Unregierbar – das Wort benutzen deutsche Journalisten eigentlich nur, wenn sie Staaten wie Afghanistan, Jemen oder Somalia beschreiben. Nun taucht die Vokabel aber auch hin und wieder auf, wenn es um die politische Zukunft eines beschaulichen kleinen Bundeslandes geht: Thüringen. Dort werden in einer Woche 1,7 Millionen Wahlberechtigte darüber entscheiden können, ob die rot-rot-grüne Koalition unter Bodo Ramelow weiterregieren kann. Oder ob die AfD so stark wird, dass sie nur noch ein höchst fragiles und zumindest theoretisch denkbares dunkelrot-schwarzes Bündnis von der Macht fernhalten kann. Das käme dann schon der Unregierbarkeit nahe.
Die Hoffnung der etablierten Parteien, dass der rechtsextremistische Anschlag auf die Synagoge von Halle die AfD schwächen könne, spiegelte sich nur kurz in den Umfragen. Immerhin tritt als Spitzenkandidat der AfD Björn Höcke an, der prominenteste Vertreter des völkisch-nationalen „Flügels“. Doch irgendwie will es nicht so recht gelingen, den Thüringer Wählern quasi eine geistige Mittäterschaft der AfD bei der Neonazi-Attacke zu vermitteln. Die Demoskopen von infratest dimap sehen sie aktuell gleichauf mit der CDU bei 24 Prozent. Im Vergleich zum Wahlergebnis 2014 wäre das für die AfD mehr als eine Verdoppelung.
Ramelow sieht mögliche Minderheitsregierung unproblematisch
Ramelows Linke liegt stabil bei 29 Prozent. Doch sein bisheriges Bündnis könnte er trotzdem nur als Minderheitsregierung fortsetzen. Kein Problem, findet er: In Skandinavien gäbe es das häufiger, und in Ostdeutschland gab es das ja auch schon, in Sachsen-Anhalt. Das „Magdeburger Modell“ unter dem Sozialdemokraten Reinhard Höppner hielt immerhin acht Jahre lang.
Doch in Erfurt liegen die Dinge 2019 komplett anders als in Magdeburg 1994. Ramelows Koalition aus starken Linken, schwachen Grünen und nur noch gleichgroßer SPD müsste sich zumindest von den Christdemokraten tolerieren lassen. Das ist kaum vorstellbar. Es weckt eher bei manchen Träume von Deutschlands erster Rechtskoalition. Diese jedoch schließt CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring entschieden aus. Mit gutem Grund, denn er fährt vermutlich das schlechteste Ergebnis in der Geschichte seiner Landespartei ein. Womöglich liegt er sogar noch knapp hinter Höcke. Die CDU als dessen Steigbügelhalter? Das ist erst recht unvorstellbar.
Selbst wenn der noch recht junge, ehrgeizige und zähe Mohring – er hat gerade eine Krebserkrankung durchgestanden – in der kommenden Woche eine beispiellose Aufholjagd hinlegt, ist eine rettende „Kenia-Koalition“ wie in Brandenburg und Sachsen relativ unwahrscheinlich. Aktuell steht mehr als die Hälfte der Wähler am rechten oder linken Rand. Das ist erschreckend und macht aus dem beschaulichen Ländchen im Herzen Deutschlands ein politisches Notstandsgebiet.