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Schweizer Buchpreis Dass alles schön ist, liegt manchmal nur am Bier

Julia Webers Debüt – nominiert für den Schweizer Buchpreis – überzeugt mit einer zarten, verspielten Sprache.

«Ganz wunderbar», sagt Mutter. Der kleine Bruno: «Immer ist alles schön. Wegen dem Bier». Seine Schwester Anais: «Es ist wirklich schön».

Drei Sätze in Webers Debüt zeigen, wie ihre Figuren funktionieren. Mutter betäubt ihren Schmerz mit Alkohol. Bruno durchschaut alles und Anais vermittelt. Die Kinder wünschen sich einen Urlaub mit der Mutter. Bruno möchte einen Urlaub ohne Alkohol. Gut, sagt die Mutter, dann machen wir Urlaub.

Fahrt in den Urlaub

Buchhinweis

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Legende: SRF

Julia Weber: «Immer ist alles schön». Limmat, 2017.

Anais erzählt: «Und berühre ich auf dem Weg zur Busstation die Büsche, zwitschern sie. Und bewege ich die Arme, berühren sie Luft. Und strecke ich die Zunge aus dem Mund, bleibt sie warm. Mutter raucht vor einem Plakat und schliesst dabei die Augen. Im Bus kommt der Uringeruch aus dem dreidimensionalen Muster der Sitze. Wir fahren in Urlaub bis zur Endstation.»

Kinder kümmern sich um die Mutter – nicht umgekehrt

Julia Weber lässt Anais aus ihrem Leben berichten. Man erfährt, dass die Kinder nachts alleine sind. Die Mutter tanzt in einem Nachtclub. Sie ist schön und kommt gut an bei den Männern, bringt manchmal einen mit nach Hause.

Julia Weber auf ansichten.ch

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Ein Porträt der Schriftstellerin gibt es auf ansichten.ch, dem Literaturportal von SRF.

Aber Anais hätte lieber «eine Mutter mit mattem Haar, zerknitterter Schürze, sanften, müden Augen». Die 12-Jährige schaut zum kleinen Bruder und macht Spiegeleier. Und wenn der Mann vom Sozialamt kommt, um zu schauen, warum die Kinder in der Schule fehlen, deckt sie ihre Mama.

Man lernt auch ihren Bruder Bruno kennen. Er ist ein kleiner Professor, sehr belesen, weiss viel für sein Alter. Bruno begreift, was passiert. Und sagt, was er denkt. Er regt sich auf, wenn Mutter im berauschten Zustand übertreibt und immer alles schön findet. Und dann so spricht «als hätte sie Steine im Mund».

Verletzlich und doch so stark

Die Geschichte geht ans Herz. Es ist erschütternd, wenn die Mutter sagt: «Ich kann nicht mehr» und Anais erwidert: «Ich kann noch viel mehr nicht mehr». Aber das vernachlässigte Mädchen ist stark. Zusammen mit ihrem Bruder kämpft es gegen das Elend. Und beamt sich einfach weg vom traurigen Alltag.

«Ich schaue beim Gehen abwechselnd über den See, auf seine silbernen Wellen, dann an mir herunter auf den zitronengelben Stoff an meinem Bauch. Und es schmatzt das Wasser unterhalb meines Bauches, unter dem Steg».

Diese Kraft und die Gabe, zu staunen und die kleinen, schönen Dinge des Lebens einzufangen, hilft Anais. Und es hilft auch dem Leser und der Leserin. Macht, dass aus diesem traurigen Roman auch ein schönes, tröstliches Buch wird. Eines mit viel Poesie.

Es ist die Sprache

Julia Weber, Absolventin des Schweizerischen Literatur-Instituts, sagt: «Ganz am Anfang war die Sprache, noch keine Figur, noch keine Geschichte, nur dieser kindliche Blick auf die Welt.» Genau dieser kindliche Blick ist es, der einen bei diesem Roman so bezaubert. Und dann die Sprache. Sie ist knapp und präzis, wunderbar zart, manchmal frech und verspielt.

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