt werden muss, wurde mit den Einmalzahlungen nicht erreicht." (S. 31). 

Was folgt aus der Analyse für die Einschätzung der Bürgergeldreform? Zunächst einmal werden die benannten Defizite durch die Reform nicht nachträglich kompensiert. Dies sei aber nach Irene Becker durchaus sachgerecht, um zumindest den realen Verlust zu vermeiden bzw nachträglich zu kompensieren. Die Anpassung um 11,75 Prozent sieht sie in ihrer Analyse noch als hinreichend, da die regelbedarfsrelevanten Preise im September 2022 10,6 Prozent über dem Vorjahresniveau lägen. Zwischenzeitlich sind aber die regelbedarfsspezifischen Preise weiter angestiegen und liegen nunmehr sogar schon oberhalb der Anpassung zum 1.1.2023. Das konnte die Autorin aber zum Zeitpunkt der Abgabe der Expertise noch nicht wissen. Schließlich kritisiert Irene Becker auch den im Bürgergeldgesetz neu geregelten Anpassungsmechanismus: dieser sei keineswegs zeitnäher und systematisch nicht gut begründet. Das modifizierte Verfahren biete daher keine geeignete Grundlage, um in Zukunft eine zeitnahe Anpassung an eine dynamische Preisentwicklung zu garantieren (S. 28).

Die Süddeutsche Zeitung berichtete über die Ergebnisse des Gutachtens in der Ausgabe vom 4. Januar. Das Gutachten findet sich zum download auf der Homepage des DGB : https://www.dgb.de/downloadcenter/++co++a1385226-8c0f-11ed-8704-001a4a160123