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Im Retro-Geist der 80er Jahre: Eine Seite aus „Wo ist Kiki?“.

© Salleck

Harry und Platte ermitteln wieder: Fulminante Rückkehr der Comic-Detektive

„Harry und Platte“ ist ein Klassiker des europäischen Comics. Zeichner Blutch erweist der humorvollen Detektivserie mit dem Album „Wo ist Kiki?“ seine Ehre.

Es beginnt im Dunkel der Nacht. Ein wohlhabender Pariser Kunsthändler wird in seiner Villa überfallen. Nachdem die Polizei die Ermittlungen aufgenommen hat, werden jedoch nicht die Einbrecher festgenommen, sondern der Händler selbst landet im Kittchen, da in seinem Tresor ein Sammelsurium gestohlener Kunstwerke entdeckt wurde.

In der Exposition von „Wo ist Kiki?“ wird der Leser zum Komplizen der beiden Einbrecher, die sich ihm dann auf Seite 3 zu erkennen geben: es handelt sich um niemanden geringer als die beiden Amateurdetektive „Harry und Platte“, die Helden einer bekannten belgischen Comicserie, die hier klammheimlich die Seiten gewechselt haben, um den Missetäter zu überführen - und zugleich Recherche für ihren neuen Roman „L´antiquaire sauvage“ („Der wilde Antiquar“) zu betreiben.

Eine weitere Szene aus „Wo ist Kiki?“.
Eine weitere Szene aus „Wo ist Kiki?“.

© Salleck

„Wo ist Kiki?“ ist eine augenzwinkernde Hommage an die Serie „Tif et Tondu“, die 1938 in der ersten Ausgabe des Spirou-Magazins des belgischen Dupuis Verlags startete, also zeitgleich mit dem heute wieder sehr populären Titelhelden Spirou. War zunächst Tif (Platte) noch alleine, tauchte bereits nach wenigen Folgen sein künftiger Abenteuergefährte Tondu auf, um nicht mehr von seiner Seite zu weichen.

Ihr Schöpfer, der Belgier Fernand Dineur (1904-1956) erdachte und zeichnete zunächst die heute recht naiv erscheinenden frühen Abenteuer der beiden Helden in einem noch ungelenken karikierenden Stil. Als der Zeichner Will (Willy Maltaite, 1927-2000) die Reihe 1948 übernahm - während Dineur weiterhin die Stories schrieb-, gewann sie an zeichnerischer Finesse.

Von „Gin und Fizz“ zu „Harry und Platte“

Und als der Szenarist Rosy (Maurice Rosy, 1927-2013) ab 1955 das Geschichtenschreiben übernahm, erlebte „Tif et Tondu“ ihre klassische Ära, wurde zu einer beliebten, humorvoll erzählten Detektiv- und Abenteuerserie mit gelegentlich phantastischen Elementen.

So erfand Rosy den „Schock“, einen Smoking-tragenden Bösewicht mit einer an einen Ritterhelm erinnernden Maske, der zum wichtigsten wiederkehrenden Gegenspieler des Duos wurde. Ab Ende der 60er Jahre schrieb der bekannte Zeichner und Szenarist Maurice Tillieux („Jeff Jordan“, 1921-1978) die Geschichten, bis Stephen Desberg übernahm.

Klassiker: Eine Seite aus den 60er Jahren aus der Harry-und-Platte-Gesamtausgabe.
Klassiker: Eine Seite aus den 60er Jahren aus der Harry-und-Platte-Gesamtausgabe.

© Salleck

In Deutschland firmierte der Comic ab den 60er Jahren zunächst in Veröffentlichungen des Kauka-Verlags unter dem Titel „Gin und Fizz“, bis Carlsen die Serie 1988 in „Harry und Platte“ umtaufte. Die Namen entsprechen - mit etwas gutem Willen - dem Äußeren der beiden: dem bärtigen, dunkel-haarigen „Harry“ und dem kahlköpfigen „Platte“.

Charakterlich ist Harry ein eher ernsthafter Typ, der manchmal zum Jähzorn tendiert, während Platte tollpatschiger und im Dialog flapsiger ist. Nachdem Will die Serie 1990 abgab, entstanden noch sechs weitere Abenteuer (Zeichnungen: Alain Sikorski, Text: Denis Lapière), bis sie 1997 eingestellt wurde. 2014 erschien ein dreibändiges Prequel um die Figur des „Schock“, bei dem Wills Sohn Eric Maltaite die Zeichenfeder führte.

