Kay Bernstein möchte bei Hertha BSC den roten Faden kappen

Vom Ultra zum Klubchef: Wer ist eigentlich dieser Kay Bernstein, der Werner Gegenbauer als Hertha-Präsident ablösen will?

Kay Bernstein
Kay BernsteinJens Kuiper

Es ist ein Ankommen mit Symbolcharakter. Sobald man das Neuköllner Bürogebäude von Kay Bernsteins Firma betritt, fällt einem der groß an die Wand gemalte Berliner Bär ins Auge. Darüber in roten Buchstaben: „Berliner Original“. Wenn man dann in die zweite Etage hochläuft, wird es noch symbolträchtiger. Von links nach rechts an die Wand gesprayt: das Olympiastadion, Herthas Gründungsjahr 1892 und eine imposante blau-weiße Fahne vor der Berliner Skyline. „Hertha war lange Zeit mein einziger Lebensmittelpunkt“, wird Bernstein später sagen.

Seit 1994 ist der heute 41-Jährige mit der Hertha eng verbunden. Auf erste Spiele als Fan in Block O folgte der Einstieg in die aktive Fanszene. Bernstein war Mitgründer des Fanclubs „Harlekins“ und stand später als Vorsänger der Ultras in der Ostkurve. Mittlerweile sitzt er im Olympiastadion als VIP auf der Haupttribüne – noch zumindest.

Für Bernstein ist Gegenbauer nicht mehr der richtige Mann

Knapp sieben Wochen ist es her, dass der Investor Lars Windhorst live im Fernsehen die Abwahl von Hertha-Präsident Werner Gegenbauer gefordert hat. „Das kann doch jetzt nicht wahr sein“, habe er gedacht, erinnert sich Bernstein, mit einem Fußball auf dem Schoß in seinem Büro sitzend. Trotz allen Unverständnisses für Windhorsts Aktion ist sich Bernstein mit dem Investor in einem Punkt einig: Gegenbauer ist auch aus seiner Sicht nicht mehr der richtige Mann für das Präsidentenamt. Also kandidiert Bernstein als Kopf der Initiative „Wir Herthaner“ nun selbst für ebendieses Amt.

Genauso schnell wie der Berliner Bär im Treppenhaus fällt einem der Enthusiasmus auf, mit dem Bernstein über Hertha BSC spricht. Etwa, wenn er sich an „die kleine Weltreise“ von der elterlichen Wohnung in Marzahn ins Olympiastadion erinnert oder über seine Jugend erzählt: „Wir waren entweder in der Schule, selbst Fußball spielen oder eben bei Hertha.“ Aber auch, wenn er sagt: „Durch die letzten Hertha-Jahre zieht sich ein roter Faden unglücklicher Entscheidungen und nicht zu Ende gedachter Prozesse.“

Genau diesen roten Faden will Kay Bernstein nun kappen, seinen Teil zu einem Neuanfang bei Hertha beitragen. Auf die Frage nach dem Warum antwortet der Chef einer Agentur für Marketing, Kommunikation und Events in bester Wahlkampf-Manier: „Für mich bringt die Mitgliedschaft bei Hertha auch eine Verantwortung mit sich.“ Ein gut zurechtgelegter Satz, den man Bernstein aber dennoch abkauft. Zum einen, weil dessen Leidenschaft für die Hertha eben außer Frage steht. Zum anderen, weil das Team von „Wir Herthaner“ seine Schwerpunkte im Rennen um das Amt des Präsidenten bereits ausführlich dargelegt hat. Unter Überschriften wie „Hälfte der Trikoterlöse für Berliner Bolzplätze“, „Keine schmutzige Sportwetten-Kohle“ oder „Lars, vernünftig reden oder Ruhe!“ lassen sich die auf der Webseite nachlesen.

Vor allem würde Bernstein sich als Hertha-Präsident aber wohl der Kommunikationsprobleme des Klubs annehmen – auf den unterschiedlichsten Ebenen. Vermeintliche Fehler der aktuellen Hertha-Führungsriege will Bernstein dabei eigentlich nicht groß kommentieren. Weil er von außen eben nicht bis ins letzte Detail beurteilen könne, „warum welche Entscheidungen wie getroffen wurden.“ Aber die Kommunikation, so Bernstein mit Nachdruck, sei innerhalb des Vereins und nach außen hin „definitiv verbesserungswürdig“.