Beim pfälzischen Verlag Salleck Publications werden seit einigen Jahren alle klassischen, von Will gezeichneten Harry-und-Platte-Abenteuer chronologisch in einer sorgfältigen Gesamtausgabe herausgebracht (kürzlich erschien ein vierter Band zu Wills und Rosys gemeinsamen Geschichten von 1964-65, 264 S., 39,90 €).

Das Cover des vierten Bandes der Gesamtausgabe.
Das Cover des vierten Bandes der Gesamtausgabe.

© Salleck

Eine Entführung ohne Lösegeld

Ebenfalls bei Salleck ist nun auch der Einzelband „Wo ist Kiki?“ (78 S., 19 €) erschienen, den der preisgekrönte französische Zeichner Blutch (bürgerlich Christian Hincker, Jahrgang 1967), der in den 90er Jahren zeitweise Mitglied der französischen Künstlergruppe „L´Association“ war, nach einem Szenario seines Bruders Robber gezeichnet hat.

Abgesehen von den beiden leicht korpulenten, in einer Wohngemeinschaft lebenden Titelhelden tritt hier eine weitere wiederkehrende Figur aus der Serie auf: Kiki, eine attraktive Freundin des Duos, die erstmals 1971 im Band „Der Plan der Kobra“ auftauchte.

Zurück zum Inhalt: Während der Vorstellung ihres Buches „Der wilde Antiquar“ in einer Pariser Buchhandlung erfahren Harry und Platte von der Entführung ihrer langjährigen Freundin Kiki, ohne dass ein Lösegeld gefordert wird.

Jäger der verlorenen Freundin: Das Titelbild des besprochenen Albums.
Jäger der verlorenen Freundin: Das Titelbild des besprochenen Albums.

© Salleck

Nachdem die beiden mehreren Mordanschlägen haarscharf entkommen sind, stoßen sie auf eine Spur, die etwas mit dem inhaftierten Antiquar zu tun haben könnte. Weitere Rollen spielen ein genervter Buchhändler, eine Verlegerin und die „schwierige“ Tochter des Antiquars. Nicht zu vergessen ein mysteriöses Gewand, das unsichtbar macht...

Ein leicht angeschmuddeltes Paris der 1980er Jahre

Während das Szenario von Robber weitgehend klassischen Krimimustern inclusive einer Whodunit-Dramaturgie verpflichtet ist, um gegen Ende noch mit einigen fulminanten, Slapstick-haltigen Actionszenen aufzuwarten, sind Blutchs Zeichnungen das eigentliche Highlight des Bandes.

Wie bereits aus anderen Veröffentlichungen („Blotch – Der König von Paris“ u.a.) seit den 90er Jahren bekannt, ist sein eleganter, expressiver Tuschestrich auch hier hervorzuheben, der sich nicht in der Virtuosität verliert, sondern geradezu fahrig hingeworfen zu sein scheint.

Das nutzt vor allem der starken atmosphärischen Kraft des Albums, denn Blutch beschwört ein lebendiges, leicht angeschmuddeltes Bild vom Paris der 1980er und reichert die Story mit einer Handvoll hinreißend gezeichneter Charaktere aus dem Halbweltmilieu an.

Dadurch entwickelt sich das Abenteuer hin zu einer modernen, amüsanten Hommage an eine liebenswerte Serie, die in Inhalt und Ästhetik heutigen Lesern entweder veraltet erscheint oder durch ihren Retro-Charme verzaubert.

Es macht Spaß, die in der Gesamtausgabe nun neu- bzw. wieder- zu entdeckenden klassischen Abenteuer mit der eher für ein erwachsenes Publikum konzipierten Blutch-Version zu vergleichen.

In Frankreich erschien übrigens neben einer Schwarzweißversion des Comics in mehreren Heften auch der erwähnte Roman „Der wilde Antiquar“ der beiden vermeintlichen Krimi-Autoren Harry und Platte, ebenfalls von Robber geschrieben und mit Blutchs stimmungsvollen Schwarzweiß-Illustrationen versehen.

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