Kay Bernstein möchte zwischen Fan-Gruppen bei Hertha „wieder vereinen“

Auch abseits des öffentlichen Gegenbauer-Windhorst-Machtkampfes fällt auf: Die Kommunikation zwischen Klub und Fans ist derzeit ebenfalls schwierig. Irgendwo zwischen wenig authentischen Marketing-Kampagnen, der Bezeichnung „Big City Club“, einer lustlos spielenden Mannschaft und der Pandemie haben sich Verein und Fans entfremdet. Bernstein gibt auch Präsident Gegenbauer eine Mitschuld hieran und sagt: „Er hat so einen alten West-Berliner Charme, steht aber eben nicht für Empathie, Sozialkompetenz und Begeisterungsfähigkeit.“

Im Umkehrschluss will sich Bernstein genau diese Kompetenzen auf seinem Weg ins Präsidentenamt zunutze machen. Sein größtes Ziel: die zuletzt strapazierten Hertha-Fans neu zu begeistern und die unterschiedlichen Fan-Gruppen „wieder zu vereinen“. Der Weg zum Ziel: Mehr ehrlicher Diskurs und eine größere Transparenz von Vereinsseiten bei dessen Entscheidungen.

Auf den ersten Blick scheint Bernstein wie prädestiniert für dieses Vorhaben: ein seit Jahren tief im Verein verwurzelter Hertha-Fan, ein selbsternanntes „Kind der Kurve“ als neuer Präsident des Klubs. Und doch wird die Kandidatur des ehemaligen Ultras, der zwischenzeitlich auch mal Stadionverbot hatte, durchaus kontrovers betrachtet. Natürlich stellt sich etwa die Frage, wie Bernsteins Verhältnis zur aktiven Fanszene heute ist. „Abgekühlt, distanziert, aber verständnisvoll“, lautet dessen Antwort.

Genau diese Kombination klingt auch durch, wenn Bernstein über die Trikot-Aktion der Ultras nach dem Derby gegen Union spricht. Als „emotionale Kurzschlusshandlung“ und als „Verfehlung“ betitelt er diese. Und doch hat der Berliner auch Verständnis; zitiert den Satz „Die Psychologie kennt heftige Reaktionen der Liebe“, den er in der Diskussion rund um die Aktion gelesen habe. „Wahr und wichtig“, sei dies laut Bernstein, der sagt: „Wenn die Fans das Gefühl haben, dass ihre Mannschaft nicht aufopferungsvoll kämpft und mit Leidenschaft spielt, dann sollte man darüber reden können.“ Dass dies in einem anderen Rahmen geschehen müsse, stünde dabei außer Frage.

Ultra-Vergangenheit ist auch Vergangenheit

Insgesamt entsteht in dem von kleinen Hertha-Tupfern im Interieur geprägten Büro von Bernstein der Eindruck, dass dessen Ultra-Vergangenheit ihn zwar geprägt hat, aber eben tatsächlich Vergangenheit ist. Seit 16 Jahren ist der Unternehmer nicht mehr in der Ostkurve gewesen. So benutzt er zwar Worte wie „wir“ und „unsere Farben“, wenn er über die Hertha spricht, sagt aber auch mit Nachdruck: „Wir marschieren nirgendwo mit der Ultrafahne rein und verweigern uns dem Kommerz. Diese Zeiten sind vorbei.“

Ob auch die Zeit von Werner Gegenbauer als Präsident von Hertha BSC demnächst vorbei ist, wird sich am 29. Mai auf der Mitgliederversammlung des Klubs zeigen. Erste Abwahlanträge wurden bereits gestellt. Allerdings dürfte Gegenbauer bei einem Votum – aller Kritik an dessen Arbeit zum Trotz – die 25 Prozent der Stimmen, die es bräuchte, um im Amt zu bleiben, bekommen. Wahrscheinlicher als eine direkte Abwahl erscheint, dass Gegenbauer seinen Rücktritt erklärt. Erst dann könnte sich Kay Bernstein offiziell zur Wahl stellen. „Der Wille zur Veränderung ist da bei Herthas Fans“, sagt er zum Ende des knapp einstündigen Gesprächs in seinem Büro. Und auf die Frage, für wie realistisch er einen Rücktritt Gegenbauers hält, antwortet Bernstein: „Sehr realistisch.